Alle wollen Beethoven: Kunstaktion zum 250. Geburtstag des Komponisten 2020 in Bonn / dpa

200 Jahre Beethovens Neunte - Die missbrauchte Symphonie

Die 9. Symphonie von Beethoven wurde von allen vereinnahmt: deutschnationalen Romantikern, Stalinisten, Nazis, der EU und jüngst der Ukraine. Schuld ist Beethoven selbst, der die ursprünglich harmlos-freudige Botschaft Schillers in die Nähe bombastischen Kollektiv-Kitsches rückte.

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es ist der 7. Mai 1824. Theater am Kärtnertor, Wien. Beethovens 9. Symphonie wird uraufgeführt. Am Dirigentenpult Kapellmeister Michael Umlauf. Der Komponist selbst kann nicht mehr dirigieren. Seit Jahren ist er taub.

Bevor der monumentale Finalsatz mit dem Chor zu Schillers „An die Freude“ ertönt, holt man Beethoven an das Dirigentenpult. Als der Schlussapplaus ertönt, dreht die Sopranistin Henriette Sontag den Komponisten zum jubelnden Publikum, damit er den stürmischen Beifall zumindest sehen kann. Beethoven verbeugt sich artig.

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Albert Schultheis | Mi., 8. Mai 2024 - 11:22

Ich werde es meiner Uni-Stadt Mainz nie verzeihen, dass man dort vor ca 10 Jahren der Landes-Stiefmutter Maluuh folgte und sich am Gutenbergplatz gegen die neue AfD zusammenrottete, um die Redner der winzigen Gruppe verschüchterter Neu-Politiker hinter den massiven Polizeibarrikaden niederzuschreien. Ich war extra angereist, um mir die Reden der Leute, die ich nicht kannte, einmal anzuhören. Mitten in einer der Reden flogen die großen Fenster des Staatstheaters gegenüber auf und ein lautsprecherverstärkter kakophoner Chor von Schauspielern, Regisseuren und Platzanweisern kreischte das Lied von der Freude hinaus gegen die armselige Gruppe da drüben! Von dem Redner gegenüber waren höchstens noch spastisch zuckende Bewegungen mit den Armen vernehmbar. Die Meute um mich herum kreischte und johlte! Ich entfernte mich mit einer unbändigen Wut im Bauch. Genau so stellte ich mir die Mainzer Reichskristallnacht 80 Jahre zuvor vor! Ab da begann ich mich für die neue Partei zu interessieren ...

Ernst-Günther Konrad | Mi., 8. Mai 2024 - 11:34

Wollten wir den Eltern von Hitler, Stalin, Idi Amin, Pol Poth und vielen anderen Verbrechern wirklich die Schuld geben, weil sie ein Kind gezeugt haben und es sich dann so entwickelt hat? Egal was Beethoven dabei gedacht haben mag. Wir wissen es nicht, wir können es nur erahnen. Dass er einen "Ohrwurm" schreiben wollte, eine musikalische Darbietung , vielleicht auch Unterwerfung an den Preußenkönig, um damit auch Geld und Anerkennung zu erlangen, ist doch heute nicht viel anders. Der sog.. Rubel muss rollen. Und das man sich zum "Song" eine "Text Writers" bedient oder bereits vorhandene Texte nutzt und dann auch noch einen solchen Text ist doch eigentlich brillant. Nur Herr Grau, ich sehe Ihren Schuldvorwurf eher mit einem Augenzwinkern und eher rhetorisch. Natürlich hat Beethoven keine Schuld dafür, das später etliche Despoten und Politsysteme, selbst NGOS und die Unterhaltungsindustrie sich dieses Lied ausleihen und für ihre Zwecke nutzen, dafür kann er nichts. Ich höre sie gern.

Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 8. Mai 2024 - 11:35

auch Prof. Dr. Hartmut Fladt "zustimmen", der auch eine "Neue Nationalhymne" einspielte mit dem Text von Brechts Kinderhymne "Anmut sparet, nicht noch Mühe"...wo habe ich noch die Platte?
Prof. Fladt ist Mitglied des Hanns-Eisler-Chors Berlin.
Er gilt als "Musikversteher", siehe auch sein neuestes Buch mit dem selben Titel.
Bei Prof. Fladt lernen wir über die Anleihen und Zitate in Musikstücken.
Das war doch wohl gängige Praxis früherer Jahrhunderte?
Musik/er* unterhielt/en sich?
Aber man frage Prof. Fladt selbst.
Wenn man nur ein bisschen Schiller gelesen hat oder Beethoven gehört, dann dürfte es sehr schwer werden, in genannten Stücken zu Leichtigkeit zu kommen.
Ein verbotener Vers unserer Nationalhymne handelt doch auch von Wein, Weib und Gesang?
Vielleicht versucht man einfach dann doch Neue Musik und Neue Texte?
Die DDR-Nationalhymne gefiel mir gut, aber ich meine schon ganz etwas Neues, nach der Wiedervereinigung eben und für unser friedliches und vielfältiges Land.
Nachmachen

Jens Böhme | Mi., 8. Mai 2024 - 11:39

Schiller dankt mit der "Ode an die Freude"der Familie Körner, die ihn über Wasser und am Leben hält, mit einem freudigen Bacchanale, in der Freude, Freundschaft und Glück überschwängliche Ausmaße annimmt. Eigentlich ein Danklied, aber kein Sauflied.

René Maçon | Mi., 8. Mai 2024 - 13:02

"Und im August vergangenen Jahres erklang die Neunte in Warschau, gespielt von dem Ukrainian Freedom Orchestra, wobei man den Ausruf „Freude!“ durch das martialische „Slava!“ ersetzt, das auf den bekannten Schlachtruf „Slava Ukraini!“ („Ehre sei der Ukraine!“) verweist."

Schon schlimm! Da lassen sich die bösen Ukrainer nicht nur von den lieben Russen überfallen, nein sie sind so dreist und wehren sich dann auch noch! Wie martialisch!

Henri Lassalle | Mi., 8. Mai 2024 - 15:15

als Propaganda gebrauchen können, ob Beethoven, Goethe, Nietzsche...die Liste ist lang.
Man sollte vor allem die enorme Leistung Beethovens würdigen. Der Mann war schon sehr krank, war gänzlich auf sich allein gestellt und quasi taub. Ich habe mir Auszüge handschriftlichen Partitur der 9. angesehen: Man bekommt angesichts des chaotisch wirkenden Manuskripts eine Ahnung vom Ringen um Form und Inhalt.
Es bleibt eine Musik von immenser emotionaler Kraft und Ausdruck.

Klaus Funke | Mi., 8. Mai 2024 - 15:21

Beethovens Musik steht erhaben darüber, auch über allen Kommentarversuchen, selbst hier im Forum. Die Neunte ist nicht nur auf den Schlusschor zu reduzieren, dessen Text Schiller aus anderen Motiven schuf als er nun missbraucht wird. Ja Schiller wollte sich bei Körner bedanken. Wie oft fahre ich an dessen Gartenhäuschen in der Schillerstraße hier in Dresden vorbei und denke daran wie Schiller dort gesessen hat und seinen "Don Carlos" und eben auch die Freudenode schrieb. Lass die Hunde bellen, es ändert nichts an der herrlichen Musik Beethovens und den euphorischen Schiller-Worten. Man bedenke, ein vollkommen tauber Beethoven schrieb diese Neunte. Wie muss es ihm vor seinem geistigen Ohr geklungen haben. Menschlicher Wille und Geist hat triumphiert. Mögen sie bellen, all die Affen, die sich mit seinen Federn schmücken, sie reichen nicht heran an diese Großen. Dass die Ukrainer, jetzt faschisiert und kulturlos, sich damit schmücken, auch die Nazis (die echten) und Honecker taten es...

Naumanna | Do., 9. Mai 2024 - 12:07

Ah Beethoven ht die Neunte Friedrich Wilhelm Iii gewidmet. Wusste ich noch gar nicht - finde ich super. Bin Preussenfan sowieso. In der ganzen Welt wird Beethovens Neunte so verstanden wie sie eben verstanden wird ... und empfunden- da wird auch Herr Grau nix dran ändern . Und ja , vor allem von sogenannten einfachen Gemütern die immerhin diese Welt auf ihren arbeitenden Schultern tragen. Intellektuelles Gefasel wird nichts daran ändern dass die Ode an die Freude aus Beethovens Neunter emotional geliebt wird und als Symbol der Völker Verständigung empfunden wird. Missbrauch ? Du meine Güte - alles auf der Welt kann natürlich auch missbraucht werden - ein Gemeinplatz ...