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Fleischkonsum - Töten kann man lernen

Kolumne: Stadt, Land, Flucht. Ich könnte das nicht, sagen die Menschen, wenn es um das Töten von Tieren geht. Doch wer selbst die Axt in die Hand nimmt, ist empathischer, denn gerade er macht sich mehr Gedanken um das Tier

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Wir werden ihn schlachten. Vom Macho hat sich unser Hahn zum offenen Angreifer gemausert. Kommt man seinen Hühnern zu nahe, flattert er drohend gegen Beine und Bäuche. Wenn ich an ihm vorbei will, nehme ich immer einen Stock zur Hand. Der Hahn ist gefährlich, vielleicht nicht für mich, aber für die Kinder. Also muss er weg.

Aber Töten? Kann ich das? Seit unserem Umzug aufs Land halten wir Nutztiere: Schafe, Gänse und Hühner. Sie sind da, um gegessen zu werden. Das war die Idee, seitdem wir der großen Stadt den Rücken kehrten. Um zu erleben, dass es keine Tomaten ohne Sonne gibt, keine Bohnen ohne Regen, keine Heuernte ohne Wind. Und dass die Gänse oft und viel Hafer brauchen, wenn Weihnachten ein fetter Braten auf dem Tisch stehen soll. Denn so war es: In der Adventszeit zuckelten noch fünf Gänse über den Hof, nun sind es nur noch drei. Besucher fragen manchmal mit bangem Blick, wo denn die anderen Gänse seien. Wenn wir dann antworten, kommt allzu oft vom Gegenüber: „Ich könnte das nicht.“

Ich glaube, das stimmt nicht.

Unser erstes Huhn haben wir im Herbst getötet. Der Habicht hatte uns die Entscheidung abgenommen. Die Henne saß im Gebüsch, der Raubvogel hatte seine Krallen in ihren Rücken geschlagen und weidete sie aus, bei lebendigem Leib. Als wir kamen, floh er. Die Augen weit offen, schaute sie uns an – und mein Mann schlug mit der Schaufel zu. Zwei Tage später riss der Habicht das zweite Huhn. Sie war zu schwer verletzt, um zu überleben. Der Bauer holte die Axt und als er ihren Kopf abschlug, hielt ich die Füße fest. Danach horchten wir in uns hinein. Wir zitterten beide ein wenig, aber sonst war alles gut. Wir wussten ja, dass es richtig war. Anders war das an Weihnachten, als die Gans drankam. Nicht der Habicht hatte entschieden, sondern wir. Mein Mann schlachtete das Tier fachmännisch mit Hilfe einer Tierärztin. Zuerst betäubten sie das Vieh mit einem Schlag auf den Kopf, dann schlug er mit der Axt den Kopf ab.

Es war nicht schwer. Jeder kann das lernen. Die Frage ist, ob man will. Die Kinder sagen oft, sie können etwas nicht. Sie können sich nicht alleine die Schuhe anziehen, das Brot schmieren, aufs Klo gehen. Sie sagen das vor allem, wenn sie keine Lust haben.

Der Sinn eines Gänselebens
 

Kritiker von Fleischkonsumenten werfen ihnen vor, die Empathie sei blockiert. Ich glaube, auch das stimmt nicht. Wenn unsere Tiere Schmerzen haben oder Hunger, dann kümmern wir uns, sind empathisch. Aber beim Töten bestimmt der Kopf. Wir haben entschieden, dass wir Fleisch essen wollen, also muss das Tier sterben. Normalerweise heißt es: Wir haben entschieden, dass wir Fleisch essen wollen, also müssen wir in den Supermarkt.

Der Unterschied ist: Wer selbst tötet, der macht sich mehr Gedanken um das Tier, gerade weil er empathisch ist. Ich bin mir sicher, dass ich selbst die Axt führen könnte. Ich habe nur Angst davor, wie ich mich hinterher fühle. Natürlich zweifle ich daran, ob es richtig ist, Tiere zu essen. Es wäre dumm, das nicht so tun. Aber wäre es denn wirklich besser, die Gänse nur zu halten, weil sie schön anzusehen sind, wenn sie schneeweiß und erhaben über den januargrauen Hof laufen? Ist der Sinn der Gans auf Erden nicht der, vom Fuchs gegessen zu werden? Oder eben von mir?

Vom Tier unterscheiden wir uns höchstens durch unsere kognitiven Fähigkeiten. Die könnten wir wenigstens dazu nutzen, ihnen ein angenehmes Leben vor einem schnellen und angstfreien Tod zu ermöglichen. Aber solange das Töten von Tieren verdrängt wird, solange wir alle uns versichern, „Ich könnte das nicht“, solange wird Massentierhaltung, billiges Fleisch und das Leiden unzähliger Tiere alltäglich bleiben. Und das will doch eigentlich niemand.

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