Abstimmung im Europäischen Parlament - Der Weg für das verschärfte EU-Asylrecht ist frei

Im Europäischen Parlament erhält das schärfere Asylrecht grünes Licht gegen grüne Kritik. Im Plenarsaal hatten Migrationsaktivisten die Abstimmung gestört. Die neuen Regeln werden in Deutschland unmittelbar wenig ändern. Trotzdem sind die Erwartungen hoch.

Plenum des Europäischen Parlaments in Brüssel, 10.04.2024 / picture alliance
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Das Europäische Parlament hat den Weg frei gemacht für die Einführung des neuen EU-Asylrechts. Eigentlich wäre die Abstimmung über acht Rechtstexte, die zusammen die Reform, also das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) ausmachen, eine Formalität gewesen, da bei der endgültigen Aushandlung im Dezember neben den Unterhändlern der Mitgliedstaaten auch Vertreter des Parlaments zugestimmt hatten. Allerdings hatten sich im Vorfeld viele Abgeordnete unzufrieden geäußert, so dass eine absolute Mehrheit in allen acht Abstimmungen fraglich schien.

Brisant war vor allem die Haltung der europäischen Grünen. Sie sind die schärfsten Gegner von Begrenzungsmaßnahmen gegen Asyl-Zuwanderer. An der Spitze der Kritiker steht der deutsche EU-Abgeordnete Erik Marquardt, der sich seit Jahren als Unterstützer von sogenannten Seenotrettungsmissionen im Mittelmeer stark gemacht hat. 

Wie emotional das Thema für die aktivistische Szene ist, wurde deutlich, als Aktivisten auf der Zuschauertribüne während der Abstimmung riefen aus „Dieser Pakt tötet. Stimmt dagegen“. Sie warfen dann Papierflieger in das Plenum. Einige Abgeordnete beklatschten die Aktion. Nach einer kurzen Unterbrechung und mehrfacher Ermahnung durch Parlamantspräsidentin Roberta Metsola wurde die Abstimmung fortgeführt.

Die europäischen Grünen, beziehungsweise Teile von ihnen, stehen auch gegen die deutsche Bundesregierung, an der die deutschen Grünen bekanntlich selbst beteiligt sind. Bizarrerweise hatte sich ausgerechnet die Bundesregierung mit der grünen Außenministerin Annalena Baerbock in den langen Verhandlungen zwischen den EU-Ländern zunächst gegen eine härtere Gangart an den Außengrenzen gesperrt, obwohl Deutschland für Armutszuwanderer ein besonders begehrtes Zielland ist und daher überproportional viele Asylzuwanderer und damit auch Belastungen seiner sozialen Sicherungssysteme zu tragen hat. Letztzlich hatten die Grünen innerhalb der Bundesregierung dann aber dem Druck der anderen Parteien nachgegeben.

Kurz vor der Abstimmung im Europäischen Parlament hatte Baerbock noch einmal explizit auf dem sozialen Netzwerk X um Zustimmung zu der Reform geworben:

 

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Die Reform bedeutet einen restriktiveren Umgang mit Zuwanderungswilligen, die in EU-Staaten Asyl beantragen wollen. Zumindest für solche, die aus sicheren Herkunftsländern ohne politische Verfolgung und Kriege kommen. Der Streit darüber ist im Grunde schon seit der großen Flüchtlingskrise von 2015 akut. Damals war die sogenannte Dublin-Verordnung, nach der Asylbewerber in dem ersten Land ihrer Ankunft in der EU registriert, beziehungsweise bei illegaler Weiterreise dorthin zurück geschickt werden, hundertausendfach missachtet und faktisch außer Kraft gesetzt worden. 

Was die Reform vorsieht

Geplant ist nun, dass Zuwanderungswillige aus Ländern, die als relativ sicher gelten, bis zur Entscheidung über den Asylantrag bis zu zwölf Wochen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern an den Außengrenzen untergebracht werden können. Menschen, die aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von unter 20 Prozent kommen, sowie solche, die als Gefahr für die öffentliche Sicherheit gelten, müssen künftig verpflichtend in ein solches Grenzverfahren. Ankommende Menschen können dem Vorhaben nach mit Fingerabdrücken und Fotos registriert werden, auch um zu überprüfen, ob sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sind.

Bei einem besonders starken Anstieg der Migration könnte von den Standard-Asylverfahren mit der sogenannten Krisenverordnung abgewichen werden. Zum Beispiel kann der Zeitraum verlängert werden, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem könnte der Kreis derjenigen vergrößert werden, der für die geplanten strengen Grenzverfahren infrage kommt. Das gälte dann für Menschen aus Herkunftsländern mit einer Anerkennungsquote von maximal 50 Prozent.

Die grüne deutsche Außenministerin Annalena Baerbock konnte sich nicht mir der Forderung durchsetzen, Familien mit Kindern aus humanitären Gründen von den Grenzverfahren auszunehmen. Nur unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bilden eine Ausnahme. Die Verteilung auf die EU-Staaten wird den Plänen zufolge mit einem „Solidaritätsmechanismus“ neu geregelt: Wenn die Länder keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssen sie Unterstützung leisten, etwa in Form von Geldzahlungen.

Die Einigung muss nun noch von den EU-Staaten bestätigt werden. Das ist normalerweise eine Formalität. Die Mitgliedstaaten haben dem Vernehmen nach eine zweijährige Umsetzungsfrist vereinbart. Das soll den Staaten an den Außengrenzen genügend Zeit geben, entsprechende Einrichtungen zur Unterbringung von Menschen aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent zu schaffen.

Auswirkungen auf Deutschland

Das Ziel der Reform ist die Verringerung der Zahl der Armutszuwanderer, die die Aufnahmefähigkeit Deutschlands längst überstrapazieren und in den vergangenen Monaten zu immer neuen Alarmrufen aus den Kommunen Richtung Berlin geführt haben. Dieses Ziel könnte sowohl akut durch die restriktiven Maßnahmen an den Außengrenzen erreicht werden, durch die dann auch weniger potentielle Sekundärmigranten nach Deutschland da wären. Aber natürlich erhofft man sich auch eine generell abschreckende Wirkung auf potentielle Migranten.  

Kurzfristig wird sich an der Situation in Deutschland aber vermutlich nichts ändern. Denn bis die Regelungen in der Praxis umgesetzt werden, können noch Jahre vergehen. Die Analyse des konkreten Anpassungsbedarfs in Deutschland sei noch nicht abgeschlossen, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums laut DPA. Dabei gehe es um rechtliche, praktische, technische und sonstige Anpassungen. Die rechtlichen Anpassungen betreffen laut Innenministerium voraussichtlich das Asylgesetz und das Aufenthaltsgesetz, liegen zum Teil aber auch in den Zuständigkeitsbereichen anderer Ressorts und der Länder. Gespräche mit den anderen betroffenen Bundesressorts und den Ländern seien geplant.

„Die Verordnung soll ab 2026 von den Mitgliedstaaten angewendet werden. Doch schon in einigen Monaten müssen sie mit der Vorbereitung und Umsetzung beginnen. Das könnte sich dann schon auf die Migrationszahlen auswirken, deutliche Effekte wird es aber von heute auf morgen nicht geben“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Helmut Dedy, der DPA. „Bund und Länder bleiben deshalb weiterhin in der Pflicht, auch die in Deutschland beschlossenen Maßnahmen zur Flüchtlingsfinanzierung und zur besseren Steuerung von Migration konsequent umzusetzen. Die Städte müssen dringend entlastet werden.“

Mit Material von DPA

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