Australiens U-Boot-Deal - Pazifisches Pulverfass

Es war ein Paukenschlag: Australien, die Vereinigten Staaten und Großbritannien begründen ein indopazifisches Sicherheitsbündnis. Der geplatzte U-Boot-Deal mit Frankreich ist nur eine Facette davon. Im Visier stehen Chinas hegemoniale Machtinteressen. Und Südkorea verfolgt eigene militärische Pläne. Ein brandgefährliches Gebräu.

Das amerikanische Atom-U-Boot USS Missouri nahe der Hickam Air Force Base auf Hawaii / dpa
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Phillip Orchard ist Analyst beim amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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In einer bahnbrechenden Ankündigung haben Australien, die Vereinigten Staaten und Großbritannien am Donnerstag ein neues trilaterales indopazifisches Sicherheitsbündnis vorgestellt. Der Pakt umfasst mehrere Ziele, darunter Cybersicherheit und eine Zusammenarbeit auf den Gebieten der künstlichen Intelligenz sowie der neuen Technologien. Das Kernstück des Abkommens ist jedoch altmodische harte Macht: Die Briten und die USA werden Australien atomgetriebene U-Boote verkaufen.

Südkorea hat derweil in aller Stille sein eigenes Ding gemacht. In den zurückliegenden Monaten hat das Land eine Reihe neuer einheimischer und zugekaufter Waffensysteme vorgestellt; der größte Erfolg wurde letzte Woche mit dem offenbar erfolgreichen Test einer von einem U-Boot abgefeuerten ballistischen Rakete erzielt. Damit ist Südkorea die einzige nicht-nukleare Macht, die über eine solche Fähigkeit verfügt. Beide Entwicklungen könnten tiefgreifende Auswirkungen auf die regionale Sicherheitsarchitektur haben, vor allem aber geben sie sehr unterschiedliche Signale über den Zustand der amerikanischen Bündnisstruktur.

Es wäre ein Leichtes, den ganzen Hype um das neue Sicherheitsbündnis als übertrieben zu betrachten. Schließlich waren die USA, Australien und Großbritannien schon vorher miteinander verbündet. Jedes dieser drei Länder ist außerdem Mitglied des wichtigen Geheimdienstpakts „Five Eyes“. Sie haben tiefe kulturelle, wirtschaftliche und strategische Bindungen, die bis in die Zeit zurückreichen, als Amerika und Australien noch britische Kolonien waren. Es sind US-Marines im australischen Darwin stationiert und US-Truppen in ganz Großbritannien. Außerdem landen britische Kampfflugzeuge routinemäßig auf amerikanischen Flugzeugträgern.

Hysterische Reaktion

Die Briten hatten bereits vor längerem Pläne für eine langfristige Stationierung von Kriegsschiffen im Indopazifik angekündigt. Aber „Aukus“ (Australia, United Kingdom, United States), wie der Pakt genannt wird, ist immer noch eine große Sache. Die hysterischen Reaktionen Frankreichs (das sein eigenes U-Boot-Abkommen mit Australien aufgekündigt und seine Botschafter in Australien und den USA abberufen hat) und Chinas (das einen intensiven Blick in den Spiegel werfen sollte, aber dies wahrscheinlich nicht tut, nachdem es Australien unwissentlich in diese Richtung gedrängt hat) machen dies deutlich.

Die Sache ist die, dass nicht alle Allianzen gleich sind. Ihre jeweilige Substanz geht auf die Frage zurück, was die Verbündeten bereit und in der Lage sind, füreinander zu tun, insbesondere in schwierigen Zeiten. Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit verleihen Pakten ihr Gewicht. Und es ist die enge Abstimmung von Interessen, die Allianzen ein langes Leben beschert.

Australien ist seit langem in fast jeder Hinsicht ein treuer Verbündeter der Vereinigten Staaten. Es macht sich sogar immer wieder die Hände schmutzig bei US-Konflikten im Nahen Osten und anderswo, die für Australien von marginalem Interesse sind – einfach nur, um seinen Wert als Verbündeter zu demonstrieren und um die Amerikaner auf australische Bedürfnisse aufmerksam zu machen.

Doch unter der Oberfläche gab es in Canberra oft eine gewisse Ambivalenz, wenn es darum ging, sein eigenes Schicksal derart eng an eine weit entfernte Supermacht zu binden. In den meisten praktischen Aspekten ist Australien nämlich eine asiatische Macht. Seine Wirtschaft ist überwiegend auf Ostasien ausgerichtet, wo die größten Abnehmer von Rohstoffen, die größten Handelspartner und die bedeutendsten Investoren ansässig sind. Australiens wichtigste Seewege verlaufen durch hoch umstrittene ostasiatische Gewässer, weshalb in dem Land alle paar Jahre eine heftige Debatte darüber geführt wird, ob man sich stärker an seinen regionalen Nachbarn orientieren sollte, auch im Bereich der Sicherheit.

