Präsidentschaftswahl in Bulgarien - Ein Starfighter-Pilot räumt auf

Trotz schlechter Wahlbeteiligung bleibt Bulgariens Präsident Rumen Radev im Amt. Durch seine unkonventionelle Amtsführung ist er zwar zu einem gefährlichen Gegenspieler des ehemaligen Regierungschefs Borissov geworden. Doch sein Kampf gegen dessen Korruption fördert die Politikverdrossenheit im Land.

Mit erhobener Faust gegen die „oligarchische Mafia“: Rumen Radev/ dpa
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Frank Stier ist Korrespondent für Südosteuropa und lebt in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

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Im Sommer 2016 kürten die postkommunistischen Sozialisten den Chef der Luftstreitkräfte Generalmajor Rumen Radev zu ihrem Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen. Dies sorgte in Bulgariens Öffentlichkeit für Verwunderung, denn fast niemand kannte den Starfighter-Piloten. Nach seinen ersten, hölzern wirkenden Äußerungen als Präsidentschaftskandidat konnte man sich ihn kaum im Haifischbecken der bulgarischen Politik vorstellen.

Indem ihn die Partei von Serien-Wahlgewinner Boiko Borissov unterschätzte und mit einer unpopulären Gegenkandidatin konfrontierte, hievte sie Radev ins Amt des bulgarischen Staatsoberhaupts. Am vergangenen Sonntag haben ihm nun bei der notwendig gewordenen Stichwahl zwei von drei Wählern ihre Stimme gegeben und damit klar im Amt bestätigt. Durch seine unkonventionelle, von seinen Gegnern als unpräsidial kritisierte Amtsführung hat er in den vergangenen fünf Jahren eine politische Statur gewonnen, die weit über die repräsentative Rolle eines bulgarischen Präsidenten hinausgeht. 

Kampferklärung an die „oligarchische Mafia“

Im Juli 2020 schickte Bulgariens Generalstaatsanwalt Ivan Geschev seine Ermittlungsbeamten zur Razzia in das Staatspräsidium, da einige Berater des Präsidenten im Verdacht stünden, ihre Funktion zu zu unrechtmäßigen Handlungen missbraucht zu haben. Dies mobilisierte die Solidarität hunderter Bulgaren, die sich vor dem Staatspräsidium versammelten. Im Stile eines Arbeiterkämpfers trat Rumen Radev ihnen mit erhobener Faust entgegen und sagte der „oligarchischen Mafia” den Kampf an, die das Land „gekapert” habe.

Damit meinte er den mit Unterbrechungen seit elf Jahren regierenden konservativen Ministerpräsidenten Borissov und Generalstaatsanwalt Geschev. Nach Ansicht des Präsidenten und seiner Gefolgsleute machten sie gemeinsame Sache bei der Ausplünderung des Landes und der Beugung des Rechts. Seitdem herrschte ein kalter Krieg der Institutionen zwischen seinem Staatspräsidium und Borissovs Ministerrat. Die gegenseitigen persönlichen Anfeindungen und Schuldzuweisungen überschritten bei weitem das in der europäischen Politik allgemein übliche Maß. 

Wahlsieg als Demokratietest 

Seit sein Wahlsieg feststand, wiederholte Präsident Radev am Sonntag gegenüber TV-Kameras seine unversöhnliche Haltung: „Die bulgarischen Wähler haben klar ihren Wunsch nach Veränderung zum Ausdruck gebracht, mit Korruption, Raub und Ungesetzlichkeit zu brechen und die Mafia von der Macht fernzuhalten", sagte er. Seine Bestätigung im Amt wollte er als bestandenen Demokratietest verstanden wissen und als Ausweg aus Stagnation und Autokratie hin zu Modernisierung und Reform. 

Tatsächlich bewerten viele Bulgaren die Tätigkeit der seit Frühjahr dieses Jahres von Präsident Radev eingesetzten Übergangsregierungen in diesem Sinne. Anstatt sich lediglich auf die Organisierung der beiden notwendig gewordenen Parlamentswahlen im Juli und im November zu beschränken, machten die geschäftsführenden Minister zahlreiche Skandale und angebliche Verfehlungen des Kabinetts Borissov publik.

