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Alexander Marguier

Veggie Day? - Der Schimmel über Berlin

Alle regen sich über die Veggie-Day-Initiative der Grünen auf. Kein Wunder, denn das Obst und Gemüse in deutschen Supermärkten ist nicht selten eine einzige Katastrophe. Alexander Marguier hat die Schande fotografisch dokumentiert

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Es gibt zugegebenermaßen wichtigere Themen als den „Veggie-Day“. Trotzdem möchte ich heute noch einige Worte über diese von den Bündnisgrünen ins Spiel gebrachte Vegetarier-Initiative verlieren. Denn meines Erachtens wird dabei zu wenig über das eigentliche Thema verhandelt, über das Gemüse nämlich. Die Grünen sind mir da irgendwie zu fleischfixiert. Wobei sie natürlich recht haben mit ihrem Befund, dass in Deutschland zu viel Fleisch konsumiert wird. Ohne Spezialist in Ernährungsfragen zu sein, halte ich das tägliche Kantinenschnitzel für einen ökotrophologischen Irrweg, der gewisser Korrekturen bedürfte.

Außerdem geht besinnungsloser Fleischkonsum breiter Bevölkerungsschichten nun einmal nicht ohne Massentierhaltung auf der Produzentenseite vonstatten. Und wer schon einmal einen solchen Massentierhaltungsbetrieb aus der Nähe gesehen hat, braucht eigentlich gar keine parteipolitischen Belehrungen über die verheerende Ökobilanz derartiger Einrichtungen mehr, um zu wissen, dass es sich dabei um nichts Gutes handelt. Sondern um eine verabscheuungswürdige Quälerei von Lebewesen. Oder um es mal ganz pathetisch zu sagen: Jede Wurst im Supermarkt, jedes Steak aus der Metzgerei, jede Leberkäsesemmel setzt nicht nur die Tötung eines Tieres voraus, sondern in den allermeisten Fällen auch ein unwürdiges Dasein desselben.

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Wem das alles völlig egal ist, der wird sich wahrscheinlich auch nicht durch irgendwelche „Veggie-Days“ vom täglichen Fleischverzehr abhalten lassen. Aber was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn öffentliche Kantinen einmal in der Woche nur vegetarisches Essen anböten? Hätten wir Haarausfall bei den Schweinekotelettliebhabern zu befürchten? Proteinunterversorgung im Bockwurst-Lager? Nichts von alledem. Und wer als Fleischfresser seine individuellen Freiheitsrechte bedroht sieht, für den findet sich zur Not immer noch ein nahegelegener Dönerstand.

Wenn es den Grünen ernst wäre mit staatlich forciertem Vegetarismus, dann würden sie ganz einfach ihre wohltrainierten fiskalischen Muskeln spielen lassen und eine Sondersteuer auf Fleischprodukte erheben – anstatt Kantinenköchen unverbindliche Empfehlungen bezüglich des Speiseplans zu unterbreiten. Ich kann mich jedenfalls über die an Harmlosigkeit kaum zu überbietenden Fleischlosigkeitspassagen im grünen Wahlprogramm nicht so richtig aufregen. Was vielleicht auch daran liegt, dass ich ohnehin keine Kantinen aufsuche.

Jetzt aber zum eigentlichen Problem, der Sache mit dem Gemüse. Denn wer dem Vegetarismus das Wort redet, kommt bekanntlich nur schwer um eine Verherrlichung pflanzlicher Lebensmittel herum. Was natürlich der totale Blödsinn ist, zumal in Deutschland. Wenn es den Tatbestand des Gemüsequälens gäbe, dann wären wir nämlich mit Sicherheit ein Fall für den internationalen Strafgerichtshof.

Meiner bescheidenen Erfahrung zufolge leistet sich keine andere westliche Kulturnation einen derart erbärmlichen Umgang mit Baum-, Strauch-  und Feldfrüchten. Ich spreche jetzt natürlich nicht von possierlichen Wochenmärkten oder adretten Gemüseläden mit auf Hochglanz polierten Äpfeln von der örtlichen Streuobstwiese. Sondern über die sogenannten Vollversorger, also Supermärkte und Discounter, die auch frisches Obst und Gemüse im Angebot haben. Oder zumindest etwas, das sie als solches deklarieren.

Ich habe mir gestern die Mühe gemacht, nach dem Zufallsprinzip vier verschiedene dieser Läden aufzusuchen, um die entsprechende Ware unter die Lupe zu nehmen. Und kann nur sagen: Es braucht überhaupt keine Lupe, um einen Eindruck von der erbärmlichen Qualität zu bekommen. Für die unerfahrene Laufkundschaft hat das immerhin den Vorteil, dass Obst- und Gemüsetheken auch ohne spezielle Ortskenntnisse rasch auffindbar ist: am besten dorthin gehen, wo die Fliegenschwärme sind. Einige Handyfotos zur Veranschaulichung anbei:

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Ein paar zermatschte Birnen gefällig? Verschimmelte Tomaten? Pfirsiche im fortgeschrittenen Vergärungsstadium? Oder doch lieber Zitronen, die offenbar Teil einer Versuchsanordnung zum Thema natürliche Zerfallsprozesse sind? In deutschen Supermärkten herrscht wahrlich kein Mangel an alledem, greifen Sie nur zu! Ein Verkaufsschlager sind offenbar auch in Plastikfolie verschweißte Salatköpfe, deren Aggregatszustand irgendwo an der Schwelle zwischen fest und flüssig liegt. Und bei alledem haben wir über den Geschmack dieser Zumutungen noch überhaupt nicht verhandelt.

Warum wird eigentlich immer nur Gammelfleisch angeprangert? Wenn die Auslagen in den Wursttheken auch nur annähernd so verwahrlost wären wie das Obst und Gemüse in den „Frische“-Abteilungen unserer Lebensmittelfilialisten, dann wäre das ein Skandal mit wahlkampftauglichen Ausmaßen. Seltsamerweise scheint das aber niemanden ernsthaft zu stören – weder die Kunden, denen es zur Gewohnheit geworden ist, ihre Einkäufe erst einmal auf Schimmelbefall untersuchen zu müssen. Noch die Supermarktangestellten, die sich auf den Langmut des Publikums verlassen können. Unter diesen Umständen erscheint Heinz Strunks komödiantisches Diktum von wegen „Fleisch ist mein Gemüse“ schon beinahe als ernstzunehmender Gesundheitstipp.

Was ich damit zum Ausdruck möchte: Bevor in diesem Land flächendeckend „Veggie-Days“ eingeführt werden, sollten die Grünen sich erst einmal als Anwälte vegetarischer Lebensmittel profilieren. Dass die Politik hier gefordert ist, steht für mich jedenfalls außer Frage. Denn es handelt sich beim deutschen Gemüsefiasko nicht nur um einfaches Marktversagen. Sondern um dessen Steigerungsform: Supermarkt-Versagen.

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