Ökonomen erwarten Rezession - Deutschlands Wirtschaft schrumpft noch mehr als erwartet

Die Konjunkturprognostiker verschieben ihren Berufsoptimismus ins kommende Jahr. 2023 wird ein Rezessionsjahr. Gleichzeitig kommt die mindestens ebenso besorgniserregende Nachricht, dass der Bund 49 Milliarden Euro neue Schulden macht.

Ein Land macht dicht: Die Wirtschaft schrumpft in diesem Jahr um weitere 0,6 Prozent / dpa
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Die deprimierende Lage Deutschlands ist heute noch ein klein wenig deprimierender geworden. Dafür sorgen zwei Nachrichten. Die eine ist nur eine Ökonomen-Vorhersage. Und sie enthält sogar einen Hoffnungsschimmer. Ökonomen sind schließlich in ihrer Mehrheit – vor allem, sofern sie große Karrieren bei staatsnahen Instituten machen – vom Paradigma tendenziell unbegrenzt möglichen und nötigen Wachstums geprägt.

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute (DIW, IWH, Ifo-Institut, Kiel Institut und RWI) rechnen in ihrer Herbstprognose mit einer Schrumpfung der deutschen Wirtschaft im laufenden Jahr um 0,6 Prozent. Im Frühjahr hatten sie noch ein leichtes Wachstum von 0,3 Prozent erwartet. Diese sehr deutliche Korrektur der eigenen Prognose innerhalb von sechs Monaten zeigt schon, wie gering die Treffgenauigkeit derartiger quantifizierter Vorhersagen für lange Perioden ist. IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller gibt das indirekt auch offen zu, wenn er die Prognosekorrektur damit begründet, „dass sich die Industrie und der private Konsum langsamer erholen, als wir im Frühjahr erwartet haben“. Insofern muss man wohl die Vorhersage von plus 1,3 Prozent für das nächste Jahr als Zweckoptimismus verstehen.

Politische Unsicherheit hoch, Potenzialwachstum niedrig

Dass sich die ökonomischen Akteure nicht nach den Erwartungen der Ökonomen richten, ist eine der wenigen Konstanten im Wirtschaftsgeschehen. Und in der derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Lage dürfte diese Diskrepanz besonders groß sein. Die Gemeinschaftsdiagnostiker geben das selbst zu, wenn sie schon in der Überschrift ihres Werkes betonen: „Politische Unsicherheit hoch“.

Beachtlicher als die Glaskugel-Zahlen sind diese beiden allgemeinen Sätze aus dem Vorwort: „Danach [nach 2024] wird sich bemerkbar machen, dass das Potenzialwachstum aufgrund der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung mittelfristig deutlich zusammenschmilzt. Die Wirtschaftspolitik sollte die Standortqualität verbessern und die politische Unsicherheit auch im Kontext der Energiewende einhegen.“

Dass von der gegenwärtigen Politik wenig in dieser Richtung zu erwarten ist, legt das Agieren der Ampelkoalition seit ihrem Amtsantritt nahe. Womit wir zur zweiten ökonomisch deprimierenden Nachricht des Tages kommen. Es ist keine Vorhersage, sondern eine harte Nachricht aus dem Statistischen Bundesamt: „Öffentliche Schulden im 2. Quartal 2023 um 49,0 Milliarden Euro höher als Ende 2022“.

 

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Wobei die Schulden der Bundesländer um 9,2 Milliarden zurückgingen und die der Kommunen um 9,0 Milliarden stiegen. Der Gesamtschuldenanstieg betrifft also vor allem den Bund. Laut Destatis ist das eine Folge „der Energiekrise im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine“. Das dürfte allerdings nur einer von mehreren Gründen sein. Und zwar einer, der besonders gerne genannt wird, da er jenseits der unmittelbaren Verantwortung der Bundesregierung liegt. Aber natürlich werden auch die deutlich gestiegenen Sozialkosten für die Versorgung von Asylzuwanderern hier eingewirkt haben. Doch von denen spricht man nicht gerne, und beziffern will man sie schon gar nicht. Ein Ministerpräsident eines großen Bundeslandes nannte kürzlich in einem Hintergrundgespräch die Zahl von 40 Milliarden Euro im vergangenen Jahr.

Schuldenanstieg durch Extrahaushalte

Selbst in der Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes, das sich stets extrem sachlich gibt, klingt so etwas wie eine unterschwellige Kritik an der verschleiernden Praxis der neuen Verschuldungspolitik des Bundes durch: „Der Schuldenanstieg des Bundes ist somit zum Teil auf seine Extrahaushalte (Sondervermögen) zurückzuführen.“ Dass ein Staat, der offenkundig unfähig oder unwillig zum tatsächlichen Sparen ist und sich bei nur formalem Einhalten der Schuldenbremse auf den euphemistisch verbrämten Taschenspielertrick der „Sondervermögen“ spezialisiert hat, selbst immer weniger Spielraum haben wird, um die von den Ökonomen und Unternehmen sinnigerweise geforderte Verbesserung der Standortqualität zu leisten, liegt auch für Nichtökonomen auf der Hand.

Ernüchternd sind vor allem die Aussagen der Gemeinschaftsprognose zum Potenzialwachstum, also der langfristigen Veränderung der Wirtschaftsleistung: „Die Investitionstätigkeit in Deutschland ist im internationalen Vergleich eher unauffällig. Hierzulande fließt ein zunehmender Teil der Investitionen von Unternehmen und privaten Haushalten in den Klimaschutz. Zwar wird dadurch der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert, und Deutschland kommt seinen Emissionszielen näher. Die dafür notwendigen Investitionen sind aber vielfach vorzeitige Ersatzinvestitionen, die den Kapitalstock nicht erweitern. Modellsimulationen zeigen, dass deshalb das Produktionspotenzial am Ende des Jahrzehnts mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas niedriger sein dürfte als in einem Szenario ohne Energiewende.“

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