Anhörung von Mark Zuckerberg - Wer viel fragt, bleibt dumm

Die Anhörung von Facebook-Chef Mark Zuckerberg vor dem EU-Parlament offenbarte vor allem die Zahnlosigkeit der Parlamentarier im Kampf um die Deutungshoheit in Zeiten der Digitalisierung. Aber immerhin wird er geführt

Nicht viel mehr als Sorry: Facebook-Chef Mark Zuckerberg / picture alliance
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Was war da eigentlich alles erwartet worden von der großen Anhörung des Mark Zuckerberg – nach dessen Auftritt vor dem US-Kongress nun auch diesseits des Atlantiks vor den Fraktionschefs des EU-Parlaments? Von einer möglichen Sternstunde des EU-Parlaments war vorab gesprochen worden, von erfolgreichem massivem Druck auf den Facebook-Chef, zumindest aber von einem erfolgreichen symbolischen Akt zugunsten der EU-Institution.

Das Treffen mit Zuckerberg angesichts millionenfachen Datenmissbrauchs, organisierter Wahlmanipulationen und unklarem Umgang mit sogenannter Hate-Speech wurde derart mit Bedeutung aufgeladen, dass es letztlich nur scheitern konnte: keine neuen Erkenntnisse, keine Enthüllungen, kein schwitzend-nervöser Facebook-Chef. Unterm Strich blieb nur ein nun auch in Europa – und zwar spektakulärerweise öffentlich – vorgetragenes „Sorry“ von Mark Zuckerberg.

Mehr Fragen als Antworten

Tatsächlich musste allen klar gewesen sein, wie ungleich und unvergleichbar die Kräfteverhältnisse gegenüber Mark Zuckerberg vor dem US-Kongress einerseits und der so gewichtig klingenden „Conference of Presidents of the European Parliament“ andererseits verteilt sind. Was sollte Zuckerberg von Fraktionschefs eines Parlaments zu befürchten haben, das ohnehin kaum eigene Gesetzesvorschläge einbringen kann? Trotz dieser strukturellen Zahnlosigkeit hätten die Fraktionschefs aber zumindest eine gute Show abliefern können, die für Zuckerberg zum PR-Desaster hätte werden können. So wäre wenigstens der Eindruck entstanden, die EU könne tatsächlich Druck aufbauen.

Doch der CEO machte seinen Job gut, auch weil die EU gar nichts anderes zuließ: Die vom EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani geleitete Anhörung erweckte den Anschein einer Abiturprüfung, und zwar für einen Schüler, der sowieso auf den Abschluss pfeift, da er ohnehin vielversprechendere Pläne als zu studieren hat. Mit Zuckerberg ließ sich da der Klassenprimus eines Abschlussjahrgangs im weiten Rund aus prüfenden Fachlehrern nieder und zeigte, dass er nicht nur ein kluger Schüler, sondern zugleich gewitzter Draufgänger ist.

In den dann folgenden 70 Minuten „Prüfungszeit“ versuchten alle Parlamentarier jedenfalls vergeblich, Zuckerberg aus der Reserve zu locken – vergeblich, weil das Format bei jedem Zuschauer schon nach wenigen Minuten zu Stirnrunzeln geführt haben mag:

Ein Format, zum Scheitern verurteilt

Den Anfang machte der deutsche Chef der konservativen EVP-Fraktion im Parlament, Manfred Weber (CSU). Er monierte gegenüber Zuckerberg, der Facebook-Algorithmus sei ja „total intransparent“ und drohte für einen Konservativen mit erstaunlich drastischen staatlichen Maßnahmen: Ob der Facebook-Chef denn Argumente habe, warum die EU sein Netzwerk künftig nicht zwingen sollte, die Struktur seiner Algorithmen offenzulegen? Als dann keine Antwort von Zuckerberg folgte, sondern dieser nur fleißig Notizen machte und sofort Udo Bullmann von der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) mit seinen Fragen loslegte, war klar: Hier läuft irgendwas so, wie es nicht laufen sollte und es wurde von Minute zu Minute schlimmer.

