Deutsche Außenpolitik - Den Ambitionen nicht gewachsen

Die Machtübernahme in Afghanistan durch die Taliban ist auch ein Desaster für die deutsche Außenpolitik. Allein die erst jetzt stattfindende Evakuierung der Ortskräfte zeigt, dass Deutschland seinen eigenen außenpolitischen Ansprüchen nicht gerecht wird.

Ein Transportflugzeug der Luftwaffe hebt am frühen Morgen auf dem Fliegerhorst Wunstorf in Niedersachsen ab / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

So erreichen Sie Thomas Dudek:

Anzeige

Was gestern in Kabul passierte, ist nicht nur eine Zäsur für den Westen, sondern wohl auch seine größte Niederlage. Trotz eines 20 Jahre andauernden Militäreinsatzes, der Aufrüstung und Ausbildung einer afghanischen Armee, trotz Unterstützung beim Aufbau staatlicher Strukturen und Milliarden an Entwicklungshilfe, hinterließ man in Afghanistan nur ein Kartenhaus, das gestern endgültig in sich zusammengebrochen ist. Gerade mal sechs Wochen, nachdem der letzte Bundeswehrsoldat Afghanistan verlassen hat, und zu einem Zeitpunkt, in dem der Abzug der US-Amerikaner noch gar nicht abgeschlossen ist, haben die Taliban ohne jegliche Gegenwehr Kabul erobert. Von „bitteren Stunden“ sprach heute Bundeskanzlerin Merkel im CDU-Präsidium.

Der Fall von Kabul ist aber nicht nur ein Desaster für den Westen, sondern auch für die deutsche Außenpolitik. Diese ist zwar geprägt von großen Ambitionen wie dem Wunsch nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und einem Führungsanspruch in der Europäischen Union, doch Afghanistan hat gnadenlos offenbart, dass Deutschland seinen außenpolitischen Ambitionen nicht gewachsen ist.

Langsame Evakuierung der Botschaft

Bestes Beispiel dafür ist die Evakuierung der deutschen Botschaft in Kabul. Während in allen Nachrichtensendungen dieser Welt schon Bilder von amerikanischen Hubschraubern zu sehen waren, die das Personal der US-Botschaften zum Flughafen von Kabul flogen, schien man in sich in Berlin von solchen Szenen nicht in seiner Sonntagsruhe stören lassen zu wollen. „Wir sind dabei, die Operation auszuplanen“, erklärte gestern zunächst ein Sprecher des Verteidigungsministeriums gegenüber Zeit Online.

Im Laufe des Tages änderte sich zwar der Ton der verantwortlichen Ministerien, die nun die Dringlichkeit der Evakuierung betonten, aber wirklich besser wurde es nicht. Erst am heutigen Montagmorgen ist vom Fliegerhorst Wunstorf in Niedersachsen eine Bundeswehrmaschine Richtung Kabul gestartet. Man mag jetzt zwar sagen: endlich. Doch das kleine Tschechien schien auf den Worst Case besser vorbereitet gewesen zu sein und schickte bereits gestern Abend ein Militärflugzeug, um Botschaftsangehörige sowie afghanische Ortskräfte auszufliegen. Den Plan hat Prag laut eigener Aussage bereits am Samstag erarbeitet. Aber immerhin fand man gestern im Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium Zeit, um sich gegenseitig Vorwürfe zu machen und einander die Schuld in die Schuhe zu schieben.

Verantwortungslosigkeit gegenüber Ortskräften

Ein wahres Armutszeugnis ist Deutschlands Umgang mit den afghanischen Ortskräften. „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt“, lautet ein berühmtes Zitat des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD) aus dem Jahr 2002. Diese Verteidigung der deutschen Sicherheit am Hindukusch wäre aber nicht möglich gewesen ohne die Tausenden afghanischen Ortskräfte, die als Übersetzer oder auch gewöhnliche Hilfskräfte für die Bundeswehr tätig waren. Menschen, die Deutschland zwar geholfen haben und dadurch auch ihr Leben gefährden, für die sich die Bundesregierung aber offenbar lange nicht verantwortlich fühlte. Gerade mal eine halbe Stunde beschäftigte sich der Bundestag am 23. Juni mit einem Antrag der Grünen-Fraktion, afghanische Ortskräfte aufzunehmen. CDU/CSU und SPD lehnten den Antrag zusammen mit der AfD ab.

Geschuldet ist dieses Ergebnis nicht nur einer absoluten Fehleinschätzung der Lage in Afghanistan, für die beispielhaft ein Auftritt von Außenminister Heiko Maas (SPD) steht. „All diese Fragen haben die Grundlage, dass in wenigen Wochen die Taliban in Afghanistan das Zepter in der Hand haben. Das ist nicht Grundlage meiner Annahmen“, erklärte Maas am 9. Juni während einer Fragestunde im Bundestag. Nein, die afghanischen Ortskräfte sind auch Opfer deutscher Arroganz und Verantwortungslosigkeit geworden. „Ist ja nicht so, dass wir sie gezwungen haben, mit uns zusammenzuarbeiten“, zitierte gestern die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung einen Sprecher des Verteidigungsministeriums.

Außenpolitik ohne Weitsicht

Solche Aussagen zeugen nicht nur von Verantwortungslosigkeit und Arroganz, sondern auch von fehlender Weitsicht. Offenbar stellt sich in Berlin niemand die Frage, wie man bei zukünftigen Auslandseinsätzen Ortskräfte für eine Zusammenarbeit gewinnen möchte, wenn man nun in Afghanistan zeigt, dass man erst in letzter Minute bereit ist, den Menschen zu helfen. Loyalität sieht jedenfalls anders aus. Auch innenpolitisch ist es ein fatales Zeichen, mit dem man zeigt, dass man aus den Fehlern der Vergangenheit nicht viel gelernt hat. In den vergangenen Wochen hätte man genug Zeit gehabt, um die zu rettenden Ortskräfte zu verifizieren. Mit der nun wilden Rettungsaktion läuft man auch Gefahr, Personen zu evakuieren, die eventuell eine Gefahr für die Sicherheit in Deutschland sein könnten.

Und wenn man schon beim Thema Militäreinsätze ist, dann muss man auch den Zustand der Bundeswehr ansprechen. Ein Staat, der eine verantwortliche Rolle in der Weltpolitik spielen möchte, braucht auch eine moderne und funktionsfähige Armee. Der Zustand der Bundeswehr ist dagegen eher besorgniserregend. Ansonsten sollte man eher kleiner Brötchen packen.

Anzeige