4. Juli 1776 - Tag der Unabhängigkeit oder Tag der Unterdrückung?

Der 4. Juli wird in den USA immer den Makel der Sklaverei tragen. Ein von liberalen Regeln begrenzter Staat, eine freie Marktwirtschaft und eine lebendige Zivilgesellschaft waren jedoch entscheidend für die Emanzipation der unterdrückten schwarzen Minderheit.

US-Flagge auf schwarzem Grund / picture alliance
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Autoreninfo

Justus Enninga promoviert in politischer Ökonomie am King’s College London und ist Senior Fellow bei „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“.

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Ein großer Freund der offenen Gesellschaft steht an der nordwestlichen Ecke des Central Park in New York City: der als Sklave geborene Frederick Douglass ist eine der großen Identifikationsfiguren im Kampf gegen die Sklaverei im 19. Jahrhundert und gehörte zu den begnadetsten Rednern und Autoren der Vereinigten Staaten. 1895 verstorben, steht er seit 2011 als Bronzestatue mit nachdenklich gefurchtem Gesicht in Harlem und beobachtet skeptisch das New Yorker Treiben am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag.

Am 4. Juli 1776 erklärten die ausschließlich weißen Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika ihre Unabhängigkeit von der britischen Krone. Deshalb schallen jedes Jahr am 4. Juli Thomas Jeffersons Worte in die Welt, die zum Schönsten gehören, was die Geschichte des Liberalismus hervorgebracht hat: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.”

Der 4. Juli 1776 – ein Tag der Heuchelei?

Die Realität in den USA war aber eine drastisch andere: Jeder fünfte Bewohner der USA zu dieser Zeit war versklavt. Auch viele der Gründerväter wie Thomas Jefferson, George Washington oder James Madison besaßen Sklaven. Zwar verurteilten die meisten unter ihnen die Institution der Sklaverei. Doch war ihnen hier das Hemd aus den Baumwollplantagen des Südens näher als der Rock des Freiheitskämpfers.

Die offensichtliche Diskrepanz zwischen den hehren Ideen der Gründerväter und der dunklen politischen Realität veranlasst viele Kritiker bis heute, die Ideen der amerikanischen Revolution zu kritisieren, verächtlich zu machen, oder wutschäumend als menschenverachtend zu verurteilen. So werden jedes Jahr aufs Neue, pünktlich zum 4. Juli, die liberalen Prinzipien der Unabhängigkeit eng mit der Sklaverei in Beziehung gebracht. So sollen die Gründerväter sich nur vom britischen König losgesagt haben, um die abolitionistische Gesetzgebung, die in Großbritannien immer mehr Fuß fasste, im eigenen Land zu vermeiden.

Gleichzeitig, so heißt es weiter, soll der ökonomische Aufstieg der USA nur möglich geworden sein, weil die Südstaaten auf die billige Arbeit von Sklaven im Süden der USA zurückgreifen konnten. Auch in Deutschland werden die Perspektiven immer häufiger aufgegriffen, die in den USA besonders als 1619-Projekt bekannt sind. Die Idee: Statt 1776 solle lieber das Jahr 1619 im Mittelpunkt stehen, das Jahr als die ersten Sklaven aus Afrika an die amerikanische Küste entführt wurden. 

Verteidiger amerikanischer Institutionen

Schon immer wurde um den amerikanischen Gründungsmythos gefochten – so auch im 19. Jahrhundert zwischen Frederick Douglass und William Lloyd Garrison. Garrison, eine der führenden weißen Befürworter der Abschaffung der Sklaverei, teilte die heute um sich greifende negative Sicht auf die Gründungsdokumente der USA. 1854 verbrannte er sogar symbolisch eine US-Verfassung, die für ihn ein Dokument war, das die Sklaverei ermöglichte.
 

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Auch Douglass widersetzte sich einer blinden Heroisierung von Unabhängigkeitserklärung und Verfassung. Im Gegensatz zu Garrison betonte er jedoch immer auch die emanzipatorische Kraft der US-Gründungsdokumente. Knapp hundert Jahre nach der Revolution stellte Douglass 1852 vor der Anti-Sklaverei Gesellschaft von Rochester die Frage, die auch heute Kritiker amerikanischer Institutionen umtreibt: „Was bedeutet dem Sklaven der 4. Juli“? Douglass‘ Urteil war vernichtend: Der 4. Juli führe mehr als jeder andere Tag des Jahres die heuchlerische, selbstgefällige Herzlosigkeit einer weißen Mehrheitsgesellschaft vor Augen, die ihre „rohe Ungerechtigkeit und Grausamkeit“ mit dem dünnen Mantel des Liberalismus zu verdecken suche.

