Angela Merkels Harvard-Rede - Richtig, aber unklug

Angela Merkels Rede vor den Absolventen der Harvard University war sicher aufmunternd für die jungen Menschen. Diplomatisch klug war sie nicht. Ohne Donald Trump direkt zu erwähnen, machte sie ihn zum abschreckenden Beispiel in Sachen Engstirnigkeit, Unbedachtheit und Ignoranz

Angela Merkel konnte an der Harvard University im Applaus baden / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

So erreichen Sie Thomas Jäger:

Anzeige

Würde man die Rede, die Bundeskanzlerin Merkel vor den Absolventen der Harvard University gehalten hat, sorgfältig in eine transparente Hülle packen und mit der nächsten Marsmission ins Weltall schicken, und würde sie dort von jemandem gefunden und gelesen werden, der vor Jahrzenten die Erde verlassen hat, wäre die Reaktion wohl: Das sind alles sehr schöne, kluge und aufmunternde Worte für junge Menschen, die vor ihren ersten Berufserfahrungen stehen. Nichts ist sicher, alles möglich. Seid mutig und kitzelt den Zauber des Anfangs aus allem heraus. Seid neugierig und offen für Neues. Lasst euch nicht von dem begrenzen, was ist, sondern sucht nach dem, was möglich und richtig ist.

Aber Bundeskanzlerin Merkel hat die Rede 2019 in den USA gehalten, an einem Tag, an dem der amerikanische Präsident, den sie letztmals im Vorjahr getroffen hatte, keine Zeit für sie fand. Sie hat vor einem Publikum gesprochen, das als liberal gelten kann und von dem anzunehmen ist, dass sich die Trump-Wähler darunter nicht trauen, offen zu sagen, dass sie ihn gewählt haben.

Die Anti-Trump

Sie wurde schon vor Monaten mit großen Erwartungen als diejenige angekündigt, die international einflussreich, erfahren und geachtet ist. Das Gegenteil von Donald Trump. Es war alles aufgeboten, um den Showdown herauszustellen: Eine beeindruckende Frau gegen den tumben Präsidenten. Trump musste nicht anwesend sein, um als Elefant im Raum alle Sätze auf sich zu ziehen.

So liest sich diese Rede eben doch wie ein knapper Essay mit dem Titel: „Der amerikanische Präsident sieht die ganze Welt durch die Brille der Engstirnigkeit.“ Knapper gesagt: Ihr habt einen doofen Präsidenten. Und genau diese Haltung sollte keiner der Harvard-Absolventen mit in sein zukünftiges Leben nehmen. Nicht engstirnig sein, nicht ignorant, nicht unbedacht, eben: einfach nicht wie Trump.

Jedem Wort ist zuzustimmen

Dabei hat die Bundeskanzlerin ja völlig recht, wenn sie sich gegen Mauern im Kopf und auf dem Boden, gegen Protektionismus, für eine aktive Klimapolitik und für einen umfassenden Multilateralismus ausspricht. Sie hat recht, wenn sie die gegenteiligen Positionen verwirft und sie für einen nicht nur unglücklichen, sondern fatalen Weg in die Zukunft hält. Sie hat mit jedem Satz, den sie gesprochen hat, recht. Jeder für sich ist klar und gesetzt formuliert.

Wenn sie gegen impulsive Entscheidungen, Ignoranz und Engstirnigkeit auftritt (kurz nach ihrer ersten Wahl zur Bundeskanzlerin hätte man gedacht, sie meint Bundeskanzler Schröder), ist das angesichts der Entscheidungsprozesse im Weißen Haus richtig. Und richtig ist zu sagen:  „...dass wir Lügen nicht Wahrheiten nennen und Wahrheiten nicht Lügen.“ Und aus der deutschen und europäischen Erfahrung ist es auch richtig zu betonen: „Veränderungen zum Guten sind möglich, wenn wir sie gemeinsam angehen. In Alleingängen wird das nicht gelingen.“ Jedes Wort ihrer Rede stimmt. Jedem Wort ist zuzustimmen.

Aber ist es klug, den amerikanischen Präsidenten so herauszufordern? Minutenlang über ihn zu reden, ohne seinen Namen zu nennen, aber doch so, dass jeder Zuhörer weiß, um wen es geht? Sie hat die Rede eben nicht auf dem Mars gehalten, sondern in den USA zu Beginn des nächsten Präsidentschaftswahlkampfs. Und das auch noch vor den Menschen, die Trump als globalistische Elite zum Gegenpol seiner Wählerschaft stilisiert. Sie hat ihm den Gefallen getan, diese Polarisierung, von der Trump politisch lebt, erneut öffentlich zu verfestigen.

Warum hielt Merkel diese Rede?

Diplomatie, und nichts anderes ist diese Rede, muss manchmal laut sein, öffentlich wirken und Wellen schlagen. Manchmal muss sie aber auch leise sein, die Türen zuhalten und verlässliches Schweigen nach sich ziehen. Bundeskanzlerin Merkel ist dafür bekannt, dass sie gerade die zweite Art zur Perfektion brachte: was intern gesprochen wird, bleibt in den Mauern. Hierzulande funktioniert das schon seit 14 Jahren recht gut und, wenn es so kommt, wohl noch zwei weitere Jahre.

Wird ihr Auftreten die Chancen verbessern, deutsche Interessen in Washington zu vertreten? Wohl nicht. Kann das Bundeskanzlerin Merkel egal sein? Eher nicht. Hat sie damit an ihr politisches Vermächtnis an exponiertem Ort dargelegt? Auch nicht, denn weder waren ihre Positionen neu, noch wuchsen sie zu einem politischen Zukunftsplan aus. Warum hielt Bundeskanzlerin Merkel, die ihre Worte jederzeit wohl zu setzen weiß, diese Rede? Für den Applaus kann es nicht gewesen sein. So etwas hätte höchstens Präsident Trump getan.

Anzeige