Bundeswehr in Mali - „Wir brauchen einen ganzheitlichen Sahel-Plan“

Die Militärregierung in Mali hat den französischen Botschafter des Landes verwiesen. Damit steht die europäische Mission in dem westafrikanischen Land insgesamt in Frage. Der Publizist und ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels erklärt im Interview, was die Bundeswehr eigentlich in Mali macht und wie eine gesamteuropäische Strategie für die Region aussehen müsste.

Gedenken an gefallene Soldaten in Mali im Oktober 2021 / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Der Sozialdemokrat Hans-Peter Bartels war von 2015 bis 2020 Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages.

Herr Bartels, der französische Botschafter Joël Meyer musste Anfang der Woche auf Anordnung der militärischen Übergangsregierung in Mali das Land verlassen. Ist das das letzte Indiz dafür, dass die europäische Mission in Mali endgültig gescheitert ist?

Wenn sie gescheitert sein sollte, dann nicht erst jetzt. Wir beobachten ja seit Jahren schon, dass alle Erfolgsindikatoren für unser Engagement sich ins Negative drehen: Das Gewaltniveau in Mali steigt, es gibt mehr Terroranschläge, und von guter Regierungsführung kann schon gar keine Rede mehr sein. Man hat jetzt bereits zum zweiten Mal hintereinander eine Militärjunta an der Staatsspitze. Und auch die Lebensbedingungen der Bevölkerung sind nicht besser geworden, die Wirtschaft läuft schlecht. Als Bilanz ist das katastrophal.
 
Die Situation zwischen Frankreich und Mali ist unter anderem deshalb eskaliert, weil Frankreich hat durchblicken lassen, dass es seine Truppen verringern werde. Wäre das nicht ohnehin automatisch das Ende des deutschen Engagements?

Wir sind nach Mali gegangen, weil unsere französischen Freunde uns 2012 um solidarische Mithilfe gebeten haben. Da wäre es seltsam, wenn die Bundeswehr in den EU- und UN-Missionen in Mali engagiert bliebe, während sich die Franzosen zurückziehen. Aber es geht auch um mehr als nur um Mali. Es geht um einen wesentlichen Teil der Sahelzone, wozu Niger, der Tschad, Burkina Faso und Mauretanien gehören, die sogenannten „G5 Sahel“. Auch in Burkina Faso hat es jüngst einen Militärputsch gegeben. Im benachbarten Niger bilden wir seit Jahren bilateral einheimische Truppen aus. Doch ohne das Solidaritätsmotiv, Frankreich in seinen ehemaligen Kolonien zu helfen, stünde Deutschland politisch nackt da: Wir haben kein eigenes Konzept, keinen eigenen Ehrgeiz.
 
Im Mai steht im Bundestag ohnehin die Verlängerung der Mandate für die Missionen an. Wird spätestens dann das Ende des Bundeswehreinsatzes besiegelt?

Es dürfte diesmal nicht nur eine Diskussion über das „Wie“, sondern ganz bestimmt auch über das „Ob“ geben. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass dann das deutsche militärische Engagement eingestellt wird.
 
Wäre das denn aus malischer Sicht überhaupt ratsam?

Wer weggeht, hinterlässt ein Vakuum. Und das können andere Akteure füllen. Wir sehen ja jetzt schon russische Söldner in Mali. Auch die Chinesen scheinen an der Sahelzone interessiert zu sein. Man überließe die Region also keineswegs „sich selbst“, sondern anderen, autoritären Mächten mit geostrategischen Interessen. Dass dies aus Sicht der malischen Bevölkerung dann besser ist, wage ich zu bezweifeln.
 
Versuchen wir also eine Bestandsaufnahme: Was hat man in den zurückliegenden Jahren versäumt? Und warum wurden die Regierungsstrukturen am Ende immer instabiler, statt dass man die demokratischen Kräfte nachhaltig gestärkt hätte?

Hans-Peter Bartels / dpa

Wenn gut gemeinte Hilfe partout nicht erfolgreich ist, dann müssen die Helfer sich schon fragen, was sie falsch machen. Ich glaube, wir haben über Mali die gleiche Art internationales Chaos ausgegossen wie über Afghanistan. Es gab unendlich viel guten Willen, eine Menge Geld, sehr viele ganz unterschiedliche, eigenständige Akteure und parallel laufende Programme – und im Gegensatz zu Afghanistan hier keinen großen amerikanischen Bruder. Es wäre also an den Europäern gewesen, einen realistischen Plan zu entwickeln, eine Strategie, eine verbindliche Form der Koordination und der Führung. Stattdessen gibt es allein im Bereich des Militärs eine UN-Mission mit Soldaten aus 36 Nationen, dazu eine EU-Ausbildungsmission, an der sich 25 Nationen beteiligen, daneben eine französisch geführte Antiterror-Koalitionstruppe, dann unilateral agierendes französisches Militär, auch eine nationale deutsche Beratergruppe, natürlich die malische Armee, zusätzlich die mit ihr verbündeten Tuareg-Milizen im Norden sowie die Milizen, mit denen ein Friedensabkommen besteht. Da braucht man, salopp gesagt, eigentlich keinen Gegner mehr, um sich in einer komplexen militärischen Lage zu verlaufen.
 
Heißt das letztlich auch, dass Europa Militärmissionen ohne die Amerikaner nicht zielführend hinbekommt?

Ich kenne zumindest keinen ganzheitlichen Sahel-Plan, den die deutsche Regierung zusammen mit anderen Regierungen abzustimmen versucht hätte. Das aber hätte es gebraucht.
 
