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Thüringen - SED-Nachfolger drängt zurück in die erste Liga

Thüringen steht vor einer historischen Zäsur: Schon bald könnte dort der erste linke Ministerpräsident regieren. Die SPD hat sich damit abgefunden. Gegner des Tabubruchs hat Bodo Ramelow vor allem in den eigenen Reihen

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Thüringen, Wiege der deutschen Klassik und der deutschen Sozialdemokratie, ist bislang bundespolitisch eher unbedeutend. Außerhalb von Thüringen ist Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) völlig unbekannt.

Das könnte sich schon bald ändern. In acht Wochen wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt – und dabei werden in dem kleinen ostdeutschen Land bundespolitische Weichen gestellt.

Der Linkenpolitiker Bodo Ramelow bereitet sich bereits seit Monaten auf die Regierungsübernahme in der Landeshauptstadt Erfurt vor. Er will erster Ministerpräsident der Linken in Deutschland werden – und damit Geschichte schreiben. 25 Jahre nach dem Mauerfall wäre die SED-Nachfolgepartei zurück in der ersten Reihe der deutschen Politik. Im föderalen politischen System der Bundesrepublik müssten die Ministerpräsidenten von Ländern wie Bayern, Nordrhein-Westfalen oder Hamburg dem einstigen Schmuddelkind zukünftig auf Augenhöhe begegnen.

Viel spricht dafür, dass die CDU die Macht in dem Freistaat nach 24 Jahren wird abgeben müssen. Zwar liegt die Partei in allem Umfragen zur Landtagswahl am 14. September deutlich vorn. Aber es fehlt den Christdemokraten ein Koalitionspartner.

SPD und Linke bereiten ein 100-Tage-Programm vor


Thüringens Sozialdemokraten werden für eine Neuauflage der Großen Koalition kaum zu gewinnen sein. Schon vor fünf Jahren hatte nur der massive Druck der SPD-Oberen in Land und Bund verhindert, dass der traditionell eher linke SPD-Landesverband für ein Bündnis mit den Linken votierte. Mittlerweile ist die Unzufriedenheit mit der Rolle des Juniorpartners in der Großen Koalition weiter gewachsen. Zudem wird anders als 2009 diesmal die Basis in einer Urabstimmung das letzte Wort über den Koalitionspartner haben. Das Verhältnis zwischen CDU und SPD gilt als völlig zerrüttet. Von einer schwarz-grünen Mehrheit ist das Land weit entfernt, die FDP ist in der Bedeutungslosigkeit versunken.

Bleibt der Tabubruch. Ein rot-rotes Bündnis unter Führung der Linken im Erfurter Landtag wäre keine Überraschung mehr. Seit Monaten gibt es zwischen den Möchtegernpartnern intensive Gespräche, sogar ein rot-rotes 100-Tage-Programm ist nach Informationen von Cicero Online bereits in Arbeit. Die Bundes-SPD wird sich dem nicht in den Weg stellen. Seit die Sozialdemokraten im November vergangenen Jahres auf ihrem Parteitag beschlossen haben, sich auch bundespolitisch für rot-rote Bündnisse zu öffnen, ist die Entscheidungsautonomie der Landesverbände noch größer geworden. Sollte es nach der Landtagswahl wider Erwarten nicht für eine rot-rote Mehrheit reichen, stünden zusätzlich die Grünen für Verhandlungen über ein rot-rot-grünes Bündnis bereit.

Bodo Ramelow bastelt am Landesvater-Image


Die Schwäche der SPD, die in Thüringen bereits seit 1999 nur noch drittstärkste Kraft ist, ist Bodo Ramelows Chance. Der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär, der 1990 aus Hessen nach Thüringen zog, arbeitet bereits seit Langem an seinem Image als Landesvater. Vor fünf Jahren hatte Ramelow die SPD noch mit dem Angebot gelockt, einen Sozialdemokraten zum Ministerpräsidenten zu wählen. Solche Demutsgesten gehören jedoch der Vergangenheit an.

Für die SPD ist die Situation dennoch alles andere als einfach. Einerseits: Juniorpartner sind die Sozialdemokraten in Thüringen jetzt und Juniorpartner wären sie auch in einer rot-roten Landesregierung. Andererseits ist das rot-rote Bündnis ein unkalkulierbares Abenteuer. Bodo Ramelow trauen selbst führende Sozialdemokraten in Berlin das Ministerpräsidentenamt zu. Manche räumen hinter vorgehaltener Hand sogar ein, dieser sei für das Amt besser geeignet als die eigene Spitzenkandidatin Heike Tauber. Die sozialdemokratischen Zweifel jedoch, ob die Linken tatsächlich ein Bundesland führen und eine Staatskanzlei managen können, sind gleichzeitig groß.

Hinzu kommt: Nachdem die SPD bereits in Baden-Württemberg ihren Führungsanspruch im linken Lager an die Grünen abtreten musste, müssten sie nun auch der Linken den Vortritt lassen. Und nicht nur dort. Auch in Sachsen-Anhalt könnte die Linke das Ministerpräsidentenamt für sich beanspruchen. Dort ist die SPD ebenfalls als Juniorpartner in der Großen Koalition gefangen, obwohl es im Landtag seit acht Jahren eine rot-rote Mehrheit gibt.

Linke West-Fundis torpedieren Rot-Rot im Bund


Die Sozialdemokraten werden also im Herbst versuchen, die Bedeutung des Tabubruchs in Thüringen herunterzuspielen, diesem jede Signalwirkung abstreiten und von einer regionalen Entscheidung ohne bundespolitische Bedeutung sprechen. Zumal das Verhältnis zwischen SPD und Linken im Bundestag weiterhin angespannt ist. Von einer Annäherung kann keine Rede sein, eher vom Gegenteil.

Für die Realos unter Linken hingegen soll Thüringen ein Testlabor für die Annäherung von SPD, Grünen und Linken im Bund werden. Sie wollen den im Bund starken Fundis aus Erfurt Paroli bieten. Das wird nicht so einfach werden, denn vermutlich ist der Widerstand gegen Rot-Rot in den eigenen Reihen mittlerweile größer als beim möglichen Koalitionspartner. Nicht in Thüringen, der Landesverband der Linken ist fest in Realo-Hand. Doch das Sperrfeuer der Fundis aus dem Westen ist unkalkulierbar. Diese wissen ziemlich genau, dass sie mit Rot-Rot in Thüringen auch die Annäherung beider Parteien im Bund torpedieren können.

Mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 hat Thüringen ab September Signalwirkung. Die SPD kann dabei letztendlich gelassener sein als die Linke. Denn die hat viel mehr zu verlieren.

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