Bauernproteste in Holland eskalieren - Kühe vor dem Parlament

Die Bauernproteste in den Niederlanden radikalisieren sich, Lebensmittelzentren werden blockiert. Wegen Umweltbelastung zwingt die Regierung die Landwirte zur Verringerung des Stickstoff-Ausstoßes. Viehbetriebe sind dadurch in ihrer Existenz bedroht. Die Polizei wirkt überfordert und gab schon Schüsse ab.

„Wenn der Bauer stirbt, wird Hunger geboren“: Landwirte blockieren die Zufahrtsstraßen zu einem Jumbo-Verteilzentrum / dpa
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Rob Savelberg ist Deutschland-Korrespondent für De Telegraaf, die auflagenstärkste Zeitung der Niederlande. Er lebt seit 1998 in Berlin.

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In den vergangenen Tagen eskalierten die Bauernproteste überall in den Niederlanden. Distributionszentren, zum Beispiel der Supermarktkette Spar, wurden mit Steinblöcken blockiert. Strohbündel wurden auf der Autobahn in Brand gesetzt. Ein Vertreter der Farmers Defence Force (FDF) drohte: „Es müssen Köpfe rollen.“

Dutzende Traktoren fuhren Anfang dieser Woche im Konvoi zur Provinzhauptstadt Leeuwarden im nördlichen Friesland. „Lasst uns unsere Kameraden befreien!“, schrieben die Protestierer bei Twitter. Die Polizei hatte drei Bauern wegen versuchten Totschlags festgesetzt. Diese hätten mit ihren Fahrzeugen in Heerenveen versucht, Polizisten anzufahren. Der jüngste Verdächtige, Jouke H. aus dem Ort Akkrum, ist erst 16 Jahre alt. Auf Video-Bildern ist zu sehen, wie er versuchte, aus einer Polizei-Absperrung zu entkommen. Auf Kopfhöhe hatte eine Polizeikugel ihn dabei fast getroffen. Auch im westlichen Alkmaar, bekannt wegen dem traditionellen Käsemarkt, wurde dazu aufgerufen, festgenommene Kollegen gewaltsam aus dem Polizeigewahrsam zu befreien.

Die Regierung zwingt die Bauern zu ökologischer Landwirtschaft

Hintergrund ist die aus dem Ruder gelaufene „Stickstoff-Debatte“ im kleinen Königreich an der Nordsee. Die Niederlande, extrem dicht besiedelt und mit relativ wenig Natur, haben das größte Problem in Europa mit Stickstoff. Deshalb wurde die Maximalgeschwindigkeit von 130 km/h gedrosselt und ein Tempolimit von 110 km/h eingeführt.

Die Regierung aus Liberalen, Konservativen und Christdemokraten verabredete im Koalitionsvertrag, 25 Milliarden Euro einzusetzen, um des Stickstoff-Problems Herr zu werden. Das Kabinett Rutte will mehr ökologische Landwirtschaft, herkömmliche Betriebe werden entweder kleiner oder verschwinden. Bis 2030 soll der Ausstoß halbiert sein.

Konsumenten und Produzenten müssen dabei mitmachen, um ihren Ausstoß zu verringern. Auch die Bauern, die gut mit intensiver Viehzucht verdienen und dabei viel Ammoniak produzieren. Die Gülle wird zu einem großen Teil nach Deutschland exportiert. Vor allem Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben damit Probleme. Nun soll der Ammoniak-Anteil um 40 Prozent herunter, in Naturschutzgebieten wie De Veluwe gar um 70 Prozent.

Die Regierung des liberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte zwingt die Bauern, ihre hohen Stickstoffwerte zu verringern. Er hat sogar in seinem Vier-Parteien-Kabinett eine sogenannte Stickstoff-Ministerin benannt. Diese, Christianne van der Wal, bekam vor einer Woche in Wierden Besuch von wütenden Bauern mit schweren Treckern vor ihrer Tür. „Meine Familie hat Angst“, sagte sie den Protestlern.

