Coronavirus - Stammt SARS-CoV-2 aus einem Labor in Wuhan?

Berichte von US-Diplomaten legen nahe, dass das neue Coronavirus seinen Ursprung in einem Labor in Wuhan haben könnte. Aber internationale Fachleute sehen dafür keine Belege. Das chinesische Außenministerium dementiert die Berichte. Die Zweifel wachsen trotzdem.

Wie die Infektionskette verlief, können Wissenschaftler nur durch weitere Forschung beantworten / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Die Geschichte ist nicht neu: Als das Coronavirus im Februar seine tödliche Reise um den Globus begann, kursierten im Internet Berichte über ein chinesisches Labor, das mit Coronaviren experimentierte, und das zudem im Zentrum der Stadt Wuhan liege. Könnte es also nicht sein, dass das Coronavirus durch einen Laborunfall in die Außenwelt gelangt war?

Denn auch 2004, nachdem die SARS-Epidemie - auch sie ausgelöst von einem Coronavirus - von 2002/2003 schon überstanden war, kam es zu einem weiteren SARS-Ausbruch, der laut einem WHO-Bericht auf Infektionen im Chinesischen Institut für Virologie in Peking zurückzuführen war.

„Ernsthafter Mangel“

Internationale Wissenschaftler haben die Möglichkeit, dass das SARS-CoV-2-Virus seinen Anfang in einem der Labore von Wuhan genommen hat, bisher fast einstimmig als Verschwörungstheorien zurückgewiesen. Nun berichtet die Washington Post aber über zwei als „für den Dienstgebrauch“ eingestufte Berichte der US-Botschaft in Peking, die über Verschwörungstheorien hinausgehen.

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Im Zentrum steht das „Wuhan Institut für Virologie“, das 2015 die höchste biologische Schutzstufe (BSL-4) erhalten hatte – und das bei der Einhaltung der Sicherheitsstandards unter anderem mit US-amerikanischen Universitäten kooperierte. Zweimal besuchten medizinische Diplomaten der US-Botschaft in Peking das Labor, zuletzt im März 2018. In einem Bericht warnten sie davor, die Arbeit des Labors zu Coronaviren, die ihren Ursprung in Fledermäusen haben und auf Menschen übertragen werden können, berge das Risiko einer SARS-ähnlichen Pandemie. Am 19. Januar verfassten die Diplomaten einen Bericht, aus dem die Washington Post zitiert: „Im Austausch mit den Wissenschaftlern am Wuhan Institut für Virologie stellten sie fest, dass das neue Labor einen ernsthaften Mangel an ausreichend ausgebildeten Technikern und Forschern aufweist, die nötig sind, um in einem Hochsicherheits-Labor zu arbeiten.“

Die Geschichte vom Fischmarkt

Über den Besuch der US-Diplomaten berichtete das Institut in Wuhan auch auf seiner Webseite – allerdings wurde der Bericht vor wenigen Tagen gelöscht. Die offizielle chinesische Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Virus lautet bis heute: der Fischmarkt der Stadt Wuhan. Das chinesische Außenministerium hat die us-amerikanischen Berichte vehement zurückgewiesen. Je lauter jedoch die Zweifel an dieser Version werden, desto rigider reagiert die Führung in Peking. Dieser Tage hat die chinesische Führung strenge staatliche Kontrollen für wissenschaftliche Arbeiten zum Ursprung des neuen Coronavirus erlassen.

Die Geschichte vom Fischmarkt als Ursprung des Virus ist dabei richtig und falsch zugleich: Denn laut einem Bericht chinesischer Wissenschaftler, veröffentlicht im Medizin-Journal „The Lancet“, waren tatsächlich zwei Drittel der 41 ersten Corona-Fälle in Verbindung mit dem Fischmarkt entstanden – aber der erste bekannte Fall, der sogenannte Patient Null, hatte keinerlei Verbindung zum Markt, ebensowenig 13 weitere. Das steht in eben diesem Bericht.

So naheliegend, dass es stimmen muss

Eine weitere Forschungseinrichtung, in der ebenfalls zu Coronaviren geforscht wurde, ist das „Wuhan Center for Disease Control and Prevention“ (WHCDC), mit dem sich der chinesische Biologe Botao Xiao in einer Studie beschäftigte, die er allerdings nach der Veröffentlichung wieder zurückzog - die als Kopie aber weiter online zu lesen sind. Das Labor verfügt nur über die biologische Schutzstufe 2, liegt aber weniger als 300 Meter vom Fischmarkt – dem angeblichen Ursprung der jetzigen Pandemie – entfernt.

Nur wenige hundert Meter entfernt vom Herd der Epidemie, Experimente mit Coronaviren, niedriger Sicherheitsstandard - all das klingt so naheliegend, dass es stimmen muss. Oder doch nicht? Sind das wirklich ausreichende Belege, um den Ursprung des SARS-CoV-2-Virus aus einem der beiden Labore zu belegen? Wissenschaftlern zufolge nicht.

Die Zweifel wachsen

Der australische Virologe Edward Holmes, der sich in diesem Jahr in mehreren Studien mit dem Ursprung des neuen Coronavirus auseinandergesetzt hat, erklärte nach der Veröffentlichung der Washington Post auf der Seite seiner Universität, es gebe keine Belege dafür, dass das Virus aus einem Labor in Wuhan stamme. Zwar gebe es am Institut für Virologie in Wuhan ein Fledermaus-Virus namens RaTG13, das so eng wie kein anderes mit dem SARS-CoV-2- Virus verwandt sei. Der Unterschied des Genoms entspreche jedoch mindestens 20 Jahren an Evolution, was ausschließe, dass es an diesem Ort aus diesem entstanden sein könnte.

Auch die international als „Batwoman“ bekannt gewordene Virologin Shi Zhengli, die am Wuhan Institut für Virologie die Forschungen zu aus Fledermäusen stammenden Coronaviren leitet, erklärte wiederholt: „Ich schwöre bei meinem Leben: Das Virus hat nichts mit dem Labor zu tun.“  Zwar scheint sicher zu sein, dass der Ursprung des neuen Virus in Fledermäusen liegt, aber keine der Genomsequenzen des neuen Coronavirus stimmt mit den Viren überein, die Shi Zhengli und ihre Kollegen in den letzten Jahren in Fledermaus-Höhlen in einem anderen Landesteil gesammelt hatten.

Am wahrscheinlichsten erscheint deshalb zu diesem Zeitpunkt, dass das Virus von einer Fledermaus auf andere Tierarten und von diesen auf den Menschen übertragen wurde, so wie es nach dem aktuellen Stand der Forschung schon beim letzten SARS-Ausbruch 2002 der Fall war. Über welche Tiere die Infektionskette verlief, können Wissenschaftler nur durch weitere Forschung beantworten. Zweifel an dieser Version lassen sich durch die rigide Informationspolitik der chinesischen Behörden jedoch nicht ausräumen. Sie wachsen eher.

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