Dabei wollten doch gerade wir Deutschen am Beginn der Mission zeigen, dass wir internationale militärische Verantwortung übernehmen können. Belegt die aktuelle Situation also auch, dass wir das eben nicht können und dass wir an der großen Herausforderung gescheitert sind?

Es ist kein rein deutsches Problem. In der EU hätte man sich zusammensetzen müssen, um ein europäisches Konzept für die Region zu entwickeln. Dafür hätten Deutschland und Frankreich verbindliche Führungsverantwortung übernehmen müssen. Nur dabei sein, reicht nicht. Unsere Haltung lautet allzu oft: „Man kann nicht nichts tun“, also beteiligen wir uns irgendwie ein bisschen, am besten bei nicht-letalen Aktivitäten wie Aufklärung oder Ausbildung. Die große Ausnahme ist übrigens unser Balkan-Engagement. Da hat Deutschland sehr erfolgreich politische und militärische Führungsverantwortung übernommen.
 
Ist Militärausbildung nicht beste Hilfe zur Selbsthilfe?

Naja, da steht, etwas überspitzt gesagt, ein deutscher Feldwebel und erklärt in gutem Englisch, wie man richtig schießt; ein Sprachmittler übersetzt ins Französische und wieder ein anderer in die Stammessprache. So lernt der malische Rekrut mit seinem Holzgewehr das Kämpfen. Richtig effektiv ist das wohl nicht! Darauf haben unsere Mali-Kontingente in ihren Erfahrungsberichten durchaus schon hingewiesen.
 
Gibt es denn von malischer Seite überhaupt noch ein Interesse an der Kooperation? Immerhin hat man Ende Januar sogar deutschen Militärflugzeugen ein Überflugverbot erteilt.

Ein objektives Interesse an Hilfe durch den Westen dürfte es geben. Säkulare Freiheit und Demokratie sind ja nicht unbekannt. Die malische Zivilgesellschaft war vor dem ersten Putsch 2012 relativ bunt. Mali war ein Land mit Pressefreiheit und konkurrierenden Parteien, keine islamistische Gesellschaft. Es gab dort einen sehr moderaten Islam; das gilt übrigens auch für die Nachbarländer. Aber jetzt kommt zum Beispiel von der arabischen Halbinsel Geld in die Region, und man sieht mit einem Mal radikale wahhabitische Moscheen.
 
Aber wer sind denn für die Europäer aktuell überhaupt die Ansprechpartner nach den zwei Putschen?

Schwierig! Doch natürlich erst einmal die gegenwärtig Regierenden, mit denen man den demokratischen Übergang verhandelt. Das muss aus einer starken europäischen Position heraus geschehen, bei der die Länder, die dort Hilfe leisten, gemeinsam auftreten. Es kann ja wohl nicht sein, dass die Anwesenheit einiger hundert russischer Söldner so viel mehr wiegt als das, was die europäischen Partner gemeinsam hinbekommen könnten.
 
Sie haben vorhin bereits auf die Parallelen zu Afghanistan hingewiesen. Nimmt man beide Missionen einmal zusammen, was sind dann mögliche Lehren für die Zukunft?

Wir müssen uns immer klar darüber sein, ob wir wirklich Verantwortung für den Erfolg einer Intervention übernehmen wollen oder ob wir einzig aus Solidarität mit Dritten irgendwie dabei sind. Wenn man aber Verantwortung übernehmen will, dann braucht es ein Konzept, eine gemeinsame Strategie und eindeutige Führung.
 
Und einen langen Atem?

Natürlich. Wenn wir zum Beispiel wirklich Mitverantwortung für eine effektive Militärausbildung übernehmen wollen, dann ist unser klassischer Kontingentwechsel-Rhythmus kontraproduktiv. Dann brauchen wir eine überschaubare Zahl Soldatinnen und Soldaten, die in dem Land wirklich leben, die Sprache sprechen, für drei oder fünf Jahre bleiben und eine Logistikschule oder eine Offiziersakademie betreiben – und die dann auch wissen, wen sie da eigentlich ausbilden.
 
Fehlt es der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik aber nicht letztlich an etwas Grundsätzlicherem: an den langen Linien und an der grundsätzlichen Definition deutscher Interessen?

Dieses Defizit scheint erkannt zu sein. Deshalb steht im Ampel-Koalitionsvertrag, dass wir eine nationale Sicherheitsstrategie formulieren wollen. Woran es schon jetzt nicht mangelt, sind Einzelpapiere zu einigen Weltregionen. Es gibt eine Indo-Pazifik-Strategie und auch eine Afrika-Strategie. Das Sahelproblem aber ist dadurch nicht abschließend beantwortet. Wenn wir uns dort wirklich engagieren wollen, dann müsste das so ernsthaft wie auf dem Balkan sein. Da kann man dann nicht sagen: Okay, das ist blöd jetzt, aber es hat nicht funktioniert, wir gehen mal wieder! Denn wir hinterlassen 80 Millionen Menschen in fünf Ländern, die auf dem „Human Developement Index“ ganz unten stehen, und die zumindest eine Weile gehofft hatten, dass ihr Leben sicherer und besser verlaufen könnte. Die Sahel-Region ist für uns von Interesse. Selbst wenn wir nicht mit Terror, organisierter Kriminalität, Flüchtlingsströmen, Klimawandel und dem drohenden strategischen Vakuum argumentieren, bliebe ein überragendes Motiv: den Ärmsten der Armen zu helfen.

Die Fragen stellte Ralf Hanselle.

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