Französische Sozialistin - Königin der Bobos

Die Sozialistin Anne Hidalgo ist Bürgermeisterin von Paris und will Präsidentin von Frankreich werden – derzeit sind ihre Umfragewerte schlecht, aber sie hofft auf den Scholz-Effekt. Doch wird sie auch andere Wähler mobilisieren können als fahrradfahrende Hipster?

Anne Hidalgo will Präsidentin Frankreichs werden. Und hofft dabei auf den „Scholz-Effekt“ / Franck Ferville
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Wie schwierig ist doch das Politikerleben! Noch 2020, als sie für das Rathaus von Paris kandidierte, raunten böse Zungen, Anne Hidalgo wolle das Mandat nur als Sprungbrett in den präsidialen Élysée-Palast benutzen. „Sicher nicht!“, rief die 62-jährige Sozialistin aus, um den hartnäckig nachfragenden Journalisten zu versichern: „Die Aussage können Sie archivieren.“

Jetzt haben die Medien den entsprechenden Videoausschnitt natürlich längst aus dem Archiv geholt. Denn im September hatte Anne Hidalgo faktisch ihre Kandidatur für das Amt der Staatspräsidentin erklärt – und Mitte Oktober hat sie sich im Parti Socialiste (PS) in einer internen Abstimmung klar durchgesetzt. Was den Archivspruch anbelangt, gilt nun das Bonmot des früheren sozialistischen Präsidenten François Mitterrand: Nur Dummköpfe ändern nie ihre Meinung.

Ambivalenz zur Hauptstadt

Hidalgo hat sich verändert: „Ihre“ Stadt Paris, der sie ewige Liebe geschworen hatte, ist aus ihren Wortmeldungen weitgehend verschwunden. Denn aus Paris zu stammen, heißt im übrigen Land: Man ist herablassend, arrogant und so unbeliebt wie die Zahl 75 – das Autonummernschild von Paris. Deshalb kündigte Hidalgo ihre Kandidatur in der Normandie-Stadt Rouen an; im lothringischen Nancy wiederum stellte sie ihr Buch „Eine französische Frau“ vor. Darin betont sie, sie sei in Lyon aufgewachsen und nicht etwa ein Pariser Elitekind, sondern Tochter spanischer Arbeiter.

Diese waren aus Andalusien eingewandert, als die kleine Ana noch nicht drei Jahre alt war. Ihren Vornamen „franzisierte“ Anne nach der Einbürgerung der ganzen Familie etliche Jahre später. Sie studierte Sozialwissenschaften, wurde Arbeitsinspektorin und stieg als kurstreue Funktionärin in der Sozialistischen Partei auf.

Als Vize- und dann Oberbürgermeisterin von Paris weitete sie die Autofrei-Politik ihres Mentors Bertrand Delanoë entschlossen aus. Heute gilt im Stadtgebiet Tempo 30, Dieselmotoren sind aus der Stadt verbannt. Die Schnellstraßen entlang der Seine sind aufgehoben, und entlang der breiten Boulevards schuf Hidalgo „provisorische“ Radspuren.
Auch Reisende stellen fest: Paris ist ruhiger, jedenfalls verkehrsberuhigter geworden. Die Rechte wütet, Hidalgo gehe dabei starrsinnig vor „wie ein andalusischer Stier“. Sie denke nur an Hauptstädter, das heißt ihre Wähler, nicht aber an die fünfmal zahlreicheren Vorstadtpendler. Auf der Fahrt an den Arbeitsplatz blieben sie jetzt schon vor den Einfallstoren von Paris in den Staus stecken.

Dicke Wahlversprechen

Zwei Lokaljournalisten schilderten sie 2017 in einem sehr kritischen Buch als „Königin der Bobos“, jener rot-grünen, fahrradfahrenden Hipster aus dem Marais oder dem Bastille-Viertel. Dass die Stadt im Schmutz versinke und unter der Rattenplage leide, kümmere Hidalgo nicht. Genauso wenig wie die Gentrifizierung von Paris mit Wohnungspreisen von einer halben Million Euro für 40 Quadratmeter. Dieser Vorwurf ist allerdings unfair: Hidalgo hat immerhin versucht, die Entwicklung mit neuen Sozialwohnungen und Anti-Airbnb-Dekreten zu bremsen – wenn auch vergeblich.

Wie auch immer: Politische Bilanzen zählen in Frankreich weniger als Wahlversprechen. Hidalgo verspricht den Grundschullehrern, also ihren Wählern, nichts weniger als die Verdopplung ihrer Gehälter – was laut Bildungsministerium 150 Milliarden Euro kosten würde. Das ist aber eine Nebensache für die zum zweiten Mal verheiratete Mutter von drei Kindern. Im Gegenteil versucht Hidalgo nun auch durchzusetzen, dass die Pariser Beamten weiterhin nicht einmal die gesetzliche Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche einhalten müssen. Unter der roten Bürgermeisterin muss man nur 32 Stunden arbeiten.

Hoffnung auf den „Scholz-Effekt“

Trotz, vielleicht auch wegen ihrer generösen Wahlversprechen kommt Hidalgo bisher nur auf acht Prozent Umfragestimmen für die Präsidentschaftswahl von April 2022. Doch die Kampagne beginnt erst. Die Sozialistin setzt auf den „Scholz-Effekt“, wie sie im September nach einem Besuch bei dem SPD-Kanzlerkandidaten sagte. „Anfangs wurden die deutschen Sozialdemokraten auch ausgelacht“, erklärte sie auf der Rückfahrt aus Köln.

Etwas Weiteres verbindet sie mit Olaf Scholz: Die Frau mit der weichen Stimme und dem resoluten Antritt ist wohl die einzige der vielen rot-grünen Kandidatinnen und Kandidaten, die für das ganze Lager akzeptabel wäre. Das hebt sie auch über den polarisierenden Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon. Geschickt präsentiert sie sich als linke Konsenskandidatin gegen den amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron und die Rechtspopulistin Marine Le Pen. Ihr Problem ist grundsätzlicher Art: Die Linke scheint in Frankreich derzeit schlicht nicht mehrheitsfähig zu sein.

 

Dieser Text stammt aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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