„Nicht zu akzeptieren“, so reagierte Premier Rutte schließlich. „Wenn es Irritationen oder Wut gibt, dann darf man demonstrieren. Aber macht es immer friedlich. Macht das nicht, wo Menschen wohnen. Man darf die Polizei und Hilfsdienste nicht in Gefahr bringen.“ Mittlerweile hält eine mobile Polizeistation Wache.

Die Bauern drohten, den nationalen Flughafen Schiphol zu blockieren

Kurz darauf organisierten die Bauern einen zentralen Protest in Stroe, im Zentrum des Landes. Auf Bildern war zu sehen, wie junge Männern mit Vorschlaghämmern und Eisenstangen ein Polizeiauto demolierten. Unter Gejohle war die Situation eskaliert. „Sie treten nur ein bisschen mit Stöcken gegen die Autos. Ich verurteile das nicht. Wir verteidigen, was wir haben“, so Bauer Gert-Jan Brouwer zur Rundfunkanstalt Gelderland.

Gleichzeitig wurde Gülle vor den Rathäusern ausgeleert, und verschiedene Autobahnen wurden mit brennenden Barrikaden blockiert. Die Bauern drohten zudem, den nationalen Flughafen Schiphol bei Amsterdam zu blockieren. Daraufhin setzte die Armee Panzerfahrzeuge ein, um dieser Situation in der Urlaubszeit vorzubeugen – wo schon jetzt Tausende wegen der langen Wartezeiten bangen, ihren Flug zu verpassen. Zehn Bauern wurden verhaftet. Die ganze Situation wurde in der Zeitung Trouw so beschrieben: „In Telegram-Gruppen ist eine fruchtbare Bestäubung zwischen Verschwörungsdenkern und radikalen Bauern sichtbar.“

Denn es fällt auf, dass einige Protestierer ihre rot-weiß-blauen Fahnen umgedreht hatten. Einige benutzen auch die sogenannte „Prinzenflagge“, die ursprüngliche Flagge der Niederlande, die aber auch von Rechtsextremisten vor dem Zweiten Weltkrieg benutzt wurde.

Politiker sprechen von „Terrorismus“

Das ist kein Zufall, wird der Protest doch auch von den Ultrarechten im Haager Parlament, dem Tweede Kamer, lautstark befeuert. Die nationalkonservative Partei „Forum für Demokratie“ (FVD), die die letzte Senatswahl aus dem Stand gewann, ruft mittlerweile zu einem Aufstand auf. Vor einiger Zeit gerieten auch die Corona-Proteste in den Niederlanden außer Kontrolle, es wurde in Städten geplündert, und Minister wurden zu Hause mit Fackeln bedroht, die Polizei geriet in Städten wie Rotterdam in Bedrängnis.

„Dass die Polizei gezielt auf Bauern schießt, ohne dringende Gefahr, ist sehr besorgniserregend“, so der FVD-Abgeordnete Gideon van Meieren. „Dass die Polizei dies versucht zu beschwichtigen und darüber lügt, zeigt, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt, sondern Teil eines komplett korrupten System ist“, schlussfolgert der Rechtspopulist. Kollegen wie Martin Bos sprechen vom „Regime“, „friedlichen Bauern“, „Gewalt gegen wehrlose Demonstranten“, der „Gefangennahme von politischen Gegnern“ und der „Einschränkung der Meinungsfreiheit“. Bos: „Volk, steh auf gegen diesen tyrannische Obrigkeitsstaat!“

So fuhren einige Bauern auf dem zentralen Dam-Plein, dem Platz vor dem königlichen Palast in Amsterdam. Auf Protestbannern stand: „Der Krieg hat angefangen, und wir gewinnen!“ Der Jurist Jo Horn, ehemaliger Abgeordneter der sozialdemokratischen PVDA, meint jedoch: „Es ist Terrorismus, und ihr verliert.“

Fazit: Ein Millionenschaden entstand bei den Lebensmittelmärkten, die nicht beliefert werden konnten. Das Land ächzte unter den Staus. Dennoch erhält die Ein-Frau-Fraktion von Caroline van der Plas von der Partei „Bauer-Bürger-Bewegung“ (BoerBurgerBeweging, BBB) in Umfragen fast so viel Zustimmung wie die liberale Regierungspartei VVD von Mark Rutte.

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