
- Die Erzählung vom „schwulen Westen“
Kaum ein Thema spaltet Ost- und Westeuropa so sehr wie die Homophobie. Dabei bekamen schwule Paare in den sechziger Jahren in Budapest oder Warschau leichter ein Hotelzimmer als in Lyon oder München. Tatsächlich geht es bei dem erbitterten Streit im Kern auch weniger um Sexualität. Sondern um einen Kulturkampf ganz anderer Art.
Die wenigen Beamten am niederländischen Konsulat in Posen staunten nicht schlecht, als sich vor den Fenstern ihres Büros eine kleine Demonstration versammelte. Normalerweise interessierten sich die Polen nicht sonderlich dafür, was tausend Kilometer westlich in ihrem Land geschah. An jenem 1. April des Jahres 2001 aber versorgten die Niederlande die Welt mit einer Top-Nachricht: In Den Haag wurde das erste schwule Paar amtlich getraut. Nicht allen gefiel das, wie es schien. „Ehe ist für Mann und Frau!“, stand auf einem Plakat.
Gut, Polen war sicher noch nicht so weit, dachten die Niederländer. Seit den ersten freien Wahlen vor zwölf Jahren hatte das Land im Zeitraffer eine Entwicklung nachgeholt, für die der Westen ein halbes Jahrhundert gebraucht hatte – wenn nicht viel länger, denn ein Modernisierungsgefälle zwischen West und Ost hatte es seit Jahrhunderten gegeben. Niemand konnte erwarten, dass alles bruchlos vonstattenging.