Anders aber als Garrison oder die Kritiker heute, verurteilte Douglass nicht den Inhalt der US-Gründungsdokumente. Im Gegenteil: Für Douglass waren die Autoren der Unabhängigkeitserklärung mutige, große Männer, die für Gerechtigkeit, Freiheit und Menschlichkeit kämpften, und die US-Verfassung ein „Dokument der Freiheit“, die den Grundstein für eine bessere Welt legte. Es seien nicht die zeitlosen, liberalen Prinzipien zu verurteilen, sondern das Versagen der Amerikaner, ihren Prinzipien gerecht zu werden. 

„Ich bin nun mein eigener Meister“

So formulierte Douglass eine geradezu libertäre Sicht auf die Freiheit des Individuums: In einem Brief an seinen damaligen Sklavenhalter machte er klar, dass dieser mit seinem Eigentumsbegriff daneben liege. Denn ein Mensch könne nur sich selbst gehören. Durch seine Flucht nahm Douglass sich nur das, was rechtmäßig seines war: das Eigentum an seinem Körper und Geist. Anlässlich seines ersten bezahlten Jobs bemerkte er: „Ich bin nun mein eigener Meister – eine wunderbare Tatsache.“ Und in einer Rede über Bürgerrechte wetterte Douglass: „Es gibt kein Problem mit den Schwarzen. Das Problem ist, ob die amerikanischen Bürger genug Solidarität, Ehre und Patriotismus aufbringen können, die Prinzipien ihrer eigenen Verfassung zu verteidigen.“

Neuere Forschung schließt sich an Douglass Argumente an. Die Unabhängigkeit der USA stellte sich als Beschleuniger nicht als Hemmschuh für die Abschaffung der Sklaverei in den USA heraus. Das Argument, dass Sklaverei den ökonomischen Erfolg der USA erklärt, basiert wohl auf massiven Rechenfehlern der Kritiker. Und auch nach dem offiziellen Ende der Sklaverei gilt: Ein von liberalen Regeln begrenzter Staat, eine freie Marktwirtschaft und eine lebendige Zivilgesellschaft waren – wie von Douglass antizipiert - entscheidend für die Emanzipation der unterdrückten schwarzen Minderheit.

Im Lichte der liberalen Prinzipien

Die erste Millionärin der USA, die schwarze Kosmetik-Unternehmerin Madam C.J. Walker, ist eines der vielen leuchtenden Beispiele für die emanzipatorische und progressive Kraft einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Bürgerrechtsbewegung finanzierte sich maßgeblich aus Beiträgen von Unternehmerinnen wie Madam C.J. Walker und einer schwarzen Bevölkerung, die durch das marktwirtschaftliche System der USA zunehmend wohlhabender wurde. Kirchengemeinden über die ganzen USA hinweg organisierten robuste Gemeinschaften, die vielen Bürgerrechtlern die Kraft gaben, sich in Widerstand zu Staat und Mehrheitsgesellschaft für Emanzipation und Fortschritt einzusetzen. 

Der 4. Juli wird immer den Makel der Sklaverei tragen. Doch ist er nicht vorwiegend ein Tag der Unterdrückung. Denn die Worte Jeffersons haben einen unverrückbaren Maßstab für die Qualität von Regierungen weltweit geschaffen. So wie für Douglass auch, sind es die „großen Prinzipien“ amerikanischer Institutionen, die für viele unterdrückte Minderheiten auf der ganzen Welt Anlass sind, kritisch über die Handlungen ihrer Politiker und Bürokraten zu wachen. Deshalb blickt der bronzene Douglass am Central Park vielleicht auch gar nicht nachdenklich, sondern wachsam auf das heutige Treiben. Wachsam gegenüber den Schwächen menschlicher Herrschaft im Lichte der liberalen Prinzipien der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776.     

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