Äthiopien - Hunger in Tigray – die politische Dimension

Im Norden Äthiopiens droht eine Hungerkatastrophe. Die Vereinten Nationen und die USA haben ihre Nahrungsmittellieferungen eingestellt, weil sie laufend geplündert wurden. Verantwortlich dafür ist die „Volksbefreiungsfront von Tigray“.

Eine Frau in einem kleinem Dorf nahe der Stadt Samre / picture alliance
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Autoreninfo

Alfred Schlicht ist promovierter Orientalist und pensionierter Diplomat. 2008 erschien sein Buch „Die Araber und Europa“. Sein Buch „Das Horn von Afrika“ erschien 2021, beide im Kohlhammer-Verlag.

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Am 14.7. thematisierten die wichtigsten ARD-Nachrichtenformate, Tagesschau und Tagesthemen, eine afrikanische Region, die sonst eher im Windschatten medialer Aufmerksamkeit liegt – die bitterarme äthiopische Nordprovinz Tigray. Dort sei mit einer akuten Hungersnot zu rechnen. Das ist so weit nicht außergewöhnlich – hatte es doch in den vergangenen Monaten wiederholt in nationalen und internationalen Medien Warnungen gegeben, am Horn von Afrika drohe eine Hungerkatastrophe.

Aufhorchen ließ allerdings der Hinweis, die Gefahr einer umfassenden Hungersnot sei teilweise dadurch bedingt oder werde dadurch verschärft, dass die UN und die USA ihre Nahrungsmittelhilfe eingestellt haben. Begründet wurde dieser gravierende Schritt damit, dass es zu Raub und Plünderung von Hifslieferungen in der bis Ende 2022 von einem Krieg heimgesuchten Region Tigray gekommen war und Nahrungsmittel auf dem Markt teuer verkauft wurden.

Tigray-Befreiungsfront steht hinter den Aktionen

Die Tigray-Befreiungsfront TPLF, die im November 2020 den Krieg um Tigray mit einem Überfall auf eine äthiopische Militärbasis und einem Massaker an Zivilisten (was Amnesty International bestätigte) mutwillig ausgelöst hatte, stand hinter solchen Aktionen. Dies ist leider nicht neu.

Stéphane Dujarric, der Sprecher des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, hat im August 2022 einen Überfall der TPLF auf einen Stützpunkt des Welternährungsprogramms in Mekelle, der Hauptstadt von Tigray, der am 24.8. stattgefunden hatte und bei dem unter anderem 570.000 Liter Treibstoff geraubt worden waren, mit scharfen Worten verurteilt. Auch Samantha Power, Chefin der offiziellen US-Agentur für Entwicklungshilfe, hat damals den dreisten Raub angeprangert.

Bemerkenswerterweise hat der Chef der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, der selbst Wurzeln in Tigray hat und sich immer mehr zum Sprachrohr der TPLF entwickelt, der Weltöffentlichkeit vorgeworfen, die schwierige Lage der Bevölkerung in Tigray zu ignorieren. Dies, obwohl es gerade die TPLF war, die die Hilfslieferungen der internationalen Gemeinschaft geraubt hatte. Als Chef einer UN-Organisation hätte er auch wissen können, dass die Vereinten Nationen damals 840 Tonnen Düngemittel speziell für Tigray bereitgestellt hatten.

Hunger als historische Bürde

Hunger ist seit langem eine der Geißeln Nordäthiopiens. Quellen belegen Hungersnöte seit dem 16. Jahrhundert. Im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert rückten diese humanitären Katastrophen zunehmend ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit. In den frühen 1970er-Jahren versuchte Kaiser Haile Selassie, eine schwere Hungersnot vor der Weltöffentlichkeit zu verbergen, wodurch deren verheerende Folgen noch verschlimmert wurden, denn die so dringend benötigte Hilfe der internationalen Gemeinschaft blieb aus. Dies war auch einer der Faktoren, die schließlich zum Sturz des letzten äthiopischen Kaisers und nach 700 Jahren zum Ende der salomonischen Dynastie führten.

Als 1974 ein marxistisches Militärregime an die Macht kam, verkündete dessen Chef Mengistu Haile Mariam prahlerisch, die Zeit der Hungerkatastrophen sei nunmehr vorüber. Wie nicht anders zu erwarten, kam die nächste schwere Hungersnot schon bald, nämlich Anfang der 1980er Jahre. Mengistu wollte nicht, dass dieses Ereignis die Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum seiner Machtübernahme überschattete, und versuchte, die Hungersnot zu verschleiern.

