Corona in Israel - Zurück im Leben

Für Israel ist Corona praktisch „überstanden“: Fast zwei Drittel der Menschen sind vollständig geimpft, und auch für geimpfte Touristen werden die Grenzen wieder geöffnet. Doch einige offenen Fragen gibt es noch zu beantworten. Eine davon betrifft die Rolle der Corona-Mutationen.

Endlich wieder Party: Israel hat die Maskenpflicht für draußen wieder aufgehoben / dpa
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Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

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Die Bilanz der Regierung  nach mehr als einem Jahr der Pandemie ist verheerend. Zu wenig Impfstoff und keine Perspektive, dass Deutschland irgendwann wieder aus dem Tiefschlaf erwacht. Täuscht der Eindruck, oder klappt das Krisenmanagement überall anders auf der Welt besser? Diese Frage haben wir unseren Korrespondenten gestellt. In einer Serie werden sie aus dem Alltag in ihrer Wahlheimat berichten.

Es waren Szenen wie aus einer Zeit, die noch nicht weit zurückliegt und sich doch so fern anfühlt: Tausende Menschen drängten sich am Mittwochabend auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv, Junge, Alte, Kinder, um den Auftakt des israelischen Unabhängigkeitstags zu feiern. Von Dachterrassen dröhnten Housemusik und israelischer Pop, vor überlaufenen Bars bildeten sich Trauben aus jungen Männern und Frauen, und derart viele Menschen zogen durch die Straßen im Zentrum der Stadt, dass der Verkehr mancherorts zum Erliegen kam.

Die obligatorischen Masken, die manche – längst nicht mehr alle – der Passanten über dem Mund trugen oder auch unter dem Kinn baumeln ließen, waren die einzige sichtbare Erinnerung an die Pandemie, die noch vor wenigen Monaten das öffentliche Leben auch hier zum Erliegen gebracht hatte.

Impfquote von fast 60 Prozent

Wonach sich so viele Menschen in Europa sehnen, ist in Israel schon Realität: die Rückkehr ins Leben. Cafés, Restaurants, Kinos, Theater, Museen und Fußballstadien, all das hat schon seit Wochen wieder geöffnet. Zwar verlangen viele Einrichtungen zum Eintritt den sogenannten Grünen Pass, jenes digitale Dokument, das seine Träger als geschützt ausweist gegen das Covid-19-Virus; entweder, weil sie sich dagegen haben impfen lassen oder eine Erkrankung damit überstanden haben.

Doch mit einer Impfquote von fast 60 Prozent gibt es in Israel genügend Menschen, um Strandbars, Fitnessstudios und Galerien zu bevölkern. Zudem handelt es sich bei einem erheblichen Anteil der Ungeimpften um Kinder unter 16 Jahren, die noch nicht für die Impfung zugelassen sind. Das könnte sich demnächst ändern: Manche israelische Gesundheitsexperten drängen auf die Absenkung der Altersgrenze auf zwölf Jahre, sobald der Pfizer/Biontech-Impfstoff, den Israel vorwiegend einsetzt, für diese Altersgruppe zugelassen wird.

Positivtrend nimmt Fahrt auf

Dank einer Impfkampagne, deren Geschwindigkeit und Effizienz weltweit ihresgleichen sucht, sind die Infektionszahlen in Israel in den vergangenen Monaten drastisch gefallen. Während sie noch Mitte Januar Rekordwerte von über 10.000 Neuinfizierten pro Tag erreichten, meldete das Gesundheitsministerium zuletzt nur noch zwischen 100 und 300 Fälle täglich. Weder die Öffnung der Gastronomie Anfang März noch das Pessachfest wenige Wochen später hat den Trend aufgehalten.

„Israels 73. Unabhängigkeitstag markiert auch seinen Exit von Covid-19, zumindest für den Moment“, schreibt Eran Segal auf Twitter, ein Experte für Genetik und maschinelles Lernen am israelischen Weizmann-Institut, der sich seit Ausbruch der Pandemie mit seinen Analysen von Covid-Daten einen Namen gemacht hat. Dazu veröffentlichte er eine Grafik, die zeigt: Seit Mitte Januar fiel die Zahl der schweren Covid-19-bedingten Krankheitsverläufe in Israel um 93 Prozent, die Zahl der Todesfälle wiederum sank im selben Zeitraum um 87 Prozent. „Die verbleibenden Restriktionen“, schlussfolgerte der Wissenschaftler, „können wahrscheinlich aufgehoben werden“. 

Tore werden teilweise geöffnet

Noch sind in Israel einige Beschränkungen zur Eindämmung des Virus in Kraft: Nicht nur müssen Ungeimpfte auf viele Freiheiten verzichten, es gelten auch Beschränkungen für Versammlungen in geschlossenen Räumen, zudem bleiben die Grenzen vorerst für die meisten Nichtstaatsbürger geschlossen. Bis vor kurzem operierten Schulen nur eingeschränkt, und das Tragen von Masken ist vorgeschrieben, selbst für Menschen, die allein ihren Hund ausführen. 

Seit Sonntag soll die Maskenpflicht im Freien jedoch fallen, und die Schulen dürfen zum Regelbetrieb zurückkehren. Auch für Israelfreunde in der Ferne gibt es frohe Nachrichten: Ab dem 23. Mai will das Land seine Tore für gegen Covid-19 geimpfte Touristen öffnen, sofern sie in organisierten Gruppen einreisen und einen negativen Coronatest vorweisen können. Sofern die erste Welle der Besucher das Infektionsgeschehen nicht negativ beeinflusst, will Israel bald darauf auch Individualtouristen wieder Einlass gewähren.

Die Euphorie steigt

Die Stimmung im Land ist gelöst, erleichtert, euphorisch gar; das Virus scheint besiegt, die Zeit der langen Lockdowns vorbei. Manche israelischen Gesundheitsexperten glauben, das Land nähere sich der lang ersehnten Herdenimmunität. „Wir sind sehr nah dran“, meint etwa der Medizinprofessor Cyrille Cohen, der das Labor für Immuntherapie an der israelischen Bar-Ilan-Universität leitet.

Doch auch in Israel ist die Pandemie noch längst nicht Vergangenheit, gibt es noch viele offene Fragen zu beantworten. Eine davon betrifft die Rolle von Mutationen: Am Freitag meldete das Gesundheitsministerium die ersten sieben Fälle der sogenannten indischen Variante, die als besonders gefährlich eingeschätzt wird und von der nicht bekannt ist, ob die bisher angewandten Impfstoffe gegen sie schützen.

Inmitten des Trubels am israelischen Unabhängigkeitstag fasste eine Taxifahrerin die Lage mit typisch israelisch-robustem Humor zusammen. „Wer weiß, was kommt“, sagte sie, „Corona, Krieg mit dem Iran – hier kann immer alles passieren.“ 

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