Denn die Fragen der EU-Parlamentarier waren zwar teils deutlich kenntnisreicher und zeugten von einem besseren technischeren Sachverstand als jene der US-Kongressabgeordneten. Nur gab es zunächst keine Antworten. 50 Minuten lang prasselten Fragen von politisch rechts bis links auf Zuckerberg ein, und man fragte sich früh, wie dieser trotz seiner fleißigen Notizen darauf noch ernsthaft konkret antworten solle, geschweige denn wie es so noch zu Nachfragen kommen sollte. Ein öffentliches „Grillen“ von Zuckerberg wie vor dem US-Kongress jedenfalls schien früh passé.

Zuckerberg machte vor allem Notizen

Der belgische Liberalen-Politiker Guy Verhofstadt versuchte es provokant-witzig und redete Zuckerberg ins vermeintlich narzisstische Gewissen: dieser solle sich bewusst machen, wie man sich einst an ihn erinnern werde: als einer der drei Internet-Giganten in einer Reihe mit Steve Jobs und Bill Gates oder als „gescheitertes Genie, das ein digitales Monster erschaffen habe, das unsere Demokratie zerstört habe“. Zuckerbergs einzige Reaktion: wissendes Lächeln und Notizen.

Nigel Farage, Großbritanniens Brexit-Verantwortlicher und somit nur noch EU-Parlamentarier auf Abruf, versuchte sich dann als „größter Facebook-Nutzer, der hier Anwesenden“ zu profilieren. Zugleich beschwerte er sich bei Zuckerberg, Facebook habe am Algorithmus gefummelt und diskriminiere seit Beginn dieses Jahres jene Meinungen abseits eines sogenannten Mainstreams, also etwa ihn selbst oder US-Präsident Donald Trump. Es folgten: eifrige Notizen und ernste Miene von Zuckerberg.

Syed Kamall, britischer Politiker der Conservative Party, stellte eine wichtige Frage nach der Speicherung von sogenannten Schattenprofilen von Nutzern, die Facebook gar nicht aktiv nutzten – also Menschen, die Webseiten besuchen, die etwa Facebook- oder Instagram Buttons zum Teilen ihrer Inhalte eingebaut haben – Notizen Zuckerbergs. Nächste Frage. Der belgische Grünen-Fraktionsvorsitzende Philippe Lamberts betonte, er stelle extra „binäre Fragen“ – also Fragen, die Zuckerberg mit einfachem Ja und Nein beantworten könne. Ob Facebook es seinen Mitgliedern ermöglichen werde,  personalisierte Werbung komplett abzuschalten? Zuckerberg machte Notizen.

Spätestens als die deutsche Fraktionschefin Gabriele Zimmer von der „Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken und Nordischen Grüne Linken“ an der Reihe war, sehnte man sich ein baldiges Ende herbei: Ob Zuckerberg der Meinung sei, Facebook den Stecker zu ziehen? Auch eine binäre Frage, deren Antwort man aber gar nicht erst hören möchte.

Der Prüfling beendete die Prüfung selbst

Zuckerberg blieben dann noch wenige Minuten – gnädigerweise wurden es sogar noch ein paar mehr – um sich aus diesem Wust an Fragen die Rosinen herauszupicken. Den Vorwurf von Farage etwa wies Zuckerberg deutlich zurück mit den Worten, Facebook „habe nie und werde nie ein Ranking erstellen auf Grundlage von politischen Ausrichtungen“. Diese Philosophie sei ihm sehr wichtig. „Wir sind jetzt schon 15 Minuten über der Zeit“, sagte Zuckerberg schließlich, beendete die eigene Prüfung und kehrte das Schüler-Lehrer-Verhältnis vollends um. Das mag arrogant erscheinen. Doch es zeigte vor allem die Hilflosigkeit der Parlamentarier und ihres Parlamentspräsidenten. Die offenen Fragen werde Facebook dann eben noch schriftlich beantworten, sicherte Zuckerberg abwiegelnd zu, als sich der grüne Fraktionschef empörte, dass keine seiner extra binär gestellten Fragen beantwortet worden sei. Das war nur „Bla bla bla“, ärgerte sich Guy Verhofstadt.

