Deutsche Minderheit in Tschechien - Zwischen Ressentiment und Versöhnung

Unfreiwillig gerieten die Sudetendeutschen in Tschechien mal wieder in die Schlagzeilen. Präsident Miloš Zeman schürte alte Ressentiments, um die Regierungsbildung zu erschweren. Grund genug, mal einen Blick auf die Sudetendeutschen und die deutsche Minderheit in unserem Nachbarland zu werfen.

Besucherinnen in Tracht beim Sudetendeutschen Tag 2017 in Augsburg / dpa
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Jonas Klimm studierte Interdisziplinäre Europastudien in Augsburg und absolvierte ein Redaktionspraktikum bei Cicero.

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Vergangene Woche stand der umstrittene tschechische Staatspräsident Miloš Zeman mal wieder im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Erst kurz zuvor war der schwerkranke 77-Jährige nach einer gut sechswöchigen Behandlung aus dem Zentralen Militärkrankenhaus in Prag entlassen worden. Von den behandelnden Ärzten hieß es damals lediglich, er sei wegen Komplikationen seiner chronischen Erkrankungen hospitalisiert worden. Und davon hat Zeman viele. Dass er dem Alkohol äußerst zugeneigt ist, weiß in Tschechien buchstäblich jedes Kind. Bekannt sind zudem eine Diabetes und eine Nervenerkrankung, die ihn an den Rollstuhl fesselt. Zwischendurch war unklar, ob Zeman seine Amtsgeschäfte überhaupt wieder würde aufnehmen können. Der tschechische Senat bereitete sogar ein Amtsunfähigkeitsverfahren vor.

Ende November dann die Nachricht, dass Zeman das Krankenhaus verlassen kann. Kaum entlassen, wurde Zeman positiv auf Corona getestet. Die Symptome waren nur leichter Natur, der Präsident nahm seine Amtsgeschäfte wieder auf. Auf Schloss Lány ernannte er sodann den ehemaligen Universitätsprofessor Petr Fiala zum neuen tschechischen Premierminister – isoliert in einem Glaskasten. Bis auf die ungewöhnlichen Umstände ging also alles seinen vorbildlichen demokratischen Gang. Doch dann der große Knall: Gerade bog die neue konservativ-liberale Koalition auf die Zielgerade der Regierungsübernahme ein, da bremste Zeman die Fünfparteienkoalition um Fiala jäh aus. Zeman legte ein Veto ein; den designierten neuen Außenminister Jan Lipavský von der tschechischen Piratenpartei wollte er nicht im berühmten Palais Czernin sehen, dem Amtssitz des Außenministers auf dem Hradschin.

Eine Ablehnung mit Vorgeschichte

Vier Punkte führte die Präsidialkanzlei im Namen des 77-Jährigen auf, warum der Politiker der Piratenpartei für das Außenministerium völlig ungeeignet sei. Unter anderem sei der 36-Jährige nicht qualifiziert genug, weil er nur ein Bachelorstudium abgeschlossen habe, und das auch noch mit unzureichenden Noten. Besonders brisant war jedoch der vierte Punkt: Im Jahr 2019 brachte Lipavský die Idee auf, als versöhnliches Zeichen den nächsten Sudetendeutschen Tag, an dem jährlich die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei vertriebenen Deutschen und deren Nachfahren teilnehmen, auf tschechischem Boden abzuhalten. Für Zeman ein derartiger Affront, dass er seine Zustimmung zu Lipavský verweigern wollte.

Zeman war bereits in der Vergangenheit mit heftigen verbalen Attacken gegenüber den Sudetendeutschen aufgefallen. In den 2000er-Jahren äußerte er als damaliger Premierminister, die Sudetendeutschen seien kollektiv „Verräter“ gewesen und hätten nach Ende des Zweiten Weltkriegs froh sein können, dass sie nicht alle an die Wand gestellt worden seien. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sagte daraufhin seinen geplanten Besuch in Prag ab. Nun beförderte der alte Mann vom Hradschin das Thema wieder in die Schlagzeilen. Mittlerweile hat Zeman seinen Widerstand zwar eingestellt, die neue Regierung ist seit Freitag im Amt. Ein schaler Beigeschmack bleibt jedoch.

„Peinliche Äußerungen“

„Peinlich“ seien solche Äußerungen, sagt Martin Herbert Dzingel, der Präsident der Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik auf Nachfrage von Cicero. „In der heutigen Zeit noch mit der Sudetendeutschen Frage aufzutreten, ist seines Amtes unwürdig“, fügt Dzingel hinzu. „Es zeugt nur davon, dass Zeman vor vielen Jahren stehen geblieben ist.“ Derartige Aussagen seien heutzutage in der Politik längst überholt.

Dzingel ist das Gesicht der deutschen Minderheit in Tschechien, bei ihm laufen viele Fäden zusammen. Der 46-Jährige, der selbst aus einer deutschsprachigen Familie in Tschechien stammt, setzt sich schon sehr lange für die Belange der Deutschen in Tschechien ein, seit 2010 ist er Präsident der Landesversammlung. Im vergangenen Jahr wurde Dzingel für sein Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Brücke zwischen den Völkern

Die Landesversammlung ist die größte Organisation der deutschen Minderheit in Tschechien. Rund 7500 Mitglieder kann sie derzeit vorweisen, ein respektabler Wert bei 19.000 Personen, die sich bei der Volkszählung 2011 überhaupt zur deutschen Nationalität bekannten. Die Landesversammlung möchte mit ihrer Arbeit die Interessen der Deutschen in Tschechien vertreten und eine Brücke zwischen beiden Völkern schlagen. Unter dem Dach der Landesversammlung befinden sich unter anderem 15 Begegnungszentren, die sich über das ganze Land verteilen. Hier wird deutsches Kulturgut gepflegt, und  Deutsche und Tschechen können zusammenkommen.

