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(cc/einzelfaelle.tumblr.com/cicero) Piraten dokumentieren Piraten

Nazistreit - Piraten scheitern an der Systemfrage

Die Schlagzeilen über Piraten am rechten Rand reißen nicht ab. Im Clinch mit sich selber, treibt der Umgang mit den „bedauerlichen Einzelfällen“ die junge Partei nun in die Schizophrenie und offenbart eine alarmierende politische Haltungslosigkeit. Ein Kommentar

„Mir reicht‘s jetzt“, schimpft Marina Weisband. Die politische Geschäftsführerin der Piraten will den Kuschelkurs mit rechtsextremen, antisemitischen und sexistischen Parteimitgliedern nicht länger dulden. Um sich Luft zu machen, schreibt sie einen Blogeintrag. Basismitglieder dokumentieren gleichzeitig problematische Äußerungen in den eigenen Reihen. Bedauerliche Einzelfälle, so der Titel. Doch sichtbar wird dort stattdessen der Rückhalt der Basis für fragwürdige Gestalten wie den Holocaustleugner Bodo Thiesen und deren krude Logik. Schnell sehen sich die Blogbetreiber mit anonymen Beschimpfungen konfrontiert: „Bei der Gestapo hättet ihr steile Karriere gemacht. So gesehen ist eure jetzige Tätigkeit als bloggende Gedankentscheka die Gnade der späten Geburt.“ Selbst die Transparenz, die bei den Piraten sonst so hoch gehalten wird, stößt plötzlich in den eigenen Reihen an ihre Grenzen.

Sprachliche Fehlgriffe leisten sich mittlerweile auch Funktionäre. Und so verlieren die Piraten in ihrer ersten politischen Affäre nun sogar einen wichtigen Hoffnungsträger. Am Sonntag zog der Berliner Abgeordnete Martin Delius seine Kandidatur für das Amt des politischen Geschäftsführers zurück, nachdem er im Interview mit „Spiegel Online“ das Wachstum seiner Partei mit dem Aufstieg der NSDAP verglichen hatte. Er werde sich aber weiterhin gegen „totalitäre oder auch nur klassisch parteipolitische Strukturen” einsetzen, sagte er.

Dabei fehlen den Piraten gerade jetzt klassische Parteistrukturen, mit denen sie in Krisensituationen schnell reagieren können. Denn im Umgang mit den rechtsextremen Tendenzen in der Partei verpuffen die Interventionen der Parteiführung. Mit Abwiegelei und hilflosen Blogeinträgen lässt sich dem Problem, das tief in der Partei verwurzelt ist, nicht Herr werden.

Ihren Anfang nahm die aktuelle Krise am vergangenen Mittwoch mit dem gescheiterten Ausschlussverfahren gegen den Holocaustleugner Bodo Thiesen. Dieser hatte geschichtsrevisionistische Äußerungen verbreitet und den Holocaust zur falschen Staatsdoktrin erklärt. Schon 2008 gelangte der Fall an die Öffentlichkeit, doch damals wiegelte der ehemalige Vorsitzende Jens Seipenbusch ab. Er nannte die Äußerungen eine alte Geschichte.

Diese falsche Toleranz machte in der Partei Schule. Nun werden die Piraten die Geister, die sie riefen, nicht wieder los. Zwar wird mittlerweile etwa der Vorsitzende der Berliner Piraten Semken wegen seiner Verteidigung Thiesens zum Rücktritt gedrängt, doch er will bleiben. Auf seltsamen Umwegen hatte Semken zuvor zur Verteidigung Thiesens den Schutz der Meinungsfreiheit ins Feld geführt. Nicht die Nazis seien das Problem, sondern solche, die auf sie mit dem Finger zeigten, so Semken sinngemäß.

Ob die Wachstumsschmerzen bald nachlassen werden ist zweifelhaft. Thiesen ist kein Einzelfall, er ist an der Basis der Partei gut vernetzt und war als Vertreter für wichtige Parteiveranstaltungen im Gespräch. Darüber hinaus werden in Orts- und Kreisverbänden immer wieder fragwürdige Personen und ausgewiesene Neonazis in die Ämter gespült.

Die alarmierenden Beispiele häufen sich. Im vergangenen Oktober bereits gab der Pirat Matthias Bahner seinen Posten im Vorstand eines Kreisverbands ab, nachdem seine braune Vergangenheit als aktives Mitglied der NPD bekannt wurde. Im Februar twitterte der damalige Kreisvorsitzende in Heidenheim, Kevin Barth, dass er den „Juden an sich“ einfach unsympathisch fände. Auch Barth trat wenige Tage später zurück. Jüngst schwadronierte der Lübecker Direktkandidat Michael Vandersee: „Der Zentralrat der Juden wird ab 2012 mit 10 Millionen Euro aus hart erarbeiteten Steuergeldern alimentiert! Weitere Kommentare spare ich mir an dieser Stelle.“ Via Twitter schiebt er die passende musikalische Untermalung hinterher, einen Song der Naziband „Burning Hate“. Wenig politisches Fingerspitzengefühl zeigte auch der saarländische Generalsekretär Dominik Vogelsang, zumal in Zeiten der Krise. „Ich fasse es nicht“, kommentierte er unlängst eine Einladung des israelischen Generalkonsulats zur Feier des Unabhängigkeitstages. „Die denken bestimmt, ich wär jüdisch.“

Selbst Basispiraten können der Partei einen beträchtlichen Imageschaden zufügen. Vor allem, wenn sie ihren lupenreinem Antisemitismus wie Dietmar Moews zwischen Beatles und Medienschelte auf Youtube in den Dienst der Aufmerksamkeit stellen. Moews kommentierte die Causa Grass, