Die Kanzlerin gerät außenpolitisch unter Druck - Amerikas Gretchenfrage

Nach dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Joe Biden muss die Kanzlerin ihre außenpolitische Schaukelpolitik zwischen den USA, China und Russland auf den Prüfstand stellen. Ein Weiter So kann es nicht geben. Was bedeutet das für den neuen CDU-Chef Armin Laschet?

Business as usual geht nicht mehr – die Kanzlerin muss sich außenpolitisch bewegen /dpa
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Autoreninfo

Maximilian Terhalle ist Politikwissenschaftler und derzeit Visiting Professor of Strategic Studies am King's College in London. Zu seinen Veröffentlichungen gehören unter anderem „The Transition of Global Order” (Palgrave 2015) und „The Munich Consensus and the Purpose of German Power” in Survival (2016).

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Ob Kanzlerin Merkel Euphemismen schätzt, ist nicht überliefert. Dass aber das „Wagnis“, wie sie die von ihr betriebene, frühzeitige Entkoppelung von Parteivorsitz und Kanzleramt 2018 nannte, innenpolitisch zu einer Stärkung der Partei geführt hätte, lässt sich nach dem von Armin Laschet knapp gewonnenen Unentschieden im Kampf um den CDU-Vorsitz noch nicht endgültig sagen.    

Merkels Wagnis endet aber hier nicht. Unbedacht von ihr oder schlicht voraussetzend, dass das Wagnis sicherheitspolitisch höchstens eine quantité negligeable darstellt, bietet das Wagnis Mächten wie China und Russland das, wofür sie ihre zynischen Manipulationstechniken noch nicht einmal bemühen müssen: Uneinigkeit an der außenpolitischen Spitze Berlins. Die kommende Uneinigkeit der CDU ist dabei nur das Resultat einer lange selbst geglaubten und entsprechend lange durchgehaltenen „Alternativlosigkeit“ der Außenpolitik Merkels. Gegen diese bricht sich jetzt Widerspruch Bahn.

Die USA setzen die Kanzlerin unter Druck  

Begünstigt durch die Corona-Blase, die öffentliche Debatten zum Thema noch geringer ausfallen lässt, als dies ohnehin schon während der Ära Merkel der Fall gewesen ist, hat das Virus gleichsam ein Vakuum geschaffen, in dem fundamentale Aspekte internationaler Politik bisher exekutiv durchgewunken wurden. Das jüngste Investitionsabkommen mit China, der brisante Abschlussbericht der Nato Reflection Group oder NordStream2 trotz der Causa Nawalny sind nur einige davon.   

Aber jetzt ist ein Spannungsdreieck entstanden, das Frau Merkel mit ihrem Gerede von Alternativlosigkeit machtvoll unter Druck setzt. Während sie ihre grundsätzlichen Annahmen zur Weltpolitik kaum wandeln wird, vielmehr ihr Erbe im Auge hat, wird Joe Biden, wie Trump, nur gemäßigter im Ton, die Russland- und China-Politik der Kanzlerin infrage stellen. Unter Trump hat Merkel die Substanz der Kritik ideologisch ignoriert. Jetzt gibt es jedoch bereits klar erkennbaren Dissens aus Amerika, den sie nicht mehr ignorieren kann. Und selbst wenn Armin Laschet bisher – in nicht immer vorteilhafter Weise – auf Merkels Linie lag, wird auch er innerparteilich gegenüber expliziten, sich deutlich von der Alternativlosigkeit Merkels abweichenden Stimmen wie denjenigen von Friedrich Merz und Norbert Röttgen Stellung nehmen müssen. Sein „Prinzip“ ist das „Zusammenführen“. In der Praxis heißt das dann aber auch, die Gespräche in der Partei mit Frau Merkel in Einklang zu bringen. 

Will der Westen Vormacht bleiben? 

Die zuweilen kleinteilige, detailbesessene Blickweise Merkels wird jetzt nolens volens auf das zentrale Thema der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik schlechthin geleitet: die Gewährung der politischen Sicherheitsgarantie durch die USA. Es gibt hier kein Zurück zu einem angeblich goldenen Zeitalter transatlantischer Beziehungen, wie die deutsche Verteidigungsministerin es Ende letzten Jahres implizierte, höchstens ein Zurück zu zivilisiertem Dialog. Und dieser trifft auf etwas, das Merkel bisher allein in hochtönenden Reden zum Schutz der regelbasierten liberalen Weltordnung gesagt, aber nie annähernd verkörpert hat: Der Westen steht im grimmigen Angesicht der Herausforderung seiner Weltordnung.  

Frau Merkel hat sich dabei überdies international nicht durch die Beherrschung der „Sprache der Macht“ hervorgetan. Aber genau darum geht es heute: um Macht, um die Verteidigung westlicher Macht. Will der Westen Vormacht bleiben? Das ist das Entscheidende. Der Schutz der Freiheitsrechte, wie die Grünen betonen, ist gewiss zentral, weil dies unsere Lebenswelt betrifft. Ohne Machtübergewicht des Westens werden sie gleichwohl leere Formeln bleiben. Merz und Röttgen haben dies klarer und besser als die Grünen erkannt. Laschet wird nicht umhinkommen, sich dieser eklatant vitalen Thematik zu stellen.  

Schluss mit Berliner Schaukelpolitik 

Auf den harten strategischen Punkt gebracht: Amerika will wissen, dass Deutschland mit Blick auf China an seiner Seite steht. Berliner Schaukelpolitik à la Weimar oder Ostpolitik wird es nicht geben. Denn anders als zuletzt im Kalten Krieg sehen sich die USA zwei Großmächten gegenüber, nicht einer. Biden wird also bald die strategische Gretchenfrage stellen, einmal, vielleicht zweimal. Wenn Berlin dann weiterhin glaubt, durch Handel mit China ungestört viel Geld verdienen zu können und damit auch die gewaltige Militärmaschinerie Chinas zu fördern, sich aber über strategische Belange keine Gedanken zu machen, dann wird es ein böses Erwachen geben. Amerika wird keine Sicherheitsgarantie gewähren, wenn seine Verbündeten mit dem stärksten Rivalen wirtschaftlich eng kooperieren.  

Die kommende Uneinigkeit an der CDU-Spitze mag vielleicht ungewollt sein, aber sie ist gleichsam ‚alternativlos‘ angesichts der mit Biden virulent aufbrechenden Widersprüche zu deutschen Einschätzungen der Weltpolitik. Der neue Parteivorsitzende täte gut daran, das halsbrecherische „Wagnis“ der Kanzlerin in der Partei durch „mehr Demokratie wagen“ im Sinne des seit Jahren geforderten, aber nie geführten strategischen Dialogs zu entschärfen.  

Ob die Bundeskanzlerin diesen Dialog zulässt, indem sie ihre Sicherheitspolitik zur Diskussion stellt, entscheidet auch über das Schicksal Armin Laschets. Da Frau Merkel sich hier aber nicht hereinreden lassen wird und der neue Vorsitzende ihr bereits „die volle Rückendeckung“ zugesichert hat, könnte das außenpolitische „Wagnis“ bald sein nächstes Opfer fordern. Xi und Putin wären einmal mehr die Gewinner.  

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