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(picture alliance) Schlange stehen – für viele Arbeitssuchende tägliche Realität

Vorurteile - Faul, wählerisch, Hartz-IV-Empfänger

Sie sind lustlos, zu wählerisch und wollen nicht arbeiten – die Liste der Vorurteile, die immer wieder gegen Hartz-IV-Empfänger laut werden, ist lang. Begründet sind sie jedoch nicht, erklärt nun das Institut für Demoskopie Allensbach. Eine Einschätzung

„Strafen-Rekord“, titelte am Dienstag die Bild-Zeitung. Bis Ende des Jahres werde erstmals die Zahl der Sanktionen, die die Bundesagentur für Arbeit gegen Hartz-IV-Empfänger aussprach, die Millionengrenze überschreiten.

Schlagzeilen wie diese schüren den Unmut gegen Menschen, die Grundsicherung beziehen. Die Schlussfolgerung, dass es Langzeitarbeitslose mit der Arbeitssuche nicht so ernst meinen, liegt nahe. Wie sonst kann es sein, dass so viele Sanktionen ausgesprochen werden müssen? Dabei ist die Behauptung der Bild-Zeitung alles andere als in Stein gemeißelt. Sie ist vielmehr windige Spekulation als Fakt.

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Denn: Die hohe Zahl an Sanktionen, die die Bundesagentur für Arbeit in der ersten Jahreshälfte gegen ALG-II-Bezieher ausgesprochen hat – nämlich 520.792 – ist ein Ergebis der positiven Arbeitsmarktlage. Überdurchschnittlich viele Stellenangebote stehen zur Verfügung. Und damit erhöht sich die Chance auf Absagen. Dass in der zweiten Jahreshälfte aber mit ebenso vielen Angeboten oder Absagen und eben auch Abmahnungen anfallen würden, ist nicht gesagt.

Heinrich Alt von der Bundesagentur für Arbeit hegt sogar starke Zweifelt, das dies so kommen wird und kritisiert die stiefmütterliche Hochrechnung der Bild-Zeitung. Die hatte kurzerhand die Zahl der Sanktionen der ersten Jahreshälfte verdoppelt, ohne dabei die Hintergründe zu berücksichtigen.

Seit langem kritisiert Alt, dass viele Deutsche Hartz-IV-Empfängern gegenüber harsche Vorurteile hegen. Schließlich seien viele seiner Kunden durchaus fleißig und bemüht. Dass er mit seiner Meinung relativ allein auf weiter Flur steht, belegt nun auch eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach. Darin wurden 1.558 Personen nach ihrer Einstellung gegenüber Langzeitarbeitslosen befragt. Das Ergebnis ist ernüchternd: 37 Prozent der Deutschen glauben, Hartz-IV-Empfänger wollen nicht arbeiten, 55 Prozent sind der Meinung, sie würden selbst nicht aktiv nach Arbeit suchen, 57 Prozent sind überzeugt davon, die ALG-II-Bezieher seien bei der Arbeitssuche schlicht zu wählerisch. 55 Prozent der Befragten gaben außerdem an, Hartz-IV-Empfänger hätten nichts Sinnvolles zu tun und 57 Prozent meinen, sie seien einfach schlecht qualifiziert.

Für seine schon lange postulierte These, Langzeitarbeitslose seien keinesfalls faul und würden auch nicht per se in den Tag hinein leben, liefert die Umfrage nun stichfeste Beweise. Demnach sei für 75 Prozent der Hartz-IV-Empfänger Arbeit "das Wichtigste im Leben", 62 Prozent würden bei ihrer Jobsuche auf eigene Initiative bei potentiellen Arbeitgebern anklopfen, 71 Prozent würden sogar Arbeit aufnehmen, für die sie überqualifiziert sind.

„Natürlich haben wir in der Grundsicherung nicht nur Olympioniken“, räumt Alt ein. Dass es Hartz-IV-Empfängern oftmals an beruflicher Qualifikation fehlt, ließe sich nicht von der Hand weisen. Gerade einmal 44 Prozent der ALG-II-Bezieher verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Fakt ist aber auch, dass die große Mehrzahl der Vorurteile schlicht haltlos ist. Die Vermutung, Hartz-IV-Empfänger hätten den ganzen Tag nichts zu tun, konnte so nicht bestätigt werden: 62 Prozent gehen mindestens einer gesellschaftlich relevanten Tätigkeit, etwa einem Ehrenamt, nach.

Seite 2: Warum Hartz-IV-Empfänger so ein schlechtes Image haben

Haben sich Hartz-IV-Empfänger also eigentlich ein besseres Image verdient als das des Sozialschmarotzers, welches ihnen bislang oftmals zu Teil wurde? Ja. „Der“ Hartz-IV-Empfänger ist bemüht, nicht faul. Das ist der große Mehrwert der Umfrage.

Aber warum denken die Deutschen so schlecht über Langzeitarbeitslose? Heinrich Alt hat eine denkbar einfache Erklärung: Unwissenheit. „Wer keinen einzigen Hartz-IV-Empfänger kennt“, so Alt, „neigt eher zu Vorurteilen.“ Er selbst habe diese Erfahrung erst kürzlich gemacht, als er vor einem rund 70-köpfigen Publikum in einem Rotarier-Club – welchen, will er nicht verraten – einen Vortrag über die Grundsicherung halten sollte. Dort habe er sich erlaubt, eingangs die Frage zu stellen, wer denn jemanden kenne, der Grundsicherung beziehe. „Niemand hat sich gemeldet. Nicht einer!“ Dabei sucht man hierzulande Hartz-IV-Empfänger wahrlich nicht mit der Lupe. Aber Gleich und Gleich gesellt sich gern: Besserverdienende umgeben sich mit ihresgleichen, Hartz-IV-Empfänger bleiben ebenso in ihrer Community. Hier liegt das nächste Problem: Immer mehr Anstellungen werden heute über private Kontakte vermittelt – „Kontakte, die Langzeitarbeitslosen in der Regel fehlen“, so Alt. Und die angesprochenen Vorurteile würden den Weg ins Arbeitsleben zudem erschweren.

Alts Lösung, um der unbegründeten Vorurteile Herr zu werden: Jeder müsse sich mit dem Thema „Hartz IV“ auseinandersetzen und im Bekanntenkreis nachfragen, wer schon einmal Grundsicherung bezogen hat. Das führe, so seine Vermutung, zu Verblüffung.

Hin und wieder über den Tellerrand zu schauen, kann sicher nicht schaden. Denn dann ergäben sich Erkenntnisse wie diese: Gerade einmal elf Prozent der Sanktionen werden tatsächlich wegen der Ablehnung eines zumutbaren Jobangebots ausgesprochen, zwei Drittel hingegen wegen Meldeversäumnissen, etwa, wenn ein Arbeitssuchender vergessen hat, einen Termin abzusagen. 95 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger aber kommen ihren Verpflichtungen stets gesetzeskonform nach.

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