Der Blick von außen auf die deutschen Zustände - „Noch nie so nah und gleichzeitig voneinander entfernt“

Nach 16 langen Jahren endet demnächst die Ära Angela Merkels. Aber was kommt dann? Mit ambivalenten Gefühlen blicken fünf Journalisten aus dem Ausland auf die vergangenen anderthalb Dekaden deutscher Politik zurück – und sagen, was sich aus ihrer Sicht dringend ändern müsste.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Angela Merkel vor dem Kanzleramt in Berlin / dpa
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Frankreich 

Hoffnung auf eine frankreich­affinere Regierung

Es wird sich die ersten Wochen bestimmt komisch anfühlen: Nicht mehr „Angela Merkel“ nach dem Wort „Kanzlerin“ zu schreiben. Möglicherweise wird Deutschland nach 16 Jahren sogar wieder einen Kanzler haben. Ein Stück Berufsalltag wird verschwinden. Gleichwohl, frei nach dem Motto „le Roi est mort, vive le Roi“ (der König ist tot, es lebe der König), erwartet uns Journalisten bis zum 26. September und danach eine spannende Zeit: eine neue Koalition mit neuen Namen und bestimmt einem neuen Politikstil. Die merkelsche Sachlichkeit und Unaufgeregtheit hatten zwar gute Seiten, besonders in stürmischen Zeiten, aber vielleicht ist es Zeit für mehr Visionen statt ständiger kurzfristiger Reaktionen.

Die Liste der im Hinblick auf die Zukunft schwerwiegenden, vernachlässigten Themen unter Merkel ist lang: Digitale, moderne Verwaltung sind allgegenwärtige Stichwörter seit der Corona-Krise. Aber auch Klima, Wohnen, Bildung und Gleichberechtigung sollten genannt werden. Die stiefmütterliche Behandlung dieser Themen wirft einen Schatten auf die Bilanz der Kanzlerin, deren Erfolge teilweise auf Schröders Agenda 2010 beruhten. Aus französischer Sicht würde man eventuell noch Europa draufpacken. Die fehlende Antwort auf die Sorbonne-Rede von Macron überwiegt meines Erachtens den Einsatz Merkels, ihre Union für den Wiederaufbaufonds zu begeistern.

Selbst wenn die deutsch-französische Zusammenarbeit unter Merkel mit hoher Intensität stattfand, hat Frankreich mit dem Abgang der Kanzlerin etwas zu gewinnen. Die drei wesentlichen Kanzlerkandidaten sprechen sich für ein stärker integriertes Europa aus. Aus einem Dreiländereck stammend, verkörpert Armin Laschet durch seine Biografie diese Idee. Er könnte die alte (frankreichaffinere) Bundesrepublik zurückbringen. Und auch bei den Grünen und der SPD ist das Europaprogramm grundsätzlich näher an französischen Prioritäten. Wenn auch Themen wie die europäische Verteidigung oder gemeinsame Rüstungsprojekte etwa mit der SPD für Schwierigkeiten sorgen.

Hingegen birgt eine mögliche Beteiligung der FDP bei der nächsten Regierung für Frankreich viele Fragezeichen. Zwar wollen die Liberalen die Kooperation Paris/Berlin mit einem ständigen Sitz für den Partner am Kabinettstisch verstärken. Aber die FDP sperrt sich gegen eine gemeinsame Schuldenaufnahme und eine Aufweichung der Maastrichter Kriterien, die in der französischen Hauptstadt seit Jahren gewünscht werden.

Alle diese Überlegungen einer stärkeren deutsch-französischen Achse machen allerdings nur dann Sinn, wenn Emmanuel Macron 2022 wiedergewählt wird oder durch einen Kandidaten mit einem ähnlich ausgeprägten Europaprogramm ersetzt wird. Beides ist, Stand jetzt, völlig unklar. 

Luc André berichtet seit 2011 aus Deutschland für französische Medien. Er ist Korrespondent für die Tageszeitung L’Opinion und den Fernsehsender France 24. 

 

Schweiz 

Kein Trump in Sicht – zum Glück!

