Gaza-Konferenz in Frankreich - Appell nach außen und innen

Der französische Präsident Macron veranstaltet eine „humanitäre Konferenz“, auf der er „konkrete Antworten“ auf die Eskalation in Nahost liefern sowie Hilfe für Menschen im Gazastreifen koordinieren will. Ihm geht es aber auch um die Befriedung des eigenen Landes.

Gaza-Konferenz in Frankreich / dpa
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Kay Walter arbeitet als freier Journalist in Frankreich

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„Alle haben ein Interesse daran, dass sich die humanitäre Lage in Gaza verbessert, auch Israel“, verlautbarte aus dem Élysée am Vorabend der von Präsident Emmanuel Macron organisierten Konferenz in Paris. Das erste Ziel dieser Konferenz bestehe daher darin, „eine möglichst objektive Einschätzung der Menschen vor Ort auszutauschen“, um zweitens „für die Anwendung des humanitären Rechts und den Schutz der Zivilbevölkerung zusammenzuarbeiten und den humanitären Zugang zum Gazastreifen zu stärken“.

Eine Abschlusskonferenz, gar ein Kommuniqué mit greifbaren Ergebnissen, etwa der Bereitstellung der von der UN geschätzten Mindesthilfe von 1,2 Milliarden Dollar, stand von vornherein nicht in Aussicht. Gleichwohl sieht Frankreich sich selbst, so heißt es im Hintergrund, in einer „Führungsrolle“, was die Nahost-Politik angeht. Die Außenminister der G7, die parallel in Tokio zum selben Thema tagen, werden es mit Freude vernehmen.

Entscheider verzweifelt gesucht

So dringend nötig eine gemeinsame, koordinierte und einheitliche Politik gegenüber der terroristischen Hamas einerseits, der leidenden Zivilbevölkerung in Gaza andererseits und drittens in Relation zu Israel auch wäre, um sowohl konkrete Hilfe zu organisieren als vor allem auch eine noch weitere Ausweitung des Konflikts und damit einen Flächenbrand, der das Potential zum Weltkrieg hat, zu verhindern: Worin diese französische Leadership bestehen soll, bleibt das Geheimnis des Präsidenten.

Das ist auch wenig verwunderlich, wenn ein derartiges Treffen so hastig zusammengetrommelt wird, wie diese humanitäre Konferenz in Paris. Kaum eine Woche ist vergangen, seit Macron die Konferenz erstmals ankündigte. Wie wenig Zeit für sinnvolle Vorbereitung blieb, zeigt nicht allein die Teilnehmerliste, auf der man wirklich wichtige Entscheider verzweifelt sucht.

Die einzig hochrangigen Anwesenden sind der italienische Außenminister Antonio Tajani, der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, und Ursula von der Leyen, deren Namen man auf der vorab unter Journalisten verteilten Liste noch nicht einmal richtig geschrieben hatte. So viel zur Eile. Und das, wo seit Wochen aus der Umgebung des Präsidenten gestreut wird, Macron unterstütze eine weitere EU-Präsidentschaft der Deutschen.

 

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Israelische Vertreter nehmen an der Konferenz erst gar nicht teil, ebenso keine aus arabischen Staaten. Damit ist von vornherein klar: Die Ergebnisse werden mager sein. Es wird Finanzzusagen geben, auch höhere als bislang. Das ja. Aber sie werden unverbindlich sein. Und politische Initiativen sind heute aus Paris schon gar nicht zu erwarten. Eben das aber wäre nötig.

Niemand sollte für seine Bemühungen kritisiert werden, Leid zu mindern und Hilfe zu organisieren, soviel ist sicher. Und das gilt auch für den französischen Präsidenten. Aber ein noch so gut gemeinter Vorstoß, der schlicht verpufft, ist am Ende keine Hilfe.

Natürlich weiß der Stratege Macron das, vermutlich besser als manch anderer. Es stellt sich also die Frage, welches Ziel er mit seiner Konferenz tatsächlich verfolgt. Wer ihm dabei unterstellt, lediglich ins Rampenlicht zu streben, greift dennoch sicher zu kurz.

Appell an die Franzosen

Macrons Initiative richtet sich deutlich weniger nach außen, als vielmehr nach innen, an die Franzosen. Denn in Frankreich lebt sowohl die größte jüdische Gemeinde Europas als auch die größte muslimische. Wenn Macron also als erstes das Recht Israels auf Selbstverteidigung gegen den Terrorangriff der Hamas betont, um dann humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen zu organisieren, zielt seine Politik auf die Befriedung des eigenen Landes. Und das ist auch bitter nötig.

Seit dem 7. Oktober sind in Frankreich mehr als 1000 antijüdische Vorfälle aktenkundig. „Die Zahl der antisemitischen Akte ist explodiert“, erklärte Innenminister Gérald Darmanin. 486 Festnahmen habe es bei 1040 gemeldeten Vorfällen gegeben, sagte der Minister. Allein in Paris wurden 257 Fälle gemeldet, in Lyon wurde eine Frau in ihrer Wohnung niedergestochen, die Tür mit einem Hakenkreuz beschmiert.

Wenn also Macron die Konferenz heute Morgen mit einem Aufruf zu „einer sofortigen humanitären Pause und zur Vorbereitung einer Waffenruhe“ beginnt, dann appelliert er damit gleichermaßen an die eigenen Landsleute, Frieden zu bewahren. Der französische Präsident spricht an die Adresse Israels, beim Vorgehen gegen die radikalislamische Hamas im Gazastreifen „das Recht zu respektieren und die Zivilbevölkerung zu schützen“, und gibt damit gleichzeitig eine Art Garantieerklärung an die eigenen Bürger ab.

„Die Falle des Terrorismus ist für uns alle dieselbe: Der Gewalt freien Lauf zu lassen, bedeutet, unsere Werte aufzugeben“, sagte Macron. „Der Kampf gegen den Terrorismus ist ohne Regeln nicht möglich“, betonte er. Darüber sei er in regem Austausch auch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

Schauplatz einer Großdemonstration

Kommenden Sonntag ist Paris Schauplatz einer Großdemonstration zu eben diesen Zielen, humanitäre Hilfe, Waffenruhe, Friedensverhandlungen mit dem Ziel einer Zweistaatenlösung. Aufgerufen hat ein sehr breites Bündnis aus Vertretern (fast) aller Parteien, gesellschaftlichen Organisationen und Kirchen. Sowohl jüdische als auch muslimische Gemeinden wollen präsent sein. Allerdings auch Marine Le Pen. Das ist hochumstritten, soll es ihr doch erkennbar helfen, noch weiter in den Kreis der bürgerlichen Rechten, des „normalen Konservatismus“ vorzudringen.

Als gezielte Provokation erklärte gestern ihr Adlatus, der Parteivorsitzende des rechtsradikalen Rassemblement National, Jordan Bardella, ihr Vater Jean-Marie Le Pen sei eigentlich nie Antisemit gewesen. Seine mehrfachen Verurteilungen genau deswegen „ein Irrtum“. Emmanuel Macron hat also guten Grund, an seine Landsleute zu appellieren, sich friedlich für die Grundwerte des Landes, Freiheit, Gleichheit und (in diesem Falle vor allem) Brüderlichkeit einzusetzen. Ob er selbst an der Demonstration teilnehmen wird, ist noch nicht bekannt.

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