Emmanuel Macron - Zu früh, ihn abzuschreiben

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat mit Corona, Terror und Unruhen ebenso zu kämpfen wie mit seiner Unbeliebtheit. Erst am Wochenende gab es wieder gewaltsame Ausschreitungen. Trotzdem stehen seine Chancen auf eine Wiederwahl gut.

Macron beherrscht seine Rolle / dpa
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Die Sorbonne-Universität bekommt Emmanuel Macron. Im Herbst 2017 hielt er dort eine mitreißende und wegweisende Europarede. Jetzt, drei Jahre später, ehrte er an gleicher Stelle – und ebenso leidenschaftlich – den Geschichtslehrer Samuel Paty, der von islamistischen Terroristen enthauptet worden war, weil er im Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit die umstrittenen Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte. Macron traf wieder die richtigen Worte, hisste sich rhetorisch auf die Höhe seiner großen Vorgänger François Mitterrand oder Jacques Chirac. Sich gegen „Gewalt, Einschüchterung und Resignation“ wendend, versprach er „Taten statt Worte“, wobei er nicht verhehlte, dass die Aufgabe „titanisch“ sei. Der schreckliche Anschlag in Nizza mit drei ermordeten Kirchgängern gab ihm zehn Tage später recht.

Und stärkte ihn selbst. Politisch isoliert, ohne Verwurzelung im Land, wird der 42-jährige Selfmade-Präsident sonst eher mit den nie wiedergewählten Vorgängern Nicolas Sarkozy und François Hollande verglichen. Sein Anspruch, Frankreich in eine Start-up-Nation zu verwandeln, ist längst Makulatur: Corona hat Macrons liberale Renten- und Arbeitsreformen schlicht weggefegt. Als Krisenmanager machte der ehemalige Investmentbanker in der ersten Viruswelle eine erstaunlich schlechte Figur: Statt den 65 Millionen Franzosen genug Schutzmasken zu beschaffen, verschreckte er sie mit einer deplatzierten „Kriegs“-Rhetorik. Die Zeitung Le Monde urteilte: „Das deutsche Modell wirft ein Schlaglicht auf das Versagen unserer eigenen Bürokratie und unseres Zentralstaats“ – für den nun mal der Staatspräsident verantwortlich ist.

Die Franzosen lieben Polit-Schauspieler

Im Juni verlor Macrons Partei La République en marche die Kommunalwahlen durch K. o. Der neu berufene Premierminister Jean Castex wird belächelt, Gesundheitsminister Olivier Véran angefeindet. Macron gelobte, Frankreich werde sich in der Krise „neu erfinden“. Das erinnerte die Franzosen nur an Sarkozy, der immer wieder geschworen hatte, er habe sich geändert – „j’ai ­changé“. Und als Macron erklärte, er wolle einen „neuen Weg“ begehen, flachste die Sozialistin Laurence Rossignol: „Das tönt wie die nouvelle cuisine, die mit altem Gemüse kocht.“

Aber man darf sich nicht täuschen: Zugleich bleiben die Franzosen stets empfänglich für Politiker, die ihnen treuherzig versprechen, mit ihnen werde sich alles ändern. Vor allem, wenn sie in dem Pariser Polittheater so gut schauspielern wie Monsieur le Président. Macron beherrscht seine Rolle. Er ist kreativer als all seine Kontrahenten, ausdauernd wie alle Kurzschläfer, zutiefst überzeugt von seinem Karma. Auf der Weltbühne hält er mit den Größten mit – er bezwang Donald Trump mit einem virilen Handshake, schalt Wladimir Putin in dessen Beisein und greift Recep Tayyip Erdogan fast täglich an.

Arrogant oder präsidial?

Das gefällt den Franzosen: Was ihm innenpolitisch als Arroganz und Selbstüberschätzung angekreidet wird, macht auf dem diplomatischen Parkett seine präsidiale Statur aus. Während Sarkozy und Hollande nie an Angela Merkel herankamen, verhandelt Macron mit der Kanzlerin auf Augenhöhe; er rang ihr sogar einen – für die Franzosen längst nicht nur vorübergehenden – Schuldenpool ab.

Dennoch wird Frankreich mit Macron bis heute nicht warm. Aber er bleibt im Spiel, beherrscht es sogar aus dem Élysée-Palast. Die zweite Corona-­Welle hat er besser im Griff als die erste. Dass er seine schlecht aufgezäunte Rentenreform los ist, dürfte ihn selber erleichtern. Und solange die Terrorgefahr akut bleibt, punktet Macron weiter im konservativen Lager. Und dieses wird bei der Präsidentschaftswahl 2022 die Kernwähler Macrons stellen, nachdem er 2017 auch viele Linkswähler angezogen hatte.

Macron denkt weit voraus

Ihm einen kalkulierten Rechtsdrall zu unterstellen, wäre indes unfair: Sein pragmatisch-liberaler, oft technokratischer Ansatz entspricht tatsächlich seiner politischen und ideellen DNA. Mit dieser breiten Aufstellung sollte er in der Stichwahl des Präsidentenrennens von 2022 auch die Rechtspopulistin Marine Le Pen ein zweites Mal schlagen – falls er in die Stichwahl kommt. Denn Macron könnte fast eher im ersten als im zweiten Wahlgang scheitern, wenn nämlich die Linke und die Grünen eine Einheitskandidatur zustande bringen oder die konservativen Republikaner eine starke Figur aus dem Hut zaubern. Beides scheint derzeit aber unwahrscheinlich.

Von einer Ausnahme abgesehen: Der parteilose Ex-Premier Édouard Philippe, den Macron im Juni in die lokalpolitische Wüste zurückgeschickt hat, genießt auf der gemäßigten Rechten große Sympathien. Der unprätentiöse, coole Bürgermeister von Le Havre könnte seinem bisherigen Chef gefährlich werden. Gerüchteweise soll ihm der frisch gewählte Staatspräsident schon 2017 einen Eid abverlangt haben, nie gegen ihn anzutreten. Macron denkt eben weit voraus.
 

Diesen Text finden Sie in der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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