„Apartheid“-Vorwürfe gegen Israel - „Amnesty International“ schießt sich erneut ins Abseits

Am 11. Mai gerät eine Journalistin des katarischen Senders „Al Jazeera“ in einen Schusswechsel zwischen bewaffneten Palästinensern und der israelischen Armee. Die Umstände ihres Todes sind ungeklärt – aber die Palästinenserbehörde spricht jetzt schon von einer „Hinrichtung“. Sie erhält dabei Schützenhilfe von der Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“, die schon früher mit antisemitischen Ausfällen aufgefallen ist.

Palästinensische Demonstranten bei der Beerdigung von Shireen Abu Akleh, deren Todesumstände noch gar nicht geklärt sind / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Nathan Giwerzew ist Journalist in Berlin.

So erreichen Sie Nathan Giwerzew:

Anzeige

„End Israel’s apartheid. End Israel’s apartheid. End Israel’s apartheid. End Israel’s apartheid. End Israel’s apartheid. End Israel’s apartheid.“ Das postet die Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ auf verschiedenen Social-Media-Kanälen am 11. Mai, nachdem der Tod der Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh öffentlich geworden war. „Amnesty International“ verdächtigt Israel, sie durch einen Kopfschuss gezielt ermordet zu haben.

Der Hintergrund: Sie berichtete von einem israelischen Militäreinsatz in einem palästinensischen Flüchtlingslager in Dschenin, in dessen Verlauf eine Terrorzelle ausgehoben werden sollte. Alle israelischen Versuche, in einer gemeinsamen Untersuchung die Umstände ihres Todes aufzuklären, wurden von der palästinensischen Seite abgelehnt.

Dabei hat aber auch das für die Obduktion zuständige Krankenhaus in Nablus hervorgehoben, dass noch nicht alle Beweise vollständig gesichtet seien. Für viele erhärtet das den Verdacht, dass die beliebte Reporterin möglicherweise durch den Schuss eines palästinensischen Terroristen ums Leben gekommen war. 

Ein eindeutig antisemitisches Vokabular

Das an Südafrika angelehnte „Apartheid“-Vokabular vonseiten Amnestys und anderer „woker“ NGOs kann man nur als das bezeichnen, was sie offensichtlich ist: antisemitisch. Denn wer von „Apartheid“ spricht, greift die Essenz Israels als eines modernen jüdischen Nationalstaats an. Diese Analogie soll Israel als einen rassistischen Verbrecherstaat brandmarken, der nichts Besseres zu tun hätte, als Minderheiten zu unterdrücken und die Herrschaft einer „weißen Rasse“ mit Gewalt durchzusetzen. 

Nichts könnte falscher sein als dieser Vorwurf: Von den in Israel lebenden Juden stellen Juden mit orientalischen Wurzeln die absolute Mehrheit. Äthiopisch- und arabischstämmige Israelis besetzen oberste Richterämter, sogar eine pro-palästinensische Partei ist Teil der Regierungskoalition. 

Und arabische Israelis verschiedener Glaubensrichtungen machen etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung aus – unter ihnen sind auch viele Christen. Sie zählen mit zu den am besten gebildeten Bürgern des Landes und ihre Anzahl wächst. Anders als in Gaza oder im Westjordanland, wo sie als Menschen zweiter Klasse gelten und wo sie daher sukzessive zur Auswanderung genötigt werden.

„Amnesty“ betreibt immer das gleiche Spiel

„Kauft nicht bei Juden!“, hieß es früher in Nazideutschland. Die israelfeindliche Boykottbewegung BDS fordert heute: „Kauft nicht beim Judenstaat!“ Es ist kein Zufall, dass „Amnesty International“ schon seit Jahren dieser antisemitischen Splittergruppe die entsprechenden Stichworte liefert: Das Vokabular von Israel als „Apartheidregime“ oder „Terrorstaat“ passt genau in die Agenda von BDS, das alle Bundestagsparteien einstimmig als antisemitisch verurteilen. Zumal „Amnesty“ jedes Mal, wenn Israel sich gegen Raketenangriffe aus Gaza verteidigt, den realen Grund für die israelischen Gegenschläge verschweigen möchte. 