Die Abhängigkeit Australiens von Ostasien wird immer größer – aber die Debatte darüber, wie man auf diese Abhängigkeit reagieren sollte, scheint nun beendet zu sein: Die Entscheidung, Atom-U-Boote von den USA und Großbritannien zu kaufen, hat einen Schlusspunkt gesetzt.

Kampf um maritime Vorherrschaft

Das U-Boot-Abkommen, das Australien 2016 mit Frankreich unterzeichnet hatte, war ein rein defensiver Schritt. Die hochmodernen dieselelektrischen Angriffs-U-Boote, zu deren Bau sich Frankreich bereit erklärt hat, hätten Australiens Fähigkeit, die Gewässer im nahen Ausland zu patrouillieren, erheblich verbessert – und dem Land einen strategischen Vorsprung verschafft, sollten sich die schwelenden Kämpfe um die maritime Vorherrschaft weiter nördlich entlang der ersten Inselkette in den Südpazifik verlagern.

Die Entscheidung der Australier zugunsten französischer U-Boote (ursprünglich war erwartet worden, dass der Auftrag an Japan geht) hatte auch eine diplomatische Komponente. Denn auf diese Weise vermied Australien eine mögliche Provokation Pekings, wo man nicht gerade erpicht darauf ist, dass Japan seine Ambitionen als Waffenexporteur verwirklicht. Australien könnte glaubhaft behaupten, es kümmere sich lediglich um seinen eigenen Vorgarten. Aber die Chinesen haben Australien trotzdem immer wieder behelligt – etwa wegen dessen informellem Zusammenschluss mit Indien, Japan und den USA. Oder zuletzt wegen australischer Forderungen nach einer Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation über den Ursprung der Corona-Pandemie.

Dies hat zumindest teilweise dazu geführt, dass Australien einen tiefgreifenden strategischen Wandel vollzieht und die Anschaffung nuklearer U-Boote anstrebt. Diese unterscheiden sich sowohl in taktischer als auch in diplomatischer Hinsicht stark von Diesel-U-Booten. Der größte Unterschied ist die Reichweite: Während Diesel-U-Boote relativ häufig aufgetankt werden müssen, können Atom-U-Boote mehr oder weniger unbegrenzt unter Wasser bleiben; die einzige wirkliche Einschränkung ist die Versorgung der Besatzung mit Lebensmitteln. Dadurch wären sie effektiver bei jeder Art von Blockade gegen China rund um die Meerengen, die sich von der Sulu-See bis zur Lombok-, Sunda- und Malakka-Passage erstrecken. 

Entscheidend ist, dass Australien damit auch in der Lage ist, im süd- und ostchinesischen Meer Aufklärungsarbeit zu leisten und – wenn es hart auf hart kommt – nicht zuletzt Kampfeinsätze durchzuführen. U-Boot-Überwachung und -Kriegsführung gelten übrigens weithin als die größten Schwächen des chinesischen Militärs.
 
Der Schritt signalisiert auch die klare Absicht Australiens, solche Art von Operationen durchzuführen. Andernfalls wären die USA wahrscheinlich kaum bereit, derlei sensible Technologie mit den Australiern zu teilen. Also muss China zwangsläufig davon ausgehen, dass die Australier bald vor seiner Haustür herumstochern werden. Damit macht sich Australien die Strategie Washingtons im indopazifischen Raum zu eigen. Wenn man lediglich einen chinesischen Gegenschlag befürchten oder sich einfach nur Optionen offen halten wollte, wäre dies nicht der richtige Weg.

Südkoreas eigener Weg

Südkorea wiederum strebt, anders als Australien, nach militärischer Unabhängigkeit von Amerika. Was nicht heißt, dass die USA etwas gegen Südkoreas Aufrüstung hätten. Immerhin stammen die meisten Waffen, die Südkorea in jüngster Zeit gekauft hat, aus den Vereinigten Staaten. Und Washington hat dem südkoreanischen Raketenprogramm im Grunde grünes Licht gegeben, als es von 2012 an Beschränkungen für die Reichweite und die Nutzlastkapazität südkoreanischer Raketen aufhob. (Ursprünglich sollte damit verhindert werden, dass Seoul womöglich einen Krieg mit Nordkorea vom Zaun bricht und die USA in einen ungewollten Konflikt hineinzieht.)

