Brasilien - Der „Bolsonarismo“ ist noch nicht geschlagen

Nach der Präsidentschaftswahl in Brasilien wollen viele Anhänger von Jair Bolsonaro dessen Niederlage nicht anerkennen, blockieren Straßen und fordern einen Militärputsch. Für Luis Inácio Lula da Silva wird es eine schwere Amtszeit.

Bolsonaro-Anhänger protestieren nach der Wahl gegen Lula / dpa
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Autoreninfo

Andrzej Rybak, geboren 1958 in Warschau, ist Journalist und lebt in Hamburg. Er arbeitete mehrere Jahre als Redakteur und Reporter für Die Woche, den Spiegel und die Financial Times Deutschland, berichtete als Korrespondent aus Moskau und Warschau. Heute schreibt er als Autor vor allem über Lateinamerika und Afrika u.a. für Die Zeit, Focus und Capital.

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Brasilien brennt. Seit dem Wahlsieg des Herausforderers Luis Inácio Lula da Silva bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag errichten fanatische Bolsonaro-Anhänger und rechtsradikale Lastwagenfahrer im ganzen Land Straßenblockaden und zünden Reifen an. Tausende Autos bleiben im Stau stecken, an manchen Ort fehlen bereits Treibstoff und Lebensmittel. Fabriken müssen den Betrieb einstellen, weil Rohstoffe und Komponenten fehlen. In manchen Städten protestieren Bolsonaristas vor den Stützpunkten und Kasernen des Militärs. Sie fordern die Soldaten auf, gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Lula zu putschen und – unter der Führung von Bolsonaro selbstverständlich – die Macht zu übernehmen. 

Die Lage droht, jederzeit zu eskalieren. Bei einer Straßensperre versuchte ein Autofahrer, die Blockade zu überwinden – zehn Menschen wurden verletzt. Die Polizei wurde vom Obersten Gericht angewiesen, die illegalen Blockaden aufzulösen – sie muss dabei immer wieder Tränengas einsetzen. Bis Mittwochabend habe Polizeibeamte in 23 Bundesstaaten über 600 Straßensperren aufgelöst – und Strafen im Wert von über 3 Millionen Euro gegen die Blockierer verhängt. Doch auch am Donnerstagmorgen waren manche Straßen immer noch unpassierbar.

Schuld daran ist vor allem Jair Messias Bolsonaro. Der Tropen-Tump, der die Rhetorik und Methoden seines Vorbilds in den USA kopiert, hat nach der knappen Wahlniederlage am Sonntag seine Niederlage bis heute nicht direkt anerkannt – und seinem Nachfolger auch nicht gratuliert. In seiner sehr knapp gehaltenen Rede am Dienstagabend sagte er nur, dass er die Verfassung zu respektieren gedenke. Es war sein Bürochef, der bestätigte, dass er von dem scheidenden Präsidenten beauftragt wurde, die Machtübergabe vorzubereiten.

Nur Vize-Präsident Hamilton Mourão gestand die Niederlage ein

Während seiner Amtszeit hat Bolsonaro immer wieder behauptet, dass er die Wahl nur verlieren kann, wenn es dabei zum Betrug kommt. Nur Gott könne ihn von seiner Mission abberufen, pflegte er zu sagen. Er zweifelte die Sicherheit des elektronischen Wahlsystems an, setzte Verschwörungstheorien über Hacker in die Welt, die die Urnen manipulieren könnten. Er höhlte das Vertrauen der Brasilianer in den demokratischen Wahlprozess und die Institutionen des Staates aus.

Mit Fake News und Hasstiraden gegen politische Gegner oder auch nur Andersdenkende hat Bolsonaro vier Jahre lang die brasilianische Gesellschaft polarisiert. Wenn die rhetorische Gewalt nicht reichte, setzte er echte Gewalt ein. Seine Militärpolizei schoss immer wieder wild in den von Drogenbossen kontrollierten Favelas umher – und tötete dabei Dutzende unschuldige Personen, darunter mehrere Kinder. Er lockerte die Waffengesetzte – in den vergangenen vier Jahren kauften Brasilianer, in der Mehrheit Bolsonaro-Anhänger, vier Millionen Schusswaffen. 