Darüber hinaus gebe es kleinere und größere Projekte, um die sich die Landesversammlung kümmere, so Dzingel. In Prag seien die Grundschule der deutsch-tschechischen Verständigung und das Thomas-Mann-Gymnasium sehr wichtig. Daneben gebe es Hunderttausende deutsche Gräber, die in Tschechien verwahrlosen und die es zu retten gilt. Als Herausgeber des LandesECHO, der einzigen deutschsprachigen Zeitschrift in Tschechien, besitzt die Landesversammlung zudem ein publizistisches Sprachrohr, das auch der Darstellung der deutschen Minderheit dient.  

Sudetendeutsche Frage

„Wir müssen uns schon sehr anstrengen und eine gute Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit leisten, um in Tschechien überhaupt wahrgenommen zu werden“, sagt Dzingel. Leider seien Minderheiten in der öffentlichen Wahrnehmung in Tschechien kein großes Thema, außer denjenigen, die für einige als „problematisch“ gälten, allen voran Sinti und Roma. Deshalb seien derartige aggressive Äußerungen von Zeman auch sehr nachteilig. „Er meint damit zwar nicht uns als deutsche Minderheit in Tschechien, da bin ich recht sicher“, sagt Dzingel. Zeman gehe es eher um die Sudetendeutsche Frage, also die Frage der nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen Sudetendeutschen, von denen heute viele in Deutschland oder Österreich leben. Trotzdem erschwerten derartige Äußerungen den Dialog, so Dzingel.

Mehr als drei Millionen Deutsche lebten noch in den 1930er-Jahren in der damaligen Tschechoslowakei, rund 30 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die weit überwiegende Mehrheit von ihnen wurde in der Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben. Die wenigen, die bleiben durften, sollten sich unter dem neuen, dann kommunistischen, Regime an ihre Umgebung assimilieren. In Deutschland konstituierte sich bereits wenige Jahre später der Sudetendeutsche Tag. Seit 1950 findet dieser alljährlich um Pfingsten statt, mittlerweile ausschließlich in Bayern, wo sich die meisten nach 1945 vertriebenen Sudetendeutschen ein neues Leben aufbauten. Sie gelten als der „vierte Stamm“ des Landes.

Zeichen der Versöhnung

Von harschen Tönen hat die Sudetendeutsche Landsmannschaft, die die jährlichen Zusammentreffen im Rahmen des Sudetendeutschen Tags ausrichtet, schon lange Abstand genommen. Mottos wie „Gebt uns die Heimat wieder“ am ersten Sudetendeutschen Tag 1950 gehören längst der Vergangenheit an. Passagen, die die Rückgabe von Besitz und der alten Heimat forderten, wurden vor einigen Jahren endgültig aus der Satzung der Landsmannschaft gestrichen. Vielmehr steht nun die Versöhnung mit den Tschechen im europäischen Kontext im Vordergrund.

Beim Sudetendeutschen Tag im Juli dieses Jahres wurde mit dem ehemaligen tschechischen Kulturminister Daniel Herman der erste hochrangige tschechische Politiker mit dem „Karlspreis der Sudetendeutschen“ ausgezeichnet. Herman hatte 2016 als erster tschechischer Minister überhaupt am Sudetendeutschen Tag teilgenommen und damit die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. Überdies bezeichnete er die Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer Heimat nach Ende des Krieges als „Unrecht". Ein mutiger Schritt, der in Tschechien durchaus Kritik nach sich zog.

Ampel-Sorgen

Seit vielen Jahren hoffen die Vertreter der Vertriebenen auf einen Sudetendeutschen Tag in Tschechien. Bernd Posselt (CSU), Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft, hält das in den kommenden Jahren für möglich. Solange aber Spitzenpolitiker wie Präsident Zeman gegen die Sudetendeutschen agitieren, wird es schwierig werden. Im kommenden Jahr ist Hof als Austragungsort eingeplant. Zumindest schon mal eine geographische Annäherung an Tschechien.

Martin Dzingel jedenfalls wird weiterhin den Interessen der deutschen Minderheit in Tschechien Gehör verschaffen. Den Regierungswechsel in Berlin betrachtet er durchaus mit einiger Sorge. Gerade CDU/CSU hätten der deutschen Minderheit „immer einiges versichert“, sagt Dzingel. Und das zeigt sich auch im Ampel-Koalitionsvertrag, hier wurde der Absatz zu den Vertriebenen deutlich geschmälert. Noch 2017 hieß es im Vertrag der Großen Koalition: „Wir werden unsere Hilfen für die deutschen Minderheiten in den Herkunftsgebieten der Aussiedler fortsetzen.“ Ein Passus mit ähnlichem Inhalt findet sich bei der neuen Regierung nicht. Dzingel bleibt aber optimistisch: „Wir hoffen trotzdem, dass die kontinuierliche Politik gegenüber der deutschen Minderheit im Ausland fortgeführt wird.“

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