Dennoch steht das Bündnis zwischen Washington und Seoul aus mehreren Gründen auf wackligen Beinen. Da sind zum einen die Drohungen der USA, Südkorea wegen der festgefahrenen Verhandlungen über militärische Lastenteilung fallen zu lassen – ein Ausdruck der latenten Anti-Bündnis-Stimmung in den USA, die nie ganz verschwindet. Nicht ohne Grund ist in Seoul die Annahme weit verbreitet, dass die Stationierung von US-Truppen auf der Halbinsel eine zweite Amtszeit Trumps nicht überlebt hätte. Hinzu kommt das jüngste Wiederaufleben der historischen südkoreanisch-japanischen Spannungen, die zu einem kurzen Handelskrieg führten.

Es gibt auch klare Anzeichen für strategische Divergenzen zwischen Washington und Seoul in Bezug auf China sowie eine gewisse Enttäuschung in Seoul über die fehlende Unterstützung der USA, als Peking die südkoreanische Wirtschaft wegen der Installation eines US-Raketenabwehrsystems ins Visier nahm.
Vor allem aber existieren erhebliche Meinungsverschiedenheiten darüber, wie am besten mit Pjöngjang umzugehen sei – und das zu einer Zeit, in der die Nordkoreaner in Seoul (und auch in Tokio) Zweifel daran säen, dass die USA im Falle eines Angriffs aus dem Norden weiterhin bereit sein werden, Südkorea zu verteidigen. Tatsächlich hat Südkorea berechtigte Befürchtungen, von den USA im Stich gelassen oder durch die Amerikaner in einen ungewollten Krieg verwickelt zu werden.

Solcherlei Befindlichkeiten gibt es in jedem Bündnis. Dass ein Verbündeter aber beides gleichzeitig fürchtet, ist eher selten, denn in solchen Fällen neigt der schwächere, sich erpresst fühlende Verbündete dazu, nach einem Ausweg zu suchen, bevor die Partnerschaft zu einem politisch unhaltbaren Vasallentum mutiert.

Südkorea bereitet sich also ständig auf den Tag vor, an dem es auf sich allein gestellt sein wird. Und es spricht einiges dafür, dass dies unter der Mitte-Links-Regierung von Präsident Moon Jae-in geschieht, dessen Nordkorea-Strategie stärker als bisher auf einen Konflikt mit Pjöngjang setzt. Unter Moon haben sich die Verteidigungsausgaben im Vergleich zu den Vorgängerregierungen beschleunigt und sind um etwa sieben Prozent pro Jahr gestiegen. Südkoreas Aufrüstung könnte letztlich sogar den USA nutzen, die von ihren Verbündeten erwarten, sich selbst um die eigene Sicherheit zu kümmern und mehr zu multilateralen Initiativen beizutragen. Ein stärkeres Südkorea setzt US-Ressourcen für andere Operationsfelder frei.

Schon fast Nuklearmacht

Doch das Streben Seouls nach U-Boot-gestützten ballistischen Raketen (SLBM, submarine-launched ballistic missiles) deutet auf eine strategische Logik Südkoreas hin, die zu tiefgreifenden Komplikationen in der gesamten Region führen könnte. Es gibt einen Grund dafür, dass keine andere nicht-nukleare Macht über SLBM verfügt: Der Hauptnutzen solcher Raketen liegt in der Fähigkeit, einen Feind auf unbestimmte Zeit mit Massenvernichtungswaffen zu bedrohen, und Südkorea glaubt, dass dies nötig sei, um ein „nukleares“ Nordkorea in Schach zu halten.

Südkorea befindet sich derzeit unter dem nuklearen Schutzschirm der USA und hat kein eigenes Atomprogramm. Aber es hat konventionelle Raketen mit einer Nutzlast entwickelt, die groß genug ist, um der Regierung von Kim Jong Un zumindest glaubhaft mit Enthauptungsschlägen zu drohen. Und wie Japan gilt auch Südkorea allgemein als „eine Vierteldrehung vom Status einer Nuklearmacht entfernt“.

Mit anderen Worten: Das Land verfügt über das nötige Knowhow und über die zivile Nuklearbasis, um relativ schnell ein eigenes Kernwaffenprogramm entwickeln zu können. Südkorea hat in den 1970er Jahren mit Atomwaffenprogrammen experimentiert, und einem Bericht des Forschungsinstituts zur Nichtverbreitung von Atomwaffen (NPEC) aus dem Jahr 2015 zufolge verfügt Südkorea bereits über genügend Plutonium, um Tausende von Atomwaffen herzustellen. Es wird sogar vermutet, dass das Land heimlich Technologien für Atom-U-Boote entwickelt. Als sprichwörtlicher „Zwerg unter den Riesen“ hat Südkorea offensichtliche strategische Gründe, diesen Weg zu gehen. Und im Gegensatz zu Japan deuten Umfragen regelmäßig darauf hin, dass der politische Rückhalt dafür im eigenen Land groß genug ist.

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