Daniel McCarthy über die Midterm Elections - „Das wird ein schlechtes Jahr für die Demokraten“

Am 8. November finden in den USA die Midterm Elections statt, bei denen das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt wird. Laut Umfragen steht es für Joe Bidens Demokraten schlecht, an ihrer Mehrheit im Kongress festzuhalten. Im Interview spricht der republikanische Intellektuelle Daniel McCarthy über die Amtszeit Donald Trumps, die seiner Meinung nach schlechten Aussichten für die Demokraten und kritisiert, dass US-Senatoren ihr Amt heute vor allem als Sprungbrett für eine Präsidentschaftskandidatur sehen.

Derzeit möchte keiner auf ihn wetten: US-Präsident Joe Biden / dpa
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Autoreninfo

Gregor Baszak ist freier Journalist und lebt in Chicago. Er publizierte unter anderem in The American Conservative, Makroskop und UnHerd.

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Daniel McCarthy ist Chefredakteur der Zeitschrift Modern Age: A Conservative Review und Kolumnist bei The Spectator. Von 2010 bis 2016 war er Redakteur bei der Zeitschrift The American Conservative, die im Jahr 2002 als Gegengewicht zum damals dominanten Neokonservatismus in der Republikanischen Partei gegründet wurde. Entsprechend offen war McCarthy gegenüber Donald Trump, der Nemesis der neokonservativen Granden innerhalb der Partei. In Vorausschau auf die Midterm Elections in den USA führte Cicero auch ein Interview dem demokratischen Intelektuellen Ruy Texeira

Herr McCarthy, ich sprach kürzlich mit dem demokratischen Parteistrategen Ruy Teixeira. Er glaubt nicht, dass die Demokraten vor den Kongresswahlen im Herbst die Kehrtwende schaffen werden. Teilen Sie die Ansicht? Und was kann man überhaupt von einem republikanisch kontrollierten Kongress erwarten?

Zuerst einmal müssen wir feststellen, dass historisch gesehen US-Präsidenten viele Sitze im Kongress bei den Midterm Elections verlieren. Noch bevor wir auf die Inflation oder die Kriminalität zu sprechen kommen, ist es ganz natürlich, anzunehmen, dass es ein schlechtes Jahr für die Demokraten werden wird. Einfach, weil so die politischen Zyklen verlaufen. Also würde es mich nicht wundern, wenn die Demokraten massive Verluste einfahren. Sie werden ziemlich sicher die Kontrolle über das Repräsentantenhaus verlieren und wahrscheinlich auch über den Senat.

Das heißt?

Die zentrale Frage ist, wie groß die Mehrheit sein wird. Denn sollte die Mehrheit knapp ausfallen, könnten einige gegenüber den Demokraten wohlwollend eingestellte Republikaner, wie die Senatorin Susan Collins aus Maine, den dominanten Block innerhalb der republikanischen Fraktion stellen. Allein das würde schon etwaige republikanische Ambitionen einschränken, was die Gesetzgebung angeht. Die Kontrolle über das Weiße Haus werden sie aber nicht haben, was auch hieße, dass Präsident Joe Biden vom Vetorecht Gebrauch machen könnte.

Also wird es ein Patt?

Genau, wir werden eine Art Rückkehr zur amerikanischen Politik um das Jahr 2014 erleben, als im Kongress Stillstand herrschte. Anstatt neuer Reformen werden wir erleben, dass die Republikaner Untersuchungen der Aktivitäten der Biden-Regierung starten werden. Etwa in der Art des Untersuchungsausschusses zur Benghazi-Affäre. Nur diesmal vielleicht zur Coronapolitik.

Mal angenommen, die  Republikaner erobern 2024 auch das Weiße Haus: Wofür steht die Partei heutzutage überhaupt?