Es ist immer das gleiche Spiel. Was immer Israel tut, es wird durch „Amnesty“ umgedreht: Achtet die israelische Luftwaffe darauf, so wenig Zivilisten zu treffen wie möglich (die gleichwohl durch die islamistische Hamas als menschliche Schutzschilder eingesetzt werden), dann wird sie der geplanten Kriegsverbrechen an der palästinensischen Zivilbevölkerung bezichtigt. 

Aber wer hat hier eigentlich die genozidalen Pläne? Israel, das sich gegen die Übergriffe einer durch Katar und den Iran geförderten Terrorgruppe verteidigt? Oder die Hamas, die am liebsten den Holocaust zu Ende bringen würde – und dafür völlig unkritisch von pro-palästinensischen Medien wie „Al Jazeera“ als Bewegung von mutigen Widerstandskämpfern gefeiert wird?

Wer das nicht glaubt, kann sich gerne die entsprechenden Amnesty-Berichte aus dem Gaza-Krieg im letzten Jahr durchlesen. Die antisemitische Agenda der Hamas, die tausende Raketen auf Israel abschoss, wird in den Amnesty-Berichten nicht einmal erwähnt. Die Hamas-Raketenabschüsse auf israelische Wohnhäuser wiederum erwähnt „Amnesty“ nur dann, wenn im gleichen Atemzug auch Israel verurteilt wird. Und das geschieht in den schrillsten Tönen – genau wie im März, als „Amnesty“ in einem Brief an die UN von Israel forderte, es solle sein „Apartheidsystem“ abschaffen.

Hamas und Fatah – keine beliebten Akteure in Nahost

Zweifellos: Der Konflikt zwischen Israel und den verschiedenen Palästinensergruppen (die dazu noch untereinander bitter verfeindet sind) ist für Außenstehende schwer zu durchschauen. Selbst in Israel herrscht alles andere als Einigkeit darüber, welchen Kompromiss man mit den Palästinenservertretern über die besetzten Gebiete finden sollte. 

Die Maßnahmen der israelischen Regierungen in den besetzten Gebieten sind in Israels demokratischer Öffentlichkeit schon immer Gegenstand einer kontroversen Debatte gewesen. So etwa die folgenden Fragen: Ist der Bau jüdischer Siedlungen im Westjordanland wirklich in Israels Sicherheitsinteresse? Oder heizt das nicht den Konflikt weiter an? Verschiedene israelische Premierminister versuchten verschiedene Antworten auf diese Fragen zu finden.

Nach einer langen Verhandlungsrunde über die palästinensische Unabhängigkeit in den 1990er-Jahren, in der Israel zu großen Kompromissen bereit war, erntete es 2001 eine „Intifada“. „Intifada“ heißt auf Arabisch „Erhebung“ – und in der Praxis bedeutete das eine beinah endlose Reihe an Anschlägen auf israelische Zivilisten. Angeführt und großzügig gefördert von der Palästinenserbehörde (Fatah), die damit offen zeigte, worum es ihr eigentlich ging: um die Vernichtung Israels. 

Und als sich Israel im Jahr 2005 vollständig aus dem Gazastreifen zurückzog, setzte sich dort nach einem blutigen innerpalästinensischen Machtkampf die Hamas fest. Dass heute kaum jemand mehr in Israel an reale Chancen auf Frieden glaubt, hängt also vor allem mit diesen beiden traumatischen Erfahrungen zusammen. Kein Wunder also, dass der neueste palästinensische Terror in Israel vor allem das Bedürfnis nach mehr Präsenz von Polizei und Armee hervorruft.

Hinzu kommt: Auch Israels Nachbarn Jordanien und Ägypten – die ebenfalls an das Westjordanland bzw. an den Gazastreifen angrenzen – brauchen glaubhafte Sicherheitsgarantien von den jeweiligen Palästinensergebieten. Denn es ist nicht gerade förderlich für das gegenseitige Vertrauen, dass die PLO schon einmal den jordanischen König stürzen wollte. Und dass die Hamas Terror- und Schmuggeltunnel nach Ägypten baut, die ständige Gegenmaßnahmen vonseiten Ägyptens erfordern.