Handel mit Wählerstimmen

So erfuhren die Bulgaren interessante Details über die übliche Praxis, millionenschwere öffentliche Aufträge ohne vorherige Ausschreibung an einen überschaubaren Kreis von Unternehmen zu vergeben. Sie erfuhren von Abhörmaßnahmen gegen politische Gegner, Polizeigewalt bei regierungskritischen Protesten und den stets beklagten, aber so gut wie nie sanktionierten Handel mit Wählerstimmen. 

Boiko Borissovs Partei „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulglariens" (GERB) sah sich durch die Aktivitäten der Übergangsregierung und den Bombenhagel aus Vorwürfen des Machtmissbrauchs und der Misswirtschaft verfolgt und terrorisiert. Sie beschwerte sich deswegen bei der Europäischen Kommission in Brüssel. Die Mehrheit der bulgarischen Wähler aber honorierte die Politik des Kassensturzes und des Reinen-Tisch-Machens bei der Präsidentschaftswahl und bei der Parlamentswahl eine Woche zuvor. 

Misstrauen gegenüber der Regierung

So zog der geschäftsführende Wirtschaftsminister der ersten Übergangsregierung, Kiril Petkov, mit seiner erst vor wenigen Monaten gegründeten Partei „Prodalzhavame Promianata” (deutsch: „Wir setzen den Wandel fort”) vor Borissovs GERB als stärkste politische Kraft in die 47. Bulgarische Volksversammlung ein. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob es Petkovs Partei PP gelingen kann, mit den beiden Protestparteien „Ima takev narod” (So ein Volk gibt es / ITK) und Demokratitschna Bulgaria (DB) sowie den Bulgarischen Sozialisten (BSP) ein breites, das Spektrum von links bis rechts abdeckendes Regierungsbündnis als Anti-GERB-Koalition zu schmieden. Die einzige Alternative dazu, dritte vorgezogene Neuwahlen innerhalb eines Jahres, kann für die politische Kultur des EU-Lands Bulgarien als fatal angenommen werden. 

Die Politikverdrossenheit der Bulgaren ist nach als unendlich empfundenen drei Jahrzehnten krisenhafter Transformation zur marktwirtschaftlichen Demokratie groß. Die Wahlbeteiligungen von knapp 40 und um die 30 Prozent an den vergangenen beiden Sonntagen haben dies unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Analog dazu belegt Europas geringste Impfquote von unter 25 Prozent das starke Misstrauen vieler Bulgaren gegenüber ihrer Staatsführung. 

Unterstützung für Russland 

Außenpolitisch ist Rumen Radev eigenwillig und schwer einzuschätzen. Von den traditionell Russland nahestehenden Sozialisten zum Präsidenten bestimmt hat er sich als NATO-General am Air War College in Montgomery im US-Bundesstaat Alabama weitergebildet. Eine Äußerung im einzigen TV-Duell gegen den von der GERB nominierten Widersacher, den Rektor der Sofioter Universität Kliment Ohridski Atanas Gerdzhikov, brachte ihn nun international in die Bredouille.

Gefragt nach seinem Verhältnis zu Russland und seiner Position zur Krim, stellte Radev zunächst die Wirksamkeit von Wirtschaftssanktionen gegen Russland in Frage und sagte dann, „die Annexion der Krim ist eine Verletzung internationalen Rechts. Es gibt in der Politik aber Realitäten, und im Moment ist die Krim russisch”. Damit handelte er sich eine diplomatische Note der US-amerikanischen Botschaft in Sofia ein. „Die Vereinigten Staaten, die G-7, die Europäische Union und die NATO haben immer klar und einig ihre Position geäußert, dass die Krim trotz des Versuchs Russlands, sie zu annektieren und trotz ihrer anhaltenden Besatzung  ukrainisch ist“, belehrten sie ihn. Radev beharrt indes auf seiner Meinung. 

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