IS vs. Taliban - Bürgerkrieg oder Bürgerkrieg?

Der Selbstmordanschlag in Kabul mit mindestens 163 Toten hat einen Vorgeschmack darauf gegeben, was passieren könnte, wenn die USA ihre letzten Soldaten aus Afghanistan abgezogen haben. Der Machtkampf zwischen den Taliban und dem IS ist schon entbrannt. Er droht, das Land in den Abgrund zu stürzen.

Den IS im Visier: Schon unter US-Besatzung galten die Gotteskrieger als gefährlichste Gegner / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es waren Bilder einer Allianz, die noch bis vor kurzem niemand für möglich gehalten hatte: US-Soldaten versuchten nach dem Selbstmordanschlag von Kabul gemeinsam mit den Taliban, die Lage am Flughafen in den Griff zu bekommen. Die ehemaligen Besatzer und einheimischen Gotteskrieger – Seite an Seite.

Es sind solche Bilder, die die Drahtzieher des Terroranschlags nutzen, um ihren Anspruch auf die Herrschaft in Afghanistan zu reklamieren. Es ist der Islamische Staat (IS), genauer: der regionale IS-Ableger „IS Khorasan“. Zwei hochrangige Mitglieder der Terror-Miliz hat das US-Militär inzwischen bei einem Drohnen-Angriff getötet. Es war nicht der erste Vergeltungsschlag gegen Führer des IS. Der terrorisiert die Menschen am Hindukusch schon seit Jahren. Er ist ein Überbleibsel des Kalifats, das der IS 2014 im Irak und in Syrien errichtete. Im Gegensatz zu den Taliban denken die IS-Kämpfer nicht lokal. Sie reklamieren die Weltherrschaft. 

Und nachdem der damalige IS-Anführer Abu Bakr al Bagdadi  2014 den ersten Gottesstaat in Syrien und Irak ausgerufen hatte, schickte er seine Anhänger auch nach Afghanistan. Das zentralasiatische Land ist Teil der historischen Region Khorasan, die auch Teile Pakistans, Irans, Usbekistans, Tadschikistans und Turkmenistans umfasst.

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Die Wurzeln des IS

Die IS-Krieger blieben dort nicht unter sich. Neben Kämpfern der pakistanischen Taliban schlossen sich ihnen auch militante Milizen aus Afghanistan an, die sich zum Haqqani-Netzwerk zusammengeschlossen hatten. Alles Männer, die der Hass auf die amerikanischen Besatzer und das von ihnen eingesetzte, korrupte „Marionetten-Regime“ verband. Der regionale IS-Ableger umfasste anfangs zwar nur knapp 1.000 Mitglieder, doch das US-Militär stufte ihn als hochgefährlich ein. Völlig zu Recht. IS-Terroristen verübten Hunderte von Terroranschlägen. Diese richteten sich anfangs nur gegen afghanische Autoritäten und Sicherheitskräfte.

Seit die USA ihre Truppen aus Afghanistan abziehen, tritt der IS-Ableger immer militanter auf, vor allem im Osten des Landes. Seine gefährlichste Waffe im Kampf gegen die Ungläubigen, das waren jetzt Selbstmord-Attentate in Mädchenschulen oder in Krankenhäusern.

Warum sich Taliban und IS bekämpfen

Mit dem Anschlag in Kabul hat der IS-Ableger nicht nur die Amerikaner, sondern auch die Taliban getroffen. Obwohl es personelle Überschneidungen gibt, sind beide Gruppen verfeindet. Für den IS sind die Taliban nicht radikal genug. Dabei haben sie viel mehr Mitglieder. 

Die Zahl der Vollzeit-Kämpfer schwankt zwischen 40.000 und 60.000. Wie der IS ist aber auch die Gruppe der Taliban alles andere als homogen. Neben einem gemäßigten Flügel gibt es militante Kämpfer, die sich um den zweitmächtigsten Mann der Taliban, Sirajuddin Haqqani, scharen. Zu seinen Anhängern gehören auch Kämpfer von Al-Quaida. Deren Anführer, der 2011 getötete Osama bin Laden, gilt als Drahtzieher des Terroranschlags auf das World Trade Center in New York. Mit der Jagd auf ihn hatte der Afghanistan-Krieg 2001 überhaupt erst begonnen.

Die eigentliche Gefahr ist der IS

Heute stehen Al-Quaida-Mitglieder nicht mehr ganz oben auf der Liste der gefährlichsten Gotteskrieger. Der französische Terror-Experte Wassim Nasr sagt, die Taliban seien eng genug mit der Gruppe vernetzt, um die Kontrolle über sie zu behalten. Er könne sich nicht vorstellen, dass die Taliban es duldeten, dass ihre Kämpfer in Afghanistan wieder Terroranschläge in Europa oder in den USA planten. Schon einmal, nämlich 2001, hätte die Organisation den Taliban einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Einmarsch der US-Amerikaner nach 9/11 besiegelte das Ende ihrer fünfjährigen Schreckensherrschaft.

Sorge bereitet Nasr aber der IS. Der nutzt das Vakuum, das mit dem Rückzug der Amerikaner entstanden ist, um seinen Anspruch auf Zentralasien zu reklamieren. Dass die Taliban nicht genügend Mitglieder haben, um ganz Afghanistan unter ihre Verwaltung zu stellen, kommt dem IS dabei ebenso entgegen wie die Tatsache, dass der interne Machtkampf die Taliban auf eine Zerreißprobe stellen könnte.

Vom Machtkampf der Taliban hängt die Zukunft des Landes ab

Von seinem Ausgang hängt die Zukunft des Landes ab. Siegen die Radikalen, verliert das Land den Anschluss an den Westen und versinkt im Bürgerkrieg. Setzen sich die Gemäßigten durch, ist die Aussicht womöglich noch schlechter. Die Taliban müssen den Anti-Terror-Kampf dann im eigenen Land gegen den IS führen, ohne die Unterstützung der USA.  

Was das bedeutet, darauf hat das Selbstmordattentat am Flughafen von Kabul einen Vorgeschmack gegeben. Es ist eine Machtprobe des IS. Der will der vom Krieg zermürbten Bevölkerung demonstrieren, dass er mit seinem kompromisslosen Kurs besser als die Taliban in der Lage ist, die Herrschaft am Hindukusch zu übernehmen. Verhandlungen mit westlichen Staaten mit dem Ziel, um Entwicklungshilfe zu werben, schließt das aus. Seine Mitglieder kreiden den Taliban auch an, dass sie sie es zugelassen haben, dass die Amerikaner Tausende Afghanen in Flugzeugen außer Landes gebracht haben. Sie empfinden das als „Verrat“. 

Dass die Taliban jetzt zusammen mit US-Soldaten die Leichen der Terroropfer weggeräumt haben, dieses Bild passt gut zur Dramaturgie der  psychologischen Kriegsführung des IS. Die zielt darauf ab, strenggläubige Muslime gegen gemäßigte Taliban aufzuhetzen. Den passenden Verschwörungsmythos dazu hat der IS schon verbreitet. Er berührt Muslime an ihrer empfindlichsten Stelle: Die Taliban hätten sich mit den Amerikanern verbündet.

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