Ägypten wiederum hat überhaupt kein Interesse an der Präsenz dieses palästinensischen Muslimbruderschaft-Ablegers im eigenen Land: Die Hamas ist dort eine verbotene Terrororganisation, und der den Muslimbrüdern nahestehende Ex-Präsident Mohammed Mursi starb 2019 in Haft.

Februar 2022: „Amnesty“ schießt sich ins Abseits

All dies scheint „Amnesty“ kaum zu interessieren: Denn wer nur in Kategorien von „Apartheidregimes“ oder „Verbrecherstaaten“ denkt, wird die Komplexität dieses Konfliktes nicht verstehen. Für den Ruf von „Amnesty“ selbst ist das nicht gerade von Vorteil, denn die einseitig anti-israelische Berichterstattung macht den Menschenrechts-Aktivismus von „Amnesty“ unglaubwürdig. Daran ändert auch die ausführliche „Amnesty“-Berichterstattung über russische Kriegsverbrechen in der Ukraine nichts.

Aras-Nathan Keul, Bundesvorsitzender des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, bringt das Problem von „Amnesty“ daher folgendermaßen auf den Punkt: „Amnesty muss sich entscheiden: entweder pro-Menschenrechte oder anti-Israel. Beides geht nicht.“

Dass beides zusammen nicht geht, scheint inzwischen auch die Bundesregierung erkannt zu haben. Als die britische Sektion von „Amnesty International“ Anfang Februar in einem Bericht auf 280 Seiten Israel die „Errichtung eines grausamen Herrschaftssystems“, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Apartheid gegen die Palästinenser“ vorwarf, antwortete das Auswärtige Amt prompt: „Begriffe wie Apartheid ebenso wie eine einseitige Fokussierung der Kritik auf Israel lehnen wir ab. Für eine Lösung des Nahostkonflikts ist das nicht hilfreich.“ Angesichts des ansteigenden Antisemitismus in Europa trage jeder Verantwortung, ihn durch die Verwendung demagogischer Begriffe nicht weiter anzuheizen, so das Auswärtige Amt weiter.

Einmal davon abgesehen, wie sinnvoll im Post-Holocaust-Kontext überhaupt die Rede von einer „Lösung“ des Nahostkonflikts ist – und welche Gruppen in Europa den Antisemitismus überhaupt maßgeblich anheizen: Diese Antwort zeigt immerhin, dass man mit BDS-Rhetorik auch in Berlin inzwischen auf Granit stößt. Und zwar nicht nur bei der Bundesregierung, sondern auch bei linken Netzaktivisten wie Sascha Lobo, der seine „woken“ Leser im Spiegel offen gefragt hatte: „Ihr seid gegen jede Diskriminierung, außer sie betrifft Juden und Israelis?“ 

Allein auf weiter Flur

Auch Belltower, die Hauspostille der linksliberalen Amadeu-Antonio-Stiftung, unterstreicht mithilfe eines „Faktenchecks“ noch einmal das Offensichtliche:

„Auch wenn andere Definitionen für Apartheid angelegt werden, ist der Begriff untrennbar mit dem rassistischen Apartheidregime in Südafrika verbunden. Zwischen 1948 und 1994 wurden durch zahlreiche Gesetze und Institutionen eine „Rassentrennung“ aufrechterhalten, die die ökonomische und politische Überlegenheit der weißen Minderheit stabilisieren sollte. Schwarze und andere Bevölkerungsgruppen durften kein Land besitzen, hatten kein oder nur ein extrem eingeschränktes Wahlrecht. Öffentliche Gebäude, etwa Krankenhäuser, Postfilialen, Banken und auch öffentliche Toiletten, hatten zwei Eingänge: einen für die weiße Minderheit, einen für die Schwarze Bevölkerung. Andere Gebäude oder Einrichtungen durften gleich gar nicht von Schwarzen betreten oder benutzt werden. Nichts davon ist der Fall in Israel.“

All das zeigt, dass man sich auch aufseiten der politischen Linken hierzulande mit „Amnesty“-Positionen nur unbeliebt machen kann. Ob diese aber in ihren Forderungen so weit gehen werden wie die US-Republikaner, die nach den antisemitischen Ausfällen von „Amnesty International“ immerhin eine radikale Kürzung der amerikanischen Bundesmittel für „Amnesty“ vorgeschlagen hatten, bleibt vorerst fraglich.

Anzeige