Es steht gerade ziemlich in den Sternen, was bis dahin die großen Themen sein werden. Denn derzeit herrscht Krieg in der Ukraine mit dem Potenzial für weitere Eskalationen. Dann würden in den kommenden Jahren ganz andere Dinge debattiert werden als 2016 bei Donald Trumps erster Kandidatur. Er könnte gewiss wieder nominiert werden und dann wahrscheinlich Themen wie Einwanderung oder das Wahlrecht priorisieren. Richtig detailorientierte Politik wird man von ihm aber nicht erwarten können, sollte er der Kandidat der Republikaner werden. Er hat nicht die technokratische Denkart dafür.

Was meinen Sie?

Wir haben 2017 gesehen, dass Trump mitsamt einer republikanischen Mehrheit in beiden Kammern an die Macht kam; dass er in puncto Gesetzgebung die Kontrolle an Paul Ryan delegierte, den damaligen republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, der sich dann um die Abschaffung von Obamacare kümmerte. Es waren keine erfolgreichen ersten Monate. Schließlich gelangen Trump und den Republikanern letzten Endes doch eine signifikante Steuerreform. Diese senkte nicht nur die Steuern, sondern schaffte klugerweise die Abschreibung lokaler und bundesstaatlicher Steuern ab. Diese Abschreibung war eine Art Subvention für zumeist demokratisch regierte Bundesstaaten mit hohen Steuern. Trump und die Republikaner waren gut beraten darin, diese Abschreibung einzukassieren. Denn sie erlaubte Zuschüsse für schlecht regierte Bundesstaaten wie New York.
 

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Egal, wie die Bilanz von Trumps Präsidentschaft aussieht und was man von ihm halten mag, war das Trump-Phänomen wohl der größte Einschnitt in der Geschichte der modernen USA. Der neoliberale Konsens in Washington DC hielt sich hartnäckig, doch auf einmal tanzte Trump an und warf fast 50 Jahre republikanische Orthodoxie über Bord. Zumindest rhetorisch. Aber hat Trump die Partei wirklich transformiert?

Trump hat die Sprechweise der Republikaner verändert, wie die Partei sich öffentlich präsentiert und mit ihren eigenen Wählern kommuniziert. Thematisch hat er einige Bereiche hervorgehoben, die für mehrere Jahrzehnte missachtet wurden, wie die Einwanderungspolitik. Er hat einen neuen Ansatz zur Außenpolitik entwickelt, auch wenn dieser in gewisser Hinsicht nur eine Rückkehr zur republikanischen Tradition des Realismus darstellte, den die Partei bis Ende des Kalten Krieges verfolgte und dann während der Präsidentschaften von George Bush Sr. und Jr. in Vergessenheit geraten ist. Trump hat zum Beispiel nicht nur die Republikaner, sondern auch die Demokraten dazu gebracht, das Verhältnis der USA zu China neu zu definieren.

Teil seines Realismus war auch sein Verhältnis mit Putins Russland. Doch heute gibt es Krieg in Europa. Das könnte doch die außenpolitisch aggressiveren Falken (Hawks) in der Partei bestärken, oder?

Daniel McCarthy

Ja, fürs erste könnte der Einfall Russlands in die Ukraine den Falken helfen und entsprechend denjenigen schaden, die gegen eine Rückkehr zur Außenpolitik von George W. Bush sind. Aber die Kriege von Bush waren eine Katastrophe für die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Elite. Ähnlich katastrophal könnte der Ukraine-Krieg für Putins Regime sein. Die Haltung der Tauben (Doves) wird sich letzten Endes sowohl in Russland als auch Amerika bewahrheiten. Legitimität in den Augen des Volkes ist ein rares Gut im 21. Jahrhundert, und unnötig angestiftete Kriege erschöpfen sie. Ich musste in letzter Zeit viel an die Präsidentschaft Dwight D. Eisenhowers denken. Nach der Erfahrung des Koreakrieges war der Kern seiner großen Strategie, uns aus ähnlichen Kriegen herauszuhalten. Die darauffolgenden republikanischen Präsidenten folgten seinem Beispiel. Dann entschieden Bush Sr. und Jr., überall zu intervenieren. Aber die Kriege, die von dieser Dynastie angestiftet wurden, stellten sich als Katastrophe für genau die liberale Ordnung heraus, die sie begünstigen wollten.