Hilfslieferungen kamen nicht der hungernden Bevölkerung, sondern dem Militär zugute. Doch die internationalen Medien, allen voran die BBC, fanden dennoch Möglichkeiten, zu berichten – in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ließen sich Katastrophen biblischen Ausmaßes nicht mehr einfach totschweigen. Die BBC-Dokumentation erschütterte den irischen Rockstar Bob Geldof so sehr, dass er beschloss, eine weltweite Aktion zugunsten der Hungernden in Tigray zu starten. Die Aktion „Live Aid“ mit einem Doppelkonzert in den USA und Großbritannien erreichte am 13. Juli 1985 weit über eine Milliarde Menschen, erbrachte 140 Millionen Dollar und bewirkte, dass die Welt auf den Hunger in Tigray aufmerksam wurde.

Mafiöse Kleptokraten steuern in einen Krieg

1991 hat die TPLF mit massiver Hilfe der EPLF, der Eritreischen Befreiungsfront, die marxistische Diktatur gestürzt und die Macht in Äthiopien übernommen; Eritrea wurde unabhängig. Doch bald zerbrach die Allianz zwischen Eritrea und Äthiopien. Neue Spannungen entstanden, die um die Jahrtausendwende in einem Krieg gipfelten.

Es war Ministerpräsident Abiy Ahmed, der 2018 in Äthiopien die 27-jährige TPLF-Herrschaft beendete und die Hand nach Eritrea ausstreckte.

Nun versuchte die TPLF, deren Kleptokraten lange Äthiopien ausgebeutet, aber kaum Verbesserungen für Tigray gebracht hatten, ein unabhängiges Groß-Tigray zu schaffen – unter Einbeziehung von Teilen Eritreas.

 

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Den Krieg, der 2020 bis 2022 stattfand, hat die TPLF mit Gewaltakten ausgelöst, die keinen anderen Zweck hatten als den der Destabilisierung, die sie auch in andere Landesteile Äthiopiens trug. Die TPLF hat den Konflikt auch so geführt, dass eine Reaktion seitens der äthiopischen Zentralregierung und der eritreischen Regierung erfolgen musste, deren Opfer zwangsläufig die Zivilbevölkerung von Tigray wurde. Lastwagen, die aus Äthiopien humanitäre Hilfe nach Tigray brachten, verschwanden und kehrten nicht zurück. Es steht zu vermuten, dass die TPLF sie für militärische Zwecke verwendet hat.

Deshalb wurden natürlich weitere Lieferungen nach Tigray unterbunden, das Kriegsgebiet abgeriegelt. Die TPLF hat auch von Beginn des Konflikts an Ziele in Eritrea und in Regionen Äthiopiens beschossen und damit eine militärische Kooperation zwischen Asmara und Äthiopien quasi erzwungen. Sie stieß in äthiopische Nachbarregionen vor und beging Massaker an der Zivilbevölkerung und zahlreiche Zerstörungen. Unter dem Eindruck solcher Gewalt schlossen sich Amhara- und Afar-Milizen mit der äthiopischen Armee gegen die TPLF-Bedrohung zusammen. Ganz offen drohten TPLF-Führer, nach Addis Abeba und Asmara vorzurücken.

TPLF-Funktionäre haben bereits Vermögen ins Ausland gebracht

So verschuldete sie selbst durch ihre unkluge Politik eine unnötige Eskalation des Krieges, in dem alle Seiten Menschenrechtsverletzungen begingen und es zu einer humanitären Katastrophe kam. Die TPLF versuchte, die unheilvolle Entwicklung, die der Konflikt nahm, allein Eritrea und Äthiopien anzulasten; ihre eigenen zahlreichen Fehlleistungen konnte und wollte sie nicht sehen.

Doch der Vermittler, der schließlich im Herbst 2022 half, einen Frieden zustande zu bringen, der frühere nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo, hat ganz unmissverständlich klargemacht , dass die TPLF Hauptschuldiger an dem Krieg war.

Wenn jetzt möglicherweise den Menschen in Tigray nach einem verlustreichen Krieg eine weitere Hungersnot droht, die die TPLF zumindest mitverschuldet hat, hat die TPLF-Führungsriege bereits Vermögen und Familien ins Ausland gebracht. In den USA studieren viele Söhne und Töchter von TPLF-Funktionären, ihre SUVs sind mit der TPLF-Flagge versehen. Bis heute hat die TPLF nicht den Schritt von einer mafiösen Kleptokratenvereinigung hin zu einer professionellen, seriösen politischen Organisation getan, die in der Lage wäre, die politische Zukunft von Tigray verantwortlich mitzugestalten.

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