Erwachsenen Schweizern geht es meist wie deutschen Teenies: Angela Merkel und das Amt des Bundeskanzlers sind in ihren Augen mehr oder weniger identisch. Die Teenager haben im Kanzleramt nie jemand anderes wirken sehen; die Schweizer erinnern sich bestenfalls knapp an einen früheren Hausherrn.
Und doch wird in absehbarer Zeit jemand dort am Schreibtisch sitzen, der oder die nicht Merkel heißt. Die zugehörige Wahl allerdings sorgt in der Eidgenossenschaft nur deshalb für eine gewisse Aufmerksamkeit, weil sie nach 16 Jahren einen Bruch mit Gewohntem mit sich bringen wird. Diesen Zustand als „Spannung“ zu beschreiben, wäre indes reichlich übertrieben.

Bestenfalls registrieren wir den Sachverhalt mit einem angedeuteten Nicken, wie es die Schweizer den Deutschen nur unter außergewöhnlichsten Umständen zu gönnen pflegen: Wir Direktdemokraten halten es nämlich durchaus für angemessen, wenn auch unsere Nachbarn ausnahmsweise mal an die Urne dürfen. Und doch: Bei uns sind Wahlen nur die halbe Miete.

Wenn eine Partei drei Prozentpunkte hinzugewinnt, sprechen wir von Erdrutschsieg. Unsere Regierung ist ohnehin stabil wie das Gotthardmassiv. Alle vier großen Parteien müssen sich zusammenraufen, einen Chef gibt es nicht, und seit 1848 wurden gerade mal vier (!) Minister – bei uns heißen sie Bundesräte – abgewählt. Viel wichtiger finden wir Abstimmungen über Sachfragen. Denn erst da geht es wirklich um etwas.

Zurück zu den deutschen Wahlen. Werden sie größere Auswirkungen auf uns haben? Als nüchterne Schweizer können wir das nicht so recht glauben. Zwar haben wir das seltsame Gerumpel um die Aufstellung der Kandidaten bei Schwarz und Grün vernommen, aber vor allem verfolgen wir, was auch uns vertraut vorkommt: die Planspiele um denkbare Koalitionen – Ampel, Kenia, Jamaika, die ganze Farbpalette mit Ausnahme von Braun.

So exotisch sich das in unserer Wahrnehmung abspielen mag: Die Kernkonstellation kennen wir aus eigenem Erleben. Wie in Bern wird auch in Berlin niemand allein die Macht haben, ohne Kompromisse wird es nicht gehen, aber hier wie dort können alle mit allen. 

Diese Ausgangslage erinnert uns irgendwie an unser eigenes Regierungsdogma, die heilige „Konkordanz“. Zusammenraufen kennen wir, Geben und Nehmen beherrschen wir aus dem Effeff, den Ausgleich der Interessen und die politische Langeweile ziehen wir dem Spektakel vor – und jede Form von Stabilität der Unberechenbarkeit. Auch dies lässt uns derzeit gelassen nach Deutschland blicken. Zum großen Umbruch oder gar zu Verwerfungen dürfte es trotz vergleichsweise volatiler Umfragen nicht kommen, divergierende Welt­anschauungen werden einander näherkommen, unser großer Nachbar wird im Großen und Ganzen weitermachen wie bisher.

Das finden wir beruhigend, denn – wenn wir ehrlich sind: Angela Merkel dürfte von uns aus noch lange weitermachen. Aus unserem Blickwinkel, in dem taktische Details oder polemische Kontroversen kaum eine Rolle spielen, war Merkel nämlich eine große Kanzlerin: unaufgeregt, sachlich, pragmatisch, menschlich. Was ihr als Farb- und Konturlosigkeit vorgeworfen wird, gilt hierzulande als höchste Qualität im Regierungshandeln – wir sehen es als Talent für das Machbare. 

In der Berner Regierung braucht es sieben, um diese Charakteristika miteinander zu verschmelzen, in Deutschland lieferte Merkel sie im Alleingang. Es mag überheblich klingen, aber die wichtigste Politikerin Europas verkörpert sehr viel Schweizerisches. Wir mögen Sowohl-als-auch-Politiker, geschliffene Rhetoriker sind uns suspekt, Großmäuler verachten wir.

Würde man die Menschen auf Schweizer Straßen in einer Umfrage bitten, die Namen der Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl am 26. September zu nennen, würden die meisten stumm bleiben wie die rotgewandeten Bergler in der Fernsehwerbung für Appenzeller Käse. Damit ausländische Wahlkämpfe den Blutdruck der Schweiz hochtreiben, braucht es schon einen Hauptdarsteller wie Donald Trump. Und so einer ist in Deutschland zum Glück nirgendwo in Sicht!

