Corona-Bonds - Deutschland muss springen, damit die EU überlebt

Die Regierungen der Europäischen Union liegen im Zwist über mögliche Corona-Bonds. Dabei könnte das Schuldeninstrument nicht nur kurzfristig das Schlimmste abwenden, sondern langfristig auch die Europäische Union stabilisieren.

Die letzte Rettung der EU? / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Dr. Friedbert Pflüger lehrt am CASSIS, Universität Bonn Internationale Klima- und Energiepolitik und ist seit 2014 Senior Fellow des Atlantic Council der USA. Er war 16 Jahre Bundestagsabgeordneter (CDU) und Verteidigungs-Staatssekretär in der ersten Regierung Merkel. Pflüger ist seit 2009 Geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Bingmann Pflüger International (BPI).

So erreichen Sie Friedbert Pflüger:

Anzeige

Wer in diesen Tagen mit Freunden aus Italien, Spanien oder Frankreich spricht – der hört die eine beschwörende Botschaft: Wenn Deutschland beim „Nein“ zu Corona-Bonds bleibe, sei das der Anfang vom Ende der EU. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jaques Delors warnt, dass ausbleibende Solidarität eine „tödliche Gefahr“ für die EU bedeute.

EIB-Präsident Werner Hoyer sieht das ganze europäische Projekt auf dem Prüfstand. Man bewundert Deutschland in der EU für sein Gesundheitswesen, das im internationalen Vergleich an der Spitze steht, für seine effektiven ökonomischen Hilfspakete für seine Unternehmen. Und man blickt einmal mehr – und völlig zu Recht – zu Angela Merkel auf, die in der größten Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges das Land entschieden und besonnen führt: Best Governance genau dann, wenn es besonders darauf ankommt.

Wer im Stich gelassen wird, vergisst das nicht

Aber nun droht ein Fehler mit furchtbaren Folgen. Wer in einer existentiellen Krise das Gefühl hat, allein gelassen zu werden – der vergisst das nie. Was wir im persönlichen Bereich erleben, gilt genauso für die Beziehungen unter Ländern. Corona-Bonds sind zum Symbol dafür geworden, ob es in diesen Zeiten europäische Solidarität gibt oder nicht. Wir können uns dieser Wahrheit nicht verschließen.

Wenn die Eurogruppe am 7. April Corona-Bonds ablehnt, droht nach der Gesundheits- und Wirtschaftskrise eine genauso verheerende politische Verwerfung in Europa. Das Signal wäre: Europa ist eine Schönwetter-Veranstaltung. Es hat sich vom Trump-Virus infizieren lassen. Jeder denkt nur an sich.

Unpopulär, aber richtig

In Italien hat sich in wenigen Tagen eine Italexit-Bewegung formiert. 2011, als Banken- und Eurokrise eine Debatte über Eurobonds erzwangen, verweigerte sich Deutschland. Mit gutem Grund: Die Einführung einer generellen gemeinschaftlichen Haftung hätte diejenigen belohnt, die sich seit Jahren notwendigen ökonomischen und sozialen Reformen entziehen. Falsche Standards wären gesetzt worden.

Es war damals in Europa unpopulär, aber richtig, dass der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble ein bail-out ablehnte. In der Debatte um Corona-Bonds aber geht es nicht um die grundsätzliche Veränderung der europäischen Haftungsstrukturen. Es geht – wie italienische Bürgermeister, Abgeordnete und ehemalige Ministerpräsidenten in ihrem Hilferuf in der FAZ dargelegt haben – um die Bereitstellung ausreichender Mittel für einen großen europäischen Rettungsplan.

Verweigerung ist ein Verstoß gegen die Solidarität

Der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, ein vehementer Gegner dauerhafter Eurobonds, hat in der vergangenen Woche ganz in diesem Sinn eine europäische Rettungsanleihe vorgeschlagen. Es bedürfe eines „gemeinsamen starken Signals an die Finanzmärkte, dass Wetten gegen die Eurozone und einzelne Mitgliedsstaaten keinen Sinn machen.“ Und fast nebenbei sagt er das, was unsere Regierung bedenken sollte: „Auch die Ordnungspolitik muss Dinge in Raum und Zeit würdigen“.

Mit anderen Worten: Springt angesichts der dramatischen Lage über euren ideologischen Schatten! Die Verweigerung Deutschlands wäre nicht nur ein Verstoß gegen den Gedanken der europäischen Solidarität in Zeiten der größten Krise. Die Verweigerung liegt auch nicht im deutschen Interesse.

Germany first?

Unsere exportorientierte Wirtschaft braucht einen funktionierenden europäischen Binnenmarkt – und keine ökonomisch kollabierenden Nachbarn. Ein Freund aus Luxemburg sagte mir vor wenigen Tagen: „Wer im Angesicht von Hunderten Toten täglich alleingelassen wird, der wird nie wieder Mercedes, Siemens oder Bosch nachfragen.“

Die Bewunderung für Deutschland könnte leicht in Neid und Hass umschlagen: Das sowieso oft als dominant empfundene Land im Herzen Europas, das in der jüngsten Geschichte soviel Leid über die Welt gebracht hat, aber nach dem Krieg soviel internationale Solidarität erfahren hat – was macht dieses Land jetzt mit seiner Stärke! „Germany first“ wäre nicht nur ein politisch-moralischer Ausverkauf, sondern wäre auch interessenvergessen.

Dass der europäische Zusammenhalt letztlich eine Frage von Krieg und Frieden ist, war das Mantra Helmut Kohls. In der heutigen geopolitischen Situation gilt dieser Satz mehr denn je. Angela Merkel hatte es doch schon im Mai 2017 auf den Punkt gebracht: Auf die USA ist kein Verlass mehr. China nutzt immer selbstbewusster seine neue Macht, Russland seine alte. Wenn wir in Zeiten wachsender Großmacht-Konkurrenz keine starke europäische Botschaft aussenden, wenn vor allem kein Schulterschluss zwischen Paris und Berlin zustande kommt  – das wäre verheerend.

Anzeige