Afghanistan - Da waren sie einfach weg

Gestern hat Joe Biden noch einmal den US-Truppenabzug aus Afghanistan gerechtfertigt. Dabei war von Beginn an abzusehen, dass es so enden wird. Da die Taliban nicht kapitulieren, blieb den Streitkräften nach 19 Jahren nurmehr der stille, unbemerkte Rückzug. Doch die Terrorgefahr ist damit nicht gebannt.

Verlassener Stützpunkt der US-Streitkräfte im Bezirk Dih Bala in der Provinz Nangarhar Foto: Saifurahman Safi/dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Die Überwältigung der amerikanischen Gesellschaft durch Bilder einer fliehenden Armee sollte unbedingt verhindert werden. Deshalb verabschiedeten die amerikanischen Streitkräfte sich aus Afghanistan auf Französisch. Sie verließen Bagram, den Dreh- und Angelpunkt ihres Einsatzes in Afghanistan, unbemerkt. Sie waren auf einmal schlicht weg.

NBC lässt seither den Reporter Richard Engel für die Nachrichtensendungen durch diese Geisterstadt laufen, in dunkle Ecken spähen, Zurückgelassenes finden, was von Weihnachtsschmuck bis zu einem Feuerwehrauto reicht, und mit dem Fahrrad über die Landebahn fahren. Das sind Bilder, die Distanz suggerieren, und gleichwohl kritisch untermalt sind. Denn nichts blieb zurück, was den afghanischen Sicherheitskräften die Fortführung des Kampfes gegen die Taliban ermöglicht. Die Bilder aus den letzten Tagen in Vietnam, als die Niederlage jedem vor Auge geführt wurde, sollten unbedingt verhindert werden.

Asymmetrischer Krieg ohne Entscheidungsschlacht

Dass der amerikanische Präsident Joe Biden den Einsatz der Streitkräfte in Afghanistan nach 19 Jahren beendet und damit auch alle Verbündeten zum Abzug zwang, weil sie sich keine Woche alleine hätten halten können, hatte vor allem innenpolitische Gründe. Ein Krieg, der nicht gewonnen werden kann, lässt sich dauerhaft nicht vermitteln. Das gilt schon länger, aber anders als Obama macht Biden, die Vorarbeit Trumps nutzend, wirklich Schluss. Von Beginn des Einsatzes an war abzusehen, dass es so enden wird. Der Krieg konnte nicht gewonnen werden, weil asymmetrische Kriege nur enden, wenn die Gegenseite aufgibt oder vernichtet ist. Es gibt keine Entscheidungsschlacht. Wenn die Taliban nicht kapitulieren – und warum sollten sie?, werden sie am Ende gewinnen. Ihr habt die Uhr, wir die Zeit, war die konzentrierte Formulierung dafür.

Die Zwecke des Afghanistaneinsatzes wurden von den anfänglichen Wunschbildern zunehmend zurückgefahren. Entwicklung, Bildung, Emanzipation, Demokratie waren die Säulen, auf denen ein Staat aufgebaut werden sollte. Die Herzen der Menschen galt es zu gewinnen, um den Widerstand zu brechen. Übrig blieb bei Bidens Rechtfertigung, dass Osama bin Laden getötet und Al-Qaida zertrümmert wurde. Das ist eine realistische Einschätzung, für die es den Einsatz allerdings nie gebraucht hätte.

Eine Kriegsnebenstelle

Er konnte nur so lange geführt werden, weil er zeitweise im Schatten des Irak stand, sozusagen eine Nebenstelle im Krieg gegen den Terrorismus. Der amerikanischen Gesellschaft vorzuhalten, sie habe den Krieg am Hindukusch verdrängt, wäre wohlfeil. Das haben alle Gesellschaften, die deutsche eingeschlossen. Es war Donald Trump, der das Kriegsende auf die politische Agenda setzte.

Er brachte die USA damit aber auch in eine Zwickmühle. Einerseits sollen die Truppen abgezogen werden. Andererseits soll verhindert werden, dass die Taliban die Macht erringen und erneut eine Terrorgefahr von Afghanistan ausgeht. Und schließlich zeigt ein Blick auf die Lage des Landes, dass Iran, China, Pakistan und Indien dort Interessen haben. Das betrifft zwar auch die Terrorgefahr, die Ausgangspunkt der Kooperation im Rahmen der Shanghai Cooperation Organization war.

Wo sich die USA zurückziehen, rückt China vor

Darüber hinaus aber bestehen geopolitische Interessen, weil von Afghanistan in der Region destabilisierende Dynamiken ausgehen können. Deshalb ist Sicherheit mit Blick auf das Land ein vorherrschendes Interesse seiner Nachbarn. Auf Chinas Neuer Seidenstraße hat Afghanistan eine zurückgenommene Bedeutung. Für regionale Verkehrswege ist das Land aufgrund seiner zentralen Lage nicht uninteressant. Das gilt auch für Bodenschätze und den von ausländischen Produkten abhängigen Markt. Der Abzug der amerikanischen Streitkräfte hat Chinas Diplomaten sofort auf den Plan gerufen, die umgehend eine Konferenz mit Afghanistan und Pakistan zur Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit abhielten.

Wo sich die USA zurückziehen, rückt China vor. Das gilt auch im Mittleren Osten und Zentralasien, wo Chinas Einfluss zunimmt. Dort wird die Konkurrenz zwischen den beiden Weltmächten nicht entschieden, aber China sichert sich auf diesem Weg Ressourcen und Märkte. Die chinesische Führung muss in der Kooperation mit devianten Regimen weniger Rücksicht nehmen. Wobei die Kombination aus Islamisierung des politischen Systems, Gewalt und Drogen in Afghanistan eine ganz besondere Vorsicht auch seitens Chinas erfordert.

Amerikanische Dienste bleiben präsent

Die USA werden versuchen, über ihre Dienste im Land präsent zu sein, um zukünftige Terrorismusgefahren frühzeitig erkennen können, konstatierte der amerikanische Präsident, als er den Abzug verkündete. Je nachdem, wie die Entwicklung des Landes verläuft, könnte dies ausgesprochen schwierig werden. Dabei wäre es der maximale Schaden für eine Präsidentschaft in den USA, einen erneuten Terroranschlag von Islamisten nicht verhindert zu haben. Die Republikaner nageln Biden schon jetzt auf diese Verantwortung fest. Deshalb wird Afghanistan die Aufmerksamkeit der amerikanischen Dienste nicht verlieren.

In Deutschland ist die Politik hingegen nach 19 Jahren Krieg konsequent und konzentriert sich auf die Frage, vor welchem Gebäude das Ende des Einsatzes symbolisch korrekt begangen werden kann.

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