Emmanuel Macron - Jupiter auf der Erde

Nach den Rücktritten mehrerer Minister versucht Präsident Emmanuel Macron die Löcher in seiner Regierung zu stopfen und sein politisches Tief zu überwinden. Zwei Wochen hatte er sich für den Umbau seines Kabinetts Zeit genommen – doch der erwartete Befreiungsschlag bleibt aus

Mit der Regierungsumbildung will Präsident Macron einen Neustart markieren – ob das gelingt? / picture alliance
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Nur keine Experimente, und vor allem: keine weiteren Patzer! Nach dieser Devise scheint Emmanuel Macron seine neue Regierungsmannschaft – die wie bisher zur Hälfte aus Frauen besteht – aufgestellt zu haben. Der überraschende Rücktritt seines Weggefährten Gérard Collomb als Innenminister hatte die französische Staatsspitze vor zwei Wochen in schwere Turbulenzen gestürzt – unmittelbar nach der Aufregung um das Stinkefinger-Foto Anfang Oktober. Auf diesem hatte sich der Präsident mit einem jungen, nach eigener Aussage kriminellen Mann ablichten lassen, der den Mittelfinger in die Kamera hält. Wenige Monate zuvor hatte außerdem die Affäre um den Elysée-Leibwächter Alexandre Benalla für Aufsehen gesorgt, der ohne erkennbaren Grund einen Demonstraten verprügelt hatte.

Mit seiner bereits zweiten Regierung nach seinem Amtsantritt vor anderthalb Jahren geht Macron keine Wagnisse ein. Als neuen Innenminister beruft er Christophe Castaner, einen soliden und loyalen Berufspolitiker, der schon vor Jahren als einer der ersten Sozialisten zu Macron übergelaufen war. Der 52-jährige Südfranzose entstammt nicht den Pariser Eliteschulen, sondern dem Provence-Städtchen Forcalquier, wo er den Ruf eines „kékés“ (Maulhelden) hatte. Mit seinen eher saloppen Sprüchen ist „Casta“ aber durchaus populär. Als Innen- und Polizeiminister ist er nun auch für die schwere Mission der Terrorbekämpfung zuständig. Zu diesem Zweck stellt ihm Macron in der Person von Laurent Nuñez einen Staatssekretär zur Seite, der früher den Innengeheimdienst DGSI geleitet hat.

„Alles bewegt sich, nichts ändert sich“

Mit der Neubesetzung des Innenministeriums räumt der 40-jährige Staatschef einige Altlasten und Schwachpunkte seiner Regierung aus. Kulturministerin François Nyssen, die aufgrund von Immobilienaffären unter Beschuss geraten war, wird durch Franck Riester ersetzt, einen Überläufer von den konservativen Republikanern. Neue Vorsteher erhalten auch die Ministerien für Landwirtschaft und Raumplanung.

Das Newsportal Huffington Post brach die neue Macron-Regierung auf die Formel nieder: „Alles bewegt sich, nichts ändert sich.“ Andere Kommentatoren heben vor allem hervor, dass der Präsident, der sich noch vor kurzem als vorauseilender Reformer inszeniert hatte, heute aus der Defensive heraus handeln muss.

Macron muss Schwäche einräumen

Das zeigt allein schon Castaners Berufung: Der politisch anpassungsfähige, aber ehrgeizige Gefolgsmann hatte dem Vernehmen nach dem Staatschef gedroht, ganz aus der Regierung auszuscheiden, wenn er nicht seinen Traumjob als Innenminister erhalte. Macron, der sich auch schon als „Jupiter“ wähnte, musste darauf eingehen und damit indirekt seine geschwächte Stellung einräumen. Vor allem in den vergangenen zwei Wochen fehlen ihm sichtlich valable Namen für die Schlüsselposten seiner Regierung – ein Novum für die Fünfte Republik, in der es sonst nie an Anwärtern für prestigereichen Regierungsposten mangelt.

Castaner wird zudem auch den Vorsitz der Macron-Partei La République en marche (LRM) abgeben müssen. Der Präsident verliert damit einen direkten Draht zu seiner eigenen Formation, die sich in der jüngsten Zeit eher widerspenstig gebärdet. Dabei ist es für Macron von zentraler Bedeutung, die 310 LRM-Abgeordneten in der 577-köpfigen Nationalversammlung an der kurzen Leine zu halten, um seine anstehende, hart umkämpfte Rentenreform durchzubringen.

Der Befreiungsschlag bleibt aus

In Paris zweifeln deshalb viele, ob es Macron mit der Regierungsumbildung gelingen kann, seine politischen Schwierigkeiten und sein Popularitätstief zu überwinden. Der anfangs so innovative Präsident handelt zunehmend nach eben den alten Politrezepten, die er überwinden wollte. Statt neue Köpfe mit originellen Ansätzen in die Regierung zu holen, versucht er unter anderem die Ministeransprüche seines Juniorpartners François Bayrou befriedigen – der seit den achtziger Jahren in der französischen Politik mitmischt.

Gleichzeitig muss der junge Staatschef  Rücksicht auf Premier Edouard Philippe nehmen, der in den Meinungsumfragen auf einen Sympathiewert von 55 Prozent kommt, fast doppelt so viel wie Macron (29 Prozent). Dieser Umstand soll in der täglichen Zusammenarbeit für etliche Friktionen sorgen. Sie sind durch die neue Ministerliste kaum beseitigt worden. Alles in Allem ist dem politisch angeschlagenen Präsidenten mit der Regierungsumbildung wohl kaum der Befreiungsschlag gelungen, den er angestrebt hat.

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