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Rot-Rot-Grün in Thüringen - Keine Angst vor Bodo Ramelow

25 Jahre nach dem Mauerfall könnte Thüringen in diesem Herbst rot-rot-grüne Geschichte schreiben. Gefahr droht dem ersten linken Ministerpräsidenten in Deutschland vor allem durch ideologische Heckenschützen aus den eigenen Reihen

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Bis die historische Wahl stattfindet, dauert es noch. Aber die Weichen sind gestellt. Die Erfurter Sondierungsgespräche zwischen Linken, SPD und Grünen sind abgeschlossen. Am Montag wird der SPD-Vorstand in Thüringen seiner Partei aller Voraussicht nach empfehlen, Koalitionsverhandlungen für ein rot-rot-grünes Bündnis aufzunehmen. Die Basis der Partei, die anschließend das Wort hat, wird dieser Empfehlung wohl folgen. In den Koalitionsverhandlungen geht es dann um das Kleingedruckte. Das kann es zwar manchmal in sich haben, zumal es dann vor allem darum gehen wird, in welchem Umfang sich ein Politikwechsel angesichts knapper Kassen und sinkender Steuereinnahmen finanzieren lässt. Ein paar Hürden stehen also noch auf dem Weg, bevor in Thüringen ein neuer Ministerpräsident gewählt werden kann. Aber auf Eckpunkte der Regierungszusammenarbeit haben sich die drei Parteien bereits verständigt.

Kurz vor Weihnachten also könnte Bodo Ramelow zum ersten linken Ministerpräsidenten in Deutschland gewählt werden und damit Geschichte schreiben; 25 Jahre nach dem Fall der Mauer, 25 Jahre, nachdem aus der SED erst die SED-PDS, dann die PDS und schließlich die Linke wurde. Die Tür zur Macht steht für die Linke weit offen.

Angst muss niemand vor Bodo Ramelow haben. Der Herz-Jesu-Marxist, der 1990 in den Osten ging, um als Gewerkschafter die Ossis vor den Auswüchsen des Kapitalismus zu beschützen, wird weder die thüringische Automobilindustrie verstaatlichen, noch kostenlos Grillbroiler verteilen. Das Land wird unter einem roten Ministerpräsidenten keine Schulden machen, so wie es die Landeshaushaltsordnung und das Grundgesetz vorschreiben. Auch der Verfassungsschutz wird erhalten bleiben. Zudem hat die Linke gleich zu Beginn der Sondierungsgespräche einer Erklärung zugestimmt, in der die DDR ein „Unrechtsstaat“ genannt wird und damit demonstriert, dass sie sich ihrer SED-Vergangenheit kritisch stellt.

Ramelow ist Realpolitiker durch und durch, er ist im besten Sinne ein engagierter linker Sozialdemokrat. Und in Thüringen fragen sich viele SPDler, warum Bodo eigentlich keiner von ihnen ist.

Für politische Eskapaden eignet sich das Ministerpräsidentenamt eh nicht. Erstens ist der rechtliche, politische und finanzielle Spielraum für das kleine, von Subventionen aus dem Westen abhängige und nicht besonders bevölkerungsreiche Bundesland nicht besonders groß. Zweitens wünschen sich die Menschen auch in Thüringen vor allem einen Landesvater, der Ruhe, Kontinuität sowie Vertauen ausstrahlt und sie wünschen sich sicherlich kein linkes Rumpelstilzchen. Drittens kann sich keine der drei voraussichtlichen Koalitionspartner einen rot-rot-grünen Dauerstreit leisten. Die Wähler in dem eher strukturkonservativen Land, das 25 Jahre von der CDU geprägt wurde, würden sich schnell wieder abwenden.

In der Linken lauern ideologische Heckenschützen


Die Macht der Verhältnisse zwingt Bodo Ramelow also zur Anpassung und Mäßigung. Seine Wandlung vom bissigen Oppositionspolitiker zu Everybody’s Darling, die er in den letzten fünf Jahren vollzogen hat, zeigt, dass der voraussichtlich nächste Ministerpräsident von Thüringen dies längst antizipiert hat. Rote Socken schrecken zumindest in Thüringen deshalb längst niemanden mehr. Selbst aus der Wirtschaft des Landes bekommt Ramelow mittlerweile viel Unterstützung.

Gefahr droht Bodo Ramelow vor allem aus den eigenen Reihen. Die heftige innerparteiliche Diskussion um die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei, zeigt, wie viele ideologische Heckenschützen es bei den Linken gibt. Sie lauern ständig darauf, vermeintliche Verräter in den eigenen Reihen zu attackieren. Und wenn sie Bodo Ramelow angreifen, haben die Fundis immer auch Berlin im Blick. Denn natürlich ist Rot-Rot-Grün in Thüringen ein Wegweiser für Rot-Rot-Grün im Bund. Regiert Ramelow in Thüringen erfolgreich, stärkt dies auch in Berlin jene realpolitischen Kräfte bei den Linken, die auf Bundesebene ein Bündnis mit SPD und Grünen anstreben.

Linke, SPD und Grüne sind in Thüringen also zum Erfolg verdammt. Und sie wissen: Sie haben nur eine einzige Chance. Das historische Zeitfenster für Rot-Rot-Grün steht nur ein paar Wochen in diesem Herbst offen. Bei Neuwahlen würden Linke, SPD und Grüne vom Wähler gleichermaßen abgestraft werden. Profitieren würden von einem rot-rot-grünen Scheitern nur die AfD und die CDU. Die Grünen würden wieder aus dem Landtag fliegen, die SPD unter die Zehn-Prozent-Marke stürzen und die Linke wäre auch im Osten auf dem Weg zur Sekte.

Spannend bleibt es trotzdem bis kurz vor Weihnachten. Denn Linke, SPD und Grüne verfügen im Landtag nur über eine Stimme Mehrheit. Bei der historischen Wahl wird es sehr knapp zugehen. Ein Abweichler in der geheimen Ministerpräsidentenwahl würde reichen, um das rot-rot-grüne Bündnis zu Fall zu bringen.

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