Christian Dorer ist Chefredakteur der Blick-Gruppe in der Schweiz.

 

Israel

Skeptischer Blick auf den Wechsel

Angela Merkel hat zumindest ein Wunder bewirkt: Als sie 2005 Bundeskanzlerin geworden war, war Deutschland für viele Israelis noch ein Land, das man gleichzeitig respektieren und verdächtigen sollte. Merkels Amtszeit hat rasch und radikal diese Haltung geändert. Die Kanzlerin hat die Herzen der Israelis erobert. Kein Kanzler vor ihr hat Israel so oft besucht. Merkel war sieben Mal in Israel als Bundeskanzlerin – vier Besuche in den Jahren zwischen 2006 und 2009, als Ehud Olmert Premier war, dreimal zwischen 2009 und 2021, während der Amtszeit von Benjamin Netanjahu. Willy Brandt besuchte Israel nur einmal, wie auch Gerhard Schröder. Helmut Kohl zweimal. Merkel überzeugte fast alle Israelis, als sie in der Knesset erklärte: „Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.“ 

Die Kanzlerin hatte schon vorher diese starke, aber unklare Formulierung bei der Uno und beim Bundestag geäußert. Aber in Jerusalem, aus Jerusalem klang es deutlicher. Merkel zeigte ihre Solidarität mit Israel nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Die Kanzlerin wusste, dass Deutschland von einer engen Beziehung zu Israel nur profitieren kann. Und so, während ihrer Amtszeit, ist die Kooperation zwischen beiden Staaten in vielen Bereichen sehr stark geworden, wie auch die Beliebtheit der Kanzlerin und Deutschlands in Israel. Diese Popularität erlaubte Merkel, die Politik der Regierungen Netanjahus offen zu kritisieren, ohne der positiven Haltung vieler Israelis gegenüber Deutschland zu schaden. Ganz im Gegenteil: Merkel wurde sogar, ohne ihre Zustimmung, von der israelischen Opposition für den Kampf gegen Netanjahu mobilisiert – eine unglaubliche Entwicklung in der israelischen Politik.

Jetzt geht die Ära Merkel zu Ende und damit, so fürchten viele in Jerusalem, eine goldene Zeit in den deutsch-­israelischen Beziehungen. Die Kanzlerkandidaten Laschet und Scholz stehen eher für eine Fortsetzung der Israelpolitik Merkels. Bei Laschet scheint die Religion eine Rolle zu spielen. Bei Scholz der Respekt vor den israelischen Fähigkeiten, vor allem der wirtschaftlichen und technologischen. Beide gehören zu einer Generation, die noch eine historische und moralische Verpflichtung gegenüber Israel spürt. 

Aber die Kanzlerkandidatin Baerbock kommt aus einer jüngeren Generation, die sich mit einer anderen Geschichte verbunden fühlt, die des Ausbaus einer zukunftsorientierten europäischen Identität. Vertreter dieser Generation sagen mit Blick auf die Vergangenheit, was von ihnen „erwartet“ wird. 
Bleibt abzuwarten, ob eine innere Überzeugung reflektiert wird. Obwohl seit Beginn des Arabischen Frühlings die deutsche Öffentlichkeit ein größeres Verständnis für die Komplexität der Lage Israels entwickelte, polarisiert das Thema Israel noch immer sehr die politische Diskussion in Deutschland. Die mediale Debatte um die Bundestags-BDS-Resolution zeigte deutlich, wie offen heute die deutschen Linken für antisemitische Argumente sind, sobald diese einen antizionistischen oder antiisraelischen Mantel tragen.

Die Blindheit der deutschen Behörden gegenüber dem arabisch-muslimischen Antisemitismus ist Teil dieses Phänomens. Betroffenheit ist keine Politik, obwohl zu viele deutsche Politiker dies zu glauben scheinen. Wer nicht versteht, dass der BDS-Slogan „vom Fluss (Jordan) zum Meer (Mittelmeer) – Palästina wird befreit“ ein Mordaufruf gegen Juden in Israel ist, wird auch nicht verstehen, was Antisemitismus ist.

