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Dumme Hühner - Chauvinismus im Hühnerstall

Kolumne: Stadt, Land, Flucht. Tieren gebührt das Recht auf verständnisvolle Halter, fordert der Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal in seinem neuen Buch. Was aber, wenn der Hofhahn ein chauvinistischer Arsch ist?

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Ich habe ein Problem mit unserem Hahn. Ich halte ihn für einen frauenfeindlichen, selbstverliebten, aggressiven Vollidioten. Mein Mann findet ihn toll. Ich vermute, weil der Hahn all das auslebt, das ihm sein Leben lang verwehrt sein wird. Das Tier beschütze doch nur seine Hühner, sagt er. Und das sei sein Job.

In der Tat ist uns, trotz zahlreicher Warnungen vor Füchsen, Habichten oder Mardern, noch nicht ein Huhn der zehnköpfigen Schar abhanden bekommen. Des Nachts sind sie im sicheren Stall, tagsüber aber treiben sie sich arglos auf Wiesen, Zäunen und Ästen herum, wohlwissend, dass Gaston, so sein Name, mit Argusaugen über jeden wacht, der ihnen zu nahe kommen will. Dafür lassen sich die Damen willig zusammentreiben, ducken die Köpfe, wenn er sie bespringt, flattern herum und gurren freundlich, wenn er sie in uncharmantester Hahnenart zur Räson kräht. „Diese dummen Hühner“, denke ich und wünschte mir, sie würden einfach mal in ihrer Sandkuhle liegen bleiben, ohne auf den Chauvi mit seinem albernen Gepluster zu hören.

Aber ich mache einen Fehler. Einen, den viele städtische Tierhalter mit ihren Hunden, Katzen und vielleicht auch mit dem vermenschlichten Ficus Benjamini machen, wie der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal in seinem neuen Buch „Einfach beste Freunde“ feststellt: Viel zu oft stülpe man dem Tier die eigene Perspektive über. Heute lasse man eher eine Kommunikation „auf Augenhöhe“ zu, denn die Idee, dass der Mensch dem Tier überlegen ist, ist längst überholt. Wissenschaftler bestätigen, dass jenes soziale Gehirn, das sich vor etwa 500 Jahren entwickelte und das instinktive Sozial- und Sexualverhalten aller Wirbeltiere steuert – auch das des Menschen – sich seit seiner Entstehung kaum verändert hat.

Tierhaltung hilft
 

Mensch und Tier wachsen zusammen, räumlich und seelisch. Besonders in urbanen Gegenden ist das Tier auf dem Vormarsch, der Städter habe ein besonders inniges Verhältnis zu seinen Haustieren und Topfpflanzen, heißt es bei Kotrschal. Kai Diekmann, der als Chef der Bildzeitung schließlich wissen muss, was die Leute interessiert, postet bei Facebook regelmäßig Fotos aus seinem Potsdamer Hühnerstall. Ich selbst habe vor einigen Tagen unser erstgefundenes Hühnerei geteilt und dafür so viele Likes geernet, wie ich es sonst nur von der Geburtsmeldung meiner Kinder kannte.

Für die sei das Aufwachsen mit Tieren wahnsinnig wichtig, um eine ordentliche körperliche, emotionale, kognitive und soziale Entwicklung zu gewährleisten, findet Kotrschal. Er leitet ein „Menschenrecht auf Tierhaltung“ ab. Ebenso aber auch das Recht der Tiere, mit verständigen Menschen zu leben. Verständnis für Gaston aufzubringen aber fällt mir schwer. Dabei argumentiert Kotrschal, dass Menschen, die gute Beziehungen zu ihren Tieren haben, ein langes und glückliches Leben „in emotionaler Balance“ führen. Die Statistik belege, dass etwa Hundehalter weltweit gesünder sind als Menschen ohne Hund.

Für meine eigene Seele Frieden schließen mit dem Machohahn? Und wie steht es um seine Seele? Der Unterschied zwischen uns ist doch: Das Tier wertet nicht, es nimmt den Menschen an, wie er ist. Das ist der Grund dafür, dass es uns Menschen gut tut, mit Tieren zusammen zu sein, dass Pferd und Hund zu Therapiezwecken eingesetzt werden: Denn sowohl Puls und Herzfrequenz beruhigen sich, Stress wird reduziert, beweisen Studien. Und wird nicht in jedem zwischenmenschlichen Kommunikationsseminar genau das geraten? Weniger bewerten, mehr auf die Fakten sehen. Ohne dieses ganze zwischenmenschliche Gefühlstrara.

Eine Lektion, die ich von Gaston lernen kann.

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