Boris Johnsons neuer Soft-Brexit-Vorschlag - Nicht mal ignorieren

Um den Brexit durchzusetzen, denkt sich Boris Johnson immer neue Finten aus. Jetzt hat der britische Premier eine Backstop-Lösung vorgeschlagen. Die ist so irrwitzig, dass die EU sich damit gar nicht groß auseinandersetzen muss. Nur ein Wunder kann die Briten jetzt noch vor dem Big Bang retten

„Sorry, no way, Prime Minister!” Boris Johnson hält die Welt mit seiner Backstop-Lösung zum Narren / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Es gibt ein Foto von Boris Johnson auf dem Tory-Parteitag in Manchester, auf dem er vor einem Laptop sitzt und in die Tasten haut. Wenn nicht alles täuscht, steht vor ihm eine Kaffeetasse mit einer Karikatur von ihm drauf. Es sieht aus wie ein Journalist oder ein Literat. Johnson kann in keiner Hinsicht zu seinem großen Vorbild Winston Churchill aufschließen, der für seine Memoiren zu Recht den Literaturnobelpreis bekommen hat. Tatsächlich aber hat Johnson schon einmal einen ganz passablen Roman geschrieben und als scharfzüngiger Kommentator für den Daily Telegraph und den Spector gearbeitet.  

Möglicherweise tippt der britische Premier auf dem Foto gerade seinen neuen Vorschlag für den Brexit, genauer gesagt: die so genannte Backstop-Lösung in seine digitale Reiseschreibmaschine, die er am heutigen Mittwoch den Delegierten des Parteitags in seiner Abschlussrede präsentieren möchte.

Vagabundierende Kontrolleure

Was man vorab darüber zu lesen bekam, legt nahe, dass Johnson dabei die Textform der Glosse gewählt hat. Es ist schlechterdings nicht ernstzunehmen, was der britische Brexiteer da als Wunderlösung für den Warenverkehr an der inneririschen Grenze vorschlägt. Statt organisierter Kontrollen an der EU-Grenze auf britischem Boden will Johnson vagabundierende Kontrolleure auf irischer Seite einsetzen, die hie und da Lastwagen anhalten und deren Ladung überprüfen.

Es ist vermutlich kein Zufall, dass Johnson diese Idee auf einem Parteitag präsentiert hat, also in seiner Rolle als Parteichef. Denn man darf annehmen, dass die Ministerialbeamten in Downing Street Number 10 auf diese Hirnblähung hin ihrem Chef statt eines „Yes, Minister!“ wie in der legendären Polit-Sitcom, ein „Sorry, no way, Prime Minister!“ entgegengehalten hätten.

Es war dann wohl naiver Optimismus oder der Humor der Verzweiflung, als Johnson in seiner Rede sagte: „Ich hoffe sehr, dass unsere Freunde das verstehen und ihrerseits kompromissbereit sind“. Dabei wies der Premier selbst darauf hin, dass sich die Briten dreieinhalb Jahre nach dem Referendum fühlten „als ob sie zum Narren gehalten werden". Johnson geht mit seinem Klamauk-Vorschlag nun selbst endgültig den Weg eines britischen Till Eulenspiegels.

Vorbereitung auf den Big Bang

Die irische Regierung hat schon vor der offiziellen Vorstellung des Kaninchens von Boris Johnson verlauten lassen, was es davon hält: Exakt gar nichts. Und ebenso wird es dem britischen Regierungschef auch in Brüssel ergehen. Diese Idee wird dort mit Sicherheit abtropfen. Weil sie vom Premier persönlich kommt, wird man sich dazu verhalten müssen. Ansonsten fiele der Vorschlag in die Kategorie: Nicht mal ignorieren. Weder in operativ-praktischer Hinsicht noch in politischer Hinsicht kann man diesen Unsinn ernst nehmen.

Mit dem heutigen Tag beginnt der Oktober-Countdown des Brexit. Der 31. Oktober wird von Johnson seit Monaten festgetackert als finales Datum, und auch die Europäische Union hat bislang überhaupt keinen Grund, auch nur eine Stunde mehr Aufschub zu gewähren. „Wir werden mit unseren EU-Freunden an einem Deal arbeiten, aber was auch immer geschieht, wir müssen Ende Oktober austreten“, sagte Johnson in seiner Rede.

Der harte Brexit ist einmal mehr der wahrscheinlichere Ausgang eines mehr als dreijährigen Trauerspiels geworden. Der einzige Ausweg, der noch bleibt, wären ein Rücktritt Johnsons und Neuwahlen mit Aussicht auf ein zweites Referendum oder eine andere, eine Remainer-Mehrheit in einem neuen Unterhaus. Dafür würde sich Brüssel mit einiger Sicherheit mehr Zeit abkaufen lassen. Aber die Wahrscheinlichkeit ist außerordentlich gering, dass es dazu noch kommt. Die EU, Großbritannien und der Rest der Welt sollten sich auf den Big Bang vorbereiten.  

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