Deutschland und Israel waren noch nie so nah beieinander und gleichzeitig voneinander entfernt. Diese Dualität, um nicht Schizophrenie zu sagen, entspricht der „Normalisierung“ unter Merkel: Alle sprechen von der „Staatsräson“, aber niemand scheint erklären zu können, was dies bedeutet: Kooperation mit einem iranischen Regime, das nach der Auslöschung Israels strebt? Finanzielle Unterstützung palästinensischer Organisationen, deren Ziel die Zerstörung Israels ist? Traditionelle Abstimmung gegen Israel in Uno-Institutionen? 

Der/die zukünftige Bundeskanzler/in wird sich größeren Herausforderungen zu stellen haben als nur der Frage der deutsch-israelischen Beziehungen. Nichtsdestotrotz: Wenn Deutschland diese Beziehungen wichtig sind, wäre es die Aufgabe, Klarheit zu schaffen – steht Deutschland an der Seite Israels oder nicht? Zusammen können beide viel erreichen. Aber dafür ist Ehrlichkeit notwendig. Und zurzeit, so glauben viele Israelis, fehlt diese Ehrlichkeit. Merkel fand den Weg in die Herzen der Israelis. Der/die zukünftige Bundeskanzler/in sollte den Weg in deren Köpfe finden.

Eldad Beck ist Europa­korres­pondent der israelischen Tageszeitung Israel Hayom und Autor des Buches „Die Kanzlerin – Merkel, Israel und die Juden“.

 

Polen

Auf dem Weg zur Autokratie ohne Freunde

Auf den ersten Blick interessiert es die in Polen regierenden Nationalkonservativen überhaupt nicht, was auf der anderen Seite der Oder passiert und wer Deutschland nach der Bundestagswahl regieren wird. Seit der Machtübernahme der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Herbst 2015 ist Deutschland zum Hauptfeind der Regierung geworden. Seitdem sind die Angriffe auf Deutsche ein fester Bestandteil im Repertoire von PiS-Politikern und der Partei unterstellten öffentlich-rechtlichen Medien. Deutschland wird vorgeworfen, Europa mit islamischen Flüchtlingen zu fluten und eine Hegemonie in der EU anzustreben wie einst das Dritte Reich. Die Politiker der polnischen Opposition werden beschuldigt, Verräter im Sold der Bundesrepublik zu sein. 

Auch die Europäische Kommission, der Europäische Gerichtshof und der Europarat sollen für Berlin und gegen Polen arbeiten. Immerhin soll Deutschland die polnische Minderheit unterdrücken und zögern, Reparationszahlungen für die Verbrechen im Zweiten Weltkrieg an Polen zu zahlen. Eine regierungsnahe Wochenzeitung schätzt ihren Wert auf sechs Billionen Dollar.

Offiziell wird der Abgang von Angela Merkel nichts ändern, Polen wird seine Ansprüche nicht aufgeben, und die neue Bundesregierung wird sich mit ähnlichen Angriffen auseinandersetzen müssen. Ich bin aber überzeugt, dass die deutsche „Mutti“ von den PiS-Politikern vermisst werden wird, sogar unter Tränen. Merkel verteidigte Polen vor der Europäischen Kommission und anderen Ländern der Gemeinschaft, die mit der PiS-Regierung abrechnen wollen wegen der Lage der Rechtsstaatlichkeit, dem Abbau der Demokratie, der Verfolgung von Minderheiten.

Warum war Merkel so milde? Vielleicht weil sie dachte, dass die Deutschen, Täter der Verbrechen des Zweiten Weltkriegs, die Polen nicht über Demokratie belehren sollten. Oder vielleicht hatte sie für Polen einfach eine Schwäche. In den achtziger Jahren besuchte sie Polen, traf Aktivisten der Untergrund-Solidaritätsbewegung, was ihr politisches Bewusstsein maßgeblich beeinflusste. Eines ist sicher, ihr Nachfolger oder ihre Nachfolgerin, ob es nun ein CDU-Politiker oder eine Grünen-Politikerin sein wird, wird diese Gesinnung nicht an den Tag legen. Nach der Niederlage von Donald Trump verlor die PiS die Unterstützung aus den USA. Sie wird von den Deutschen nicht mehr in der EU geschützt werden, wenn Merkel in Pension geht. 