Wenn man sich im US-Diskurs ansieht, wer gerade die außenpolitische Diskussion mitbestimmt, sind das oft dieselben Figuren, die 2002/03 den Einfall im Irak befürworteten. Insgesamt hat das amerikanische Politikestablishment einen Hauch von Gerontokratie. Trump selbst wäre 2024 dann 77 Jahre alt, sollte er noch einmal antreten. Wie sieht’s mit dem Nachwuchs der Republikaner aus?

Die ältesten Führungskräfte innerhalb der Partei sind Trump selbst und der Fraktionsvorsitzende im Senat, Mitch McConnell, der sich sehr, sehr gut mit den parlamentarischen Regularien auskennt. McConnell erinnert an die ältere Senatorengeneration, die eben diese Regularien meistern wollten. Heutzutage nutzen Senatoren hingegen ihr Amt vor allem als Sprungbrett für eine Präsidentschaftskandidatur. Ich glaube, dieser Wandel hat etwas mit dem Bedeutungszuwachs der Nachrichtensender und der sozialen Medien zu tun. Es scheint, als würden sich die Senatoren nur für Jobs als Fernsehmoderatoren bewerben, anstatt sich auf die Gesetzgebung zu konzentrieren und die Regularien des Senats zu meistern. McConnell ist darum ein wertvolles Überbleibsel aus früheren Zeiten. Darüber hinaus gibt es ziemlich viele junge Führungskräfte, die in ihren 40ern und 50ern sind und sich als Nachfolger Trumps bereitmachen: Marco Rubio und Ted Cruz etwa. Ron DeSantis, der Gouverneur von Florida, ist 43. Der Senatskandidat in Ohio, J.D. Vance, ist 37. Also kann die Partei ziemlich aus den Vollen schöpfen, was jüngere Talente angeht.

Aus Ihrer Perspektive muss das eine erfreuliche Entwicklung sein, denn unter konservativen Publizisten sind Sie wohl einer der größten Kritiker der republikanischen Orthodoxie der letzten Jahrzehnte. Darum verglichen Sie einmal Donald Trump mit Attila und Dschingis Khan: Trump, der Barbar, der die dekadenten Eliten D.C.s beiseite fegen würde. Eine ziemliche provokante Analogie. Möchten Sie sie hier noch einmal ausführen?

Die Römer sahen Attila als Geißel Gottes an und waren entsetzt, als er über Rom zog. Andererseits hatte sich das Römische Imperium zu der Zeit bereits christianisiert, und viele dachten sich, vielleicht sei Attila die gerechte Strafe für unsere Sünden. Und ich dachte da an unsere eigene herrschende Klasse, die sich in den vergangenen 30 Jahren als unglaublich untauglich erwiesen hat sowie unfähig, sich selbst zu reformieren. Darum brauchte es eine Schockfigur, einen Barbaren wie Donald Trump, um Veränderung herbeizuführen.

Ist das immer noch so?

Ja, leider ist diese Analyse weiterhin korrekt: Ich sehe in Washington, vor allem unter republikanischen Führungskreisen, die Tendenz, auf die alten Muster aus der Bush-Ära zurückzufallen, nicht nur im Hinblick auf die Außenpolitik, sondern auch auf eine neoliberale Mentalität. Es war ein Dogma, das nicht nur auf die Optimierung der US-Wirtschaft abzielte, sondern auch auf die der Weltwirtschaft. Und die Art und Weise, wie das gelaufen ist, schadete weiten Teilen der US-Bevölkerung, vor allem den Arbeitern, die die Quelle der Stärke unserer Republik waren. Trump hat den Diskurs verschoben mit Blick auf China sowie unsere Wirtschafts- und Industriepolitik. Selbst die Biden-Regierung hält jetzt an einigen Prioritäten aus der Trump-Ära fest und versucht, die amerikanische Industrie zu stärken. Aber um Washington wirklich aufzumischen, braucht es vielleicht nicht nur einen Donald Trump, nicht nur einen Attila, sondern die gesamte Hunnen-Armee.

