Corona-Immunisierung - Von Israels Impferfolg kann Deutschland nur träumen

Bis Ende März will Israel fast alle erwachsenen Bürger impfen und die Rückkehr zur Routine einleiten. Ein Zeitplan, von denen die meisten Länder nur träumen können. Doch es gibt auch Kritik.

Bis Ende März will Israel fast alle Bürger immunisiert haben / dpa
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Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

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Ein Jahr lang hat die Menschheit auf einen Impfstoff gegen das Corona-Virus gewartet. Nun, da er da ist, wirft er neue Probleme auf – zumindest in manchen Teilen der Welt: Während Deutschland etwa über Bürokratie, Priorisierung und Lieferschwierigkeiten streitet, impft Israel seine Bevölkerung im Rekordtempo durch. 

Gut 30 Prozent der israelischen Bürger haben nach Angaben des Online-Portals „Our World in Data“ der Oxford-Universität mindestens die erste Spritze gegen das Virus erhalten, mehr als in jedem anderen Land. Deutschland liegt sowohl in absoluten Zahlen als auch anteilsmäßig abgeschlagen dahinter. Bis Ende März, so hofft Israels Regierung, sollen nahezu alle erwachsenen Bürger gegen das Virus immunisiert worden sein. Dann will sie die Rückkehr zur Routine einleiten. Ein Zeitplan, von denen die meisten Länder nur träumen können. 

Impfstoff-Überschuss

Eine Reihe von Faktoren trägt zum Erfolg der israelischen Impfkampagne bei, etwa die Geographie: Das Land ist klein, und ein großer Teil seiner gut neun Millionen Einwohner konzentriert sich an einigen urbanen Zentren, was die Logistik vereinfacht. Für entscheidend halten Experten jedoch zwei andere Dinge: die schnelle Impfstofflieferung und die physische und digitale Infrastruktur des Landes.

Während in Europa über Impfstoffmangel geklagt wird, könnte sich in Israel Berichten zufolge bald ein Überschuss ansammeln. Zwar gibt die Regierung nicht bekannt, welche Mengen sie von den Herstellern Pfizer, Moderna und AstraZeneca bestellt hat. Fest steht jedoch, dass es trotz des rasanten Tempos der Aktion keine Nachschubschwierigkeiten gibt. Bisher setzt Israel nur das Produkt des US-Konzerns Pfizer ein, der das Land offenbar bevorzugt beliefert – und seit kurzem ist auch bekannt, warum: Israel hat wohl nicht nur mehr Geld bezahlt, sondern sich außerdem verpflichtet, dem Konzern allerhand Gesundheitsdaten zu übermitteln.

Pfizer hat Zugriff auf Informationen jeglicher Art

Nach Kritik von Datenschützern machte Israels Gesundheitsministerium Teile des Abkommens mit Pfizer vor kurzem öffentlich. Das Ziel des gemeinsamen Projekts besteht demnach darin, „zu bestimmen, ob nach einem bestimmten Prozentsatz der Impfabdeckung in Israel Herdenimmunität erzielt wird“. Damit die Impfkampagne „genügend Daten so schnell wie möglich“ erzeugt, soll Pfizer für schnelle und umfangreiche Impfstofflieferungen sorgen. 

Zu den Daten, die Israels Gesundheitsministerium dem Konzern übermittelt, gehören die Zahl der neuen Covid-19-Fälle und der Covid-19-bedingten Krankenhauseinlieferungen, Informationen, die sich auch in Zeitungen lesen lassen. Das Abkommen sieht jedoch auch vor, dass Pfizer zusätzliche Daten erbitten kann, etwa über nicht weiter beschriebene „demografische Untergruppen“. „De facto bedeutet das, Pfizer kann jegliche Art von Informationen erfragen und erhalten, die es sich wünscht“, kritisiert die Juristin Tehilla Shwartz Altshuler. Sie forscht am Israel Democracy Institut, einem liberalen Think Tank, und sitzt im Vorstand der israelischen Bewegung für digitale Rechte, einem Aktivistenverband. 

Die Regierung wiederum unterstreicht die Vorteile des Pfizer-Deals. Ohne einen solchen Vertrag, sagte Gesundheitsminister Yuli Edelstein kürzlich der Financial Times, „würde keine Firma auch nur in unsere Richtung schauen – sie würde sich nach Märkten umsehen, die hundertmal so groß sind“.

Auch 16-Jährige können sich impfen lassen

Der zweite Schlüsselfaktor für den Erfolg der Impfaktion ist die digitale und physische Infrastruktur des israelischen Gesundheitssystems. Sämtliche erwachsenen Bürger sind bei einer von vier großen Krankenkassen versichert, die schon in den 90er-Jahren mit der Digitalisierung von Patientenakten begonnen haben. Mit diesen Datenbanken können sie nun leicht bestimmen, welche Versicherten zur Impfung zugelassen sind, und diese Menschen per E-Mail oder SMS kontaktieren. Während eine aufreibende Bürokratie in Deutschland den Weg zur Immunisierung erschwert, buchen Israelis ihren Impftermin telefonisch oder online, empfangen Erinnerungs-SMS und erhalten automatisch den Termin für die Folgeimpfung. Der Weg zur nächsten Impfstation ist in den meisten Fällen kurz: Die Krankenkassen unterhalten mehrere hundert im ganzen Land. 

Zu Beginn der Aktion durften sich in Israel nur über 60-Jährige und medizinisches Personal immunisieren lassen. Inzwischen hat die Regierung die Altersgrenze auf 40 Jahre gesenkt, doch weil die Krankenkassen den täglich verfügbaren Impfstoff vielerorts nicht aufbrauchen, laden sie oft auch Jüngere ein. Seit kurzem dürfen sich mit der Erlaubnis ihrer Eltern sogar Jugendliche ab 16 impfen lassen, damit sie schneller wieder zur Schule zurückkehren können.

Noch kein spürbarer Effekt

Einen spürbaren Effekt auf den Alltag hat die Kampagne trotz ihrer beeindruckenden Geschwindigkeit noch nicht. Vor anderthalb Wochen stieg die Zahl der täglichen Neuinfektionen auf ein Rekordhoch von über 10.000. Die Rate kommt zwar auch dadurch zustande, dass Israel nun mehr Tests durchführt als zuvor. Doch die absoluten Zahlen beunruhigen ebenfalls: Über tausend kritische Fälle gibt es, Krankenhäuser klagen über Überlastung. Experten rechnen damit, dass sich der Effekt der Impfaktion erst in den kommenden ein, zwei Wochen einstellen wird, nachdem mehr Menschen die zweite Dosis des Pfizer-Produkts erhalten haben, die zur nahezu vollständigen Wirkung des Impfstoffs notwendig ist.

Bis auf Weiteres kämpft die Regierung also gegen die Ausbreitung des Virus. Gerade hat sie beschlossen, den Ben-Gurion-Flughafen bis Ende des Monats für Auslandsflüge zu schließen, und denkt laut über eine weitere Verlängerung des Lockdowns nach, der seit Ende Dezember in Kraft ist und eigentlich am kommenden Sonntag auslaufen sollte. 

„Ich stelle mir das Bild zweier Autos vor“, sagte Gesundheitsminister Edelstein im Gespräch mit der Financial Times. „Links ist das Auto mit dem Impfstoff und rechts die hohen Zahlen und steigenden Infektionen. Ich hoffe nur, dass das Auto mit dem Impfstoff zuerst über die Ziellinie fährt.“

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