Neue Imagekampagne - Sind wir nicht alle ein bisschen Berlin?

Berlin ändert seinen „Markenauftritt“. Statt „Be Berlin“ heißt es jetzt „Wir sind ein Berlin“. Das ist ziemlich teuer und auch ziemlich sinnfrei. Aber wozu dann der Aufwand?

Zwei Berliner, ein Slogan: „Wir sind Berlin“/ dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Manche Dinge klappen sogar in Berlin. Die Stadt hat sich von der renommierten Werbeagentur Jung von Matt eine neue Imagekampagne für die Innen- und Außendarstellung konzipieren lassen. Statt „Be Berlin“ heißt es jetzt „Wir sind ein Berlin“.

Das klingt zwar ein bisschen nach „Aus Raider wird jetzt Twix“, deutet aber auch einen gewissen Paradigmenwechsel an. Ging es in der alten PR-Kampagne von 2008 vor allem darum, Touristen und Zuzügler für den Weg in die vermeintlich hippe, moderne Metropole zu motivieren, betont man jetzt eher die Stärkung des Identitätsgefühls der Einheimischen, wovon auch die Verwendung des alten Berliner Wahrzeichens zeugt, dem Berliner Bär. „Im neuen Markenauftritt des Landes Berlin geht es darum, neben der gelebten individuellen Vielfalt auch das zu betonen, was uns Menschen in Berlin miteinander verbindet", sagte dazu der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD).

Eine Ansammlung von Parallelwelten

Das würde ich allerdings auch gerne wissen. Denn längst ist die Stadt zu einer Art Ansammlung von Parallelwelten geworden, mit nur mäßig bis gar nicht funktionierenden Regeln für das Gemeinwesen und einer in weiten Teilen desolaten Infrastruktur. Hier leben unzählige Menschen in Blasen, voneinander abgeschottet durch soziale, lebenskulturelle und manchmal auch ethnische Schranken. Man kann diese Segregation mit Statistiken belegen.

Muss man aber nicht, denn man kann sie sehen, riechen, hören, schmecken, fühlen. Auf Straßen und in Parks, in Verkehrsmitteln, Gaststätten, Schulen und Einkaufsstätten. Längst reden viele in der Stadt nicht mehr miteinander, sondern übereinander. Letzteres dann oft vom Hörensagen, denn man kennt sich nicht und will die „Anderen“ auch nicht kennen lernen, geschweige denn wirklich verstehen. Bestenfalls gibt es so etwas wie oberflächliche Akzeptanz, aber manchmal nicht mal das.  

Wem gehört die Stadt?

„Be Berlin“ spiegelte das eigentlich ganz gut wieder. Es war der bewusst nicht in der eigentlichen Landessprache verfasste Aufruf an die Welt, diese Stadt nicht nur zu entdecken, sondern für sich zu erobern und zu definieren. Der Aufruf wirkte. Von Jahr zu Jahre kamen mehr Touristen, von denen viele das anscheinend selbstverständliche Recht in Anspruch nahmen, einstmals vergleichsweise beschauliche Stadtviertel in lärmende Partyhöllen zu verwandeln und sich in illegal vermieteten Ferienwohnungen einzuquartieren, von denen es Zehntausende in der Stadt gibt. Das „alte Berlin“ als Sehnsuchtsort vermeintlich entwickelter urbaner Lebensqualität wurde dabei zur Kulisse – und die „Ureinwohner“ zu Komparsen.

Und zwar nicht nur für Touristen und betuchte Zuzügler, sondern auch für bekannte oder anonyme Finanzinvestoren. Die entdeckten die verknappten Wohnungsbestände der Stadt als Goldgrube und vertrieben die „Komparsen“ rigoros aus den „angesagten“ Stadtteilen. Schon länger da sind etliche, die Teile von Berlin als geschütztes Refugium für die Konservierung und aggressive Verteidigung archaischer, antidemokratischer, religiöser und gesellschaftlicher Normen für sich nutzen.

Ist Berlin ein Schokoriegel? 

Anscheinend werden das sogar immer mehr. Und dann wäre da noch das irgendwie links-grün-alternative Berlin, auch unter der Bezeichnung „Stadtgesellschaft“ firmierend. Auch in diesen Kreisen wollen einige ihre Claims abstecken und mitunter aggressiv verteidigen, etwa gegen Wohnungsneubau in „ihren“ Stadtteilen.

Sie alle haben „Be Berlin“ halt als „gelebte individuelle Vielfalt“ verstanden. Aber ganz so hat Michael Müller das dann wohl doch nicht gemeint. Deswegen jetzt „Wir sind ein Berlin“, offiziell ab dem 12. September. Stadtweit sollen Plakate und Lichtinstallationen für ein neues Identitätsgefühl der Stadt sorgen. Die ersten bekannt gewordenen Plakattextentwürfe zeigen die Richtung an. Zum Beispiel „Ich: Familie in Heilbronn. Du: Familie in Damaskus. Wir Beide: Familie gegründet in Berlin“.  

Kann man dem virtuellen Musterpaar der neuen Berliner Identität eigentlich nur noch wünschen, dass sie für ihre neue Familie eine anständige Wohnung, einen Kita-Platz und eine einigermaßen funktionierende Schule gefunden haben. Was aber eigentlich zweitrangig ist. Hauptsache, wir sind jetzt ein Berlin. Wie war das nochmal mit dem Schokoriegel? „Aus Raider wird jetzt Twix- sonst ändert sich nix“.    

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