Was bleibt also von diesem Hearing? Der Facebook-Chef gab sich zumindest in seinem Vorab-Statement und auch in einigen seiner Antworten einsichtig (auch weil ihm gar nichts anderes übrig blieb), den Datenschutz seiner Nutzer vernachlässigt zu haben. Man wolle künftig weniger reagieren, dafür mehr proaktiv agieren. Facebook will also künftig nicht erst warten, bis Nutzer sich beschweren, sondern wirklich ein eigenes Qualitäts-Checking vorschalten, bevor man etwa Drittanbietern Zugriff auf die Daten der eigenen Nutzer loslässt? Wow. Für einen Vertreter der Plattform-Ökonomen, die sich nur zu gerne entweder als Marktplatzanbieter ohne Verantwortung gerieren oder als Kommunikationsplattformen, die Menschen lediglich glücklich machen wollen, ist dies tatsächlich ein beachtlicher kommunikativer Schritt.

Facebook trägt also irgendwie Verantwortung, vermittelte Zuckerberg und bemühte zugleich das Bild von Facebook als Opfer. Leider, leider verteilen nicht alle Menschen, wie eigentlich von Zuckerberg gewünscht, lediglich schöne Bildchen, Videos und Herzchen-Emojis aneinander.

Entwicklung heißt immer auch Verwicklung

Kurios führte die Anhörung vor, dass sich von links bis rechts alle einig sind: Facebook ist Mitverursacher von etwas, das immer noch keiner in Gänze verstanden hat und dessen weitere Entwicklung keiner definitiv vorhersagen kann – auch nicht Mark Zuckerberg, obwohl er sehr oft das neue Zauberwort Künstliche Intelligenz (KI) als angebliche Lösung zahlreicher Probleme wie Hate-Speech, Terrorismus oder Fake-Profile ins Feld führte. Dass auch KI nicht als neutrale Entscheidungsinstanz vom Himmel fällt, sondern programmiertes Produkt einer bestimmten Werte basierten Sicht auf die Welt ist, blieb außen vor. Und was dann diese Werte, beziehungsweise die Entscheidungsgrundlagen sein sollen, blieb Zuckerberg ebenfalls schuldig.

Auch KI wird nämlich die Grauzonen der Meinungsfreiheit oder von Wahrheit auf absehbare Zeit nicht in klares Schwarz oder Weiß verwandeln können. Die Digitalisierung bleibt Work in Progress. Schritt für Schritt tasten sich alle Akteure voran und fallen erneut zurück. Entwickler preschen mit Ideen voraus, Politiker und Gesellschaft reagieren verspätet, erst zu langsam, dann oft überhastet. Jede Entwicklung heißt immer auch Verwicklung. Wer genetisch optimierte Reiskörner züchtet, kann zwar die Welt ernähren, vermindert im Zweifel aber die Sortenvielfalt und schafft mächtige Lebensmittel-Monopole zum Nachteil wiederum aller. Auch die nun in Kraft tretende Europäische Datenschutzgrundverordnung muss als ein solches Herantasten gesehen werden. Sie mag gut gemeint sein, große Konzerne wie Facebook werden sie mit einem gut bezahlen Heer von Juristen auch umsetzen können. Einfache Mittelständler oder Blogger bekommen da Schwierigkeiten, auch wenn Politiker beteuern, hier im Zweifel vorerst Milde walten zu lassen.

Im Falle solcher digital-kommunikativer Innovationen wie Facebook geht es um nicht weniger, als auch um den erbitterten Kampf um die öffentliche Deutungshoheit von Diskursen. Und dieser hat gerade erst begonnen. Auch wenn die EU-Parlamentarier mit ihrer Anhörung keinen Erfolg im Sinne von befriedigenden Antworten von Zuckerberg erzielen konnten. In einer Sache haben sie recht: Dies war erst der Auftakt einer Debatte, die uns noch lange verfolgen wird.

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