Für die Regierung eines Landes, das den Weg zur Autokratie beschreitet und alle Freunde verloren hat, ist das eine sehr schlechte Nachricht.

Bartosz Wieliński ist bei der Gazeta Wyborcza für Außenpolitik zuständig. Er war mehrere Jahre Korrespondent in Deutschland.

 

Dänemark

Die EU wird deutscher – Fluch und Segen zugleich

Endlich! Gleich ist Merkel weg! Verstehen Sie mich nicht falsch. Als Korrespondent der dänischen Tageszeitung Information habe ich nicht wirklich viel gegen Merkel. Aber nach 2009, 2013 und 2017 darf ich in diesem Wahlkampf endlich über ein neues Format berichten. Nicht: Stirbt die SPD und mit wem koaliert Merkel diesmal? Vielmehr: Wie könnte Deutschland künftig aussehen, und wer wird Europa leiten? Und ehrlich gesagt: Diese Fragen sind deutlich interessanter.

Der Merz-Laschet-Söder-Kampf und der grüne Höhenflug mitsamt Bauchlandung waren natürlich Knaller, rein journalistisch betrachtet. Ansonsten hat es wenige große Aufreger gegeben. Das ewige Reizthema AfD bewegt sich kaum, und das Wahlprogramm der CDU/CSU sieht in der Klima- und Corona-Krise nach „keine Experimente“ (sprich: Arbeitsverweigerung) aus. Da gibt es also wenig zu berichten. Außerdem bleibt im Hinterkopf: Die entscheidendere Wahl findet 2022 in Frankreich statt.

Daher haben die dänischen Medien vor allem das deutsche Schauspiel immer wieder durchexerziert namens „Junge grüne Frau (Baerbock) gegen ältere Herren der Parteien, die seit dem Zweiten Weltkrieg Deutschland regieren (Laschet, Scholz)“. Der Grund ist einfach: Es gibt halt 15-mal so viele Deutsche wie Dänen, und nach 16 Jahren mit Merkel wird der deutsche Kanzler als natürliche Führerfigur der EU gesehen.

So ist auf jeden Fall die Hoffnung da. Denn fünf Jahre nach dem Brexit-Referendum haben sogar die Dänen langsam kapiert, dass die EU deutscher wird – ein Fluch und ein Segen. Es spricht sich allmählich herum, dass alle drei deutschen Kanzlerkandidaten weit offensiver mit der europäischen Integration umgehen als die dänische Regierung, die kaum eine europapolitische Strategie hat und gern der EU die Schuld für die meisten Übel (und Migranten und Impf-Pannen) der Welt zuschiebt. Als Teil der „knauserigen Vier“, die eine Rebellion gegen den europäischen Wiederaufbaufonds versuchten, hat sich Dänemark in der Corona-Krise entsprechend im Stich gelassen gefühlt von Deutschland. Aber die Hoffnung besteht, dass die Deutschen die Südländer in Schach halten.

Leider, leider ist die politische und kulturelle Beziehung der auf die USA fixierten Dänen gegenüber den Deutschen nicht wirklich stark. Deutschland ist Dänemarks größter Handelspartner, ja, aber viele Dänen unter 50 können nicht viel mehr Deutsch als „Wir schaffen das“.

„Deutschland geht die dänischen Politiker einen feuchten Dreck an, es sei denn, sie sind Minister und sollen bei EU-Gipfeln mit den machtvollen Deutschen verhandeln oder Infrastrukturprojekte vereinbaren“, hat die dänische Wochenzeitung Weekendavisen zusammengefasst. „Die dänisch-deutsche Beziehung ist strictly business geworden.“

Als Korrespondent muss man deshalb auch immer wieder aufs Neue erklären, wie das deutsche Parteiensystem aussieht und welche Rolle die Koalitionsmöglichkeiten und -zwänge im Wahlkampf spielen.
Leichter ist es da, in der prämaturen Merkel-Abschiedsnostalgie mitzu­schwimmen. Das heißt natürlich, dass politische Inhalte und Zukunftsentwürfe wenig im Fokus stehen. Aber damit spiegelt die dänische Berichterstattung ja den deutschen Wahlkampf ganz gut wider.

Mathias Irminger Sonne ist Korrespondent der dänischen Tageszeitung Information.

 

Dieser Text stammt aus dem Sonderheft zur Bundestagswahl des Cicero, das Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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