 

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Mit beinahe religiöser Inbrunst kämpfte Bolsonaro für „Gott, Familie, Vaterland“. Er hielt homophobe, rassistische und frauenfeindliche Reden. Alle, die ihn nicht unterstützen, waren böse, pervers, unpatriotisch. Seine Anhänger traten immer unter brasilianischen Fahnen in typischen gelben T-Shirts der brasilianischen Fußballteams auf. „Bolsonaro ist Brasilien“, war ihre Botschaft. 

In Teilen der Bevölkerung funktionierte diese Gehirnwäsche hervorragend. „Es ist Wahnsinn, was hier passiert“, sagt Caetano Veloso, einer der bekanntesten Musiker Brasiliens, der während der Militärdiktatur vor 50 Jahren ins Gefängnis geworfen und in die Emigration gezwungen wurde. Das gesellschaftliche Klima in Brasilien sei vergiftet wie nie zuvor.
Bolsonaro war schon immer ein schlechter Verlierer. Auf jede Kritik reagierte er völlig irrational. Auch nach der Wahlniederlage soll er zwei Tage gebraucht haben, um seine Wutanfälle in den Griff zu bekommen. Es war der Ex-General und Vize-Präsident Hamilton Mourão, der am Mittwochmorgen ganz klar die Niederlage eingestand. „Es hat keinen Sinn mehr, zu jammern, wir haben das Spiel verloren. Es gibt nichts zu beanstanden“, sagte Mourão.

Bolsonaro muss sich auf einer Reihe von Ermittlungen und Anklagen vorbereiten

Gestern Abend wandte sich auch Bolsonaro über Twitter an seine Anhänger. „Ich weiß, Sie sind verärgert, traurig, Sie haben etwas anderes erwartet, ich auch, aber wir müssen einen klaren Kopf bewahren“, sagte der brasilianische Präsident. „Die Proteste, die Demonstrationen sind sehr willkommen, sie sind Teil des demokratischen Spiels, aber es ist nicht legal, die Straßen zu blockieren. Macht die Autobahnen frei.“ Er forderte die Leute allerdings auch auf, die Proteste „auf andere Weise, an anderen Orten“ fortzusetzen. 

Geschlagen geben wird sich Bolsonaro noch lange nicht. Wie der Ex-Präsident Trump wird Bolsonaro den Fanatismus seiner Anhänger speisen und versuchen, das rechtskonservative politische Lager in Geiselhaft zu nehmen. Dabei wird er von seinen drei Söhnen unterstützt, die ihn in verschiedenen politischen Funktionen über die ganze Zeit begleitet haben. Es ist kein Geheimnis, dass zumindestens zwei von ihnen, Carlos und Eduardo, irgendwann gern für das Präsidentenamt kandidieren würden, wenn der Papa es zulässt.

Zweifellos muss sich Bolsonaro auf einer Reihe von Ermittlungen und Anklagen vorbereiten – er könnte der Sabotage bei der Bekämpfung der Pandemie und der Verbreitung von Falschnachrichten angeklagt werden. Vielleicht deckte er auch seine Verbündete, gegen die Korruptionsermittlungen laufen. Es heißt, seine Söhne führten bereits Gespräche über Sicherheitsgarantien für den Präsidenten, nachdem er seine Immunität verliert.  

Sicher ist: Der Bolsonarismo wird auch nach der Amtsübernahme von Lula Brasilien maßgeblich prägen. Trotz der präsidialen Niederlage konnte das rechtsradikale Lager deutlich an Einfluss gewinnen. Im Kongress sind Bolsonaros Verbündete sowohl in der Abgeordnetenkammer wie auch im Senat die stärkste Kraft – wenn es Lula nicht gelingt, einige Wackelabgeordnete an seine Seite zu ziehen. Sie stellen auch mehr Gouverneure als die mit Lula verbündeten Parteien.

Für Luis Inácio Lula da Silva wird es eine schwere Amtszeit.

 

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