Die wie aussehen würde?

Damit meine ich eine Vielzahl an trumpistischen Kandidaten, die für den Kongress antreten. Denn der Kongress als Institution wandelt sich außerordentlich langsam. Das gleiche gilt für die permanente Bürokratenklasse, die sich akut gegen Wandel wehrt. Doch ich glaube, der Wandel wird vor allem auf der präsidialen Ebene stattfinden, und Trump ist in meinen Augen weiterhin die transformativste Figur in der amerikanischen Politik.

Eine Figur, die sich weigerte, ihre Wahlniederlage einzugestehen. Das Bild von Trump als Strafe Gottes mag ja ganz erhellend gewesen sein, um die Dynamiken im Jahr 2016 zu analysieren. Viele Amerikaner waren allerdings schockiert, dass er demokratische Normen zu missachten schien und die friedliche Übergabe der Macht behinderte.

Die Amerikaner haben jedes Recht darauf, genau wie es die Verfassung besagt, Veränderung vom Kongress zu fordern. Sie können sich friedlich versammeln, demonstrieren und sagen: „Hey, wir glauben, da stimmte was mit der Wahl nicht. Wir wollen, dass der Kongress das untersucht und das Wahlprozedere verändert!“ Und der Kongress kann dann entscheiden, ob er diesen Menschen zuhören möchte oder bestehende Regeln beibehält.

Wie lautet Ihre Bewertung?

Ich persönlich glaube, dass die Protestierer falsch lagen mit ihren Behauptungen über die letzte Wahl. Aber es ist ebenso gesund, die Amerikaner diese Fragen stellen zu lassen. Die Demokraten hatten keine Skrupel, selber solche Fragen zu stellen. Im Jahr 2000 behaupteten sie, der Supreme Court hätte George W. Bush das Amt geschenkt. Daneben zweifelten sie an der Legitimität einiger der Wahlmänner aus Ohio. Es gibt also viel Misstrauen quer durch die amerikanische Politiklandschaft, wenn die andere Seite eine knappe Wahl gewinnt. Dieses Misstrauen gilt nicht nur dem Wahlsystem, sondern der gesamten Führungselite des Landes. Die Parteiloyalitäten sind mittlerweile stark negativ definiert. Republikanische Wähler trauen also nicht der eigenen Partei so sehr, als das sie den Demokraten aufs tiefste misstrauen. Das gilt umgekehrt für die Demokraten auch, die die eigene Partei nicht lieben, als vielmehr die andere hassen.

Klingt ungesund.

Ja. Amerika erlebt eine Legitimationskrise. Ich glaube den ganzen übertriebenen Szenarien nicht, wonach dem Land eine „nationale Scheidung“ bevorstehe oder gar ein Bürgerkrieg. Davon sieht man nichts, wenn man draußen herumläuft und mit gewöhnlichen Menschen spricht. Amerika funktioniert ganz gut in dieser Hinsicht. Aber das Land hat wenig Vertrauen in seine eigene Regierung. Der Grund ist, dass diese Regierung in den letzten 30 Jahren viele schlechte Dinge verbrochen hat und damit in der Verantwortung gescheitert ist, dem amerikanischen Volk zu dienen.

Womit wir wieder bei Trump wären.

Donald Trump mag jemand sein, der sehr viel gekonnter Unzufriedenheiten zutage fördern kann, als sie konkret zu adressieren. Darum dachte ich, seine Wahl sei eine Möglichkeit gewesen, dass die beiden Parteien dieses Potential genutzt hätten, wären sie intelligent genug. Stattdessen haben sie Trump auf persönlicher Ebene angegriffen. Aber das ist an der Sache vorbeigegangen, nämlich dass Trump auf die Legitimationskrise des Systems aufmerksam gemacht hat und darauf, dass das System den Menschen nicht gut dient.

Das Gespräch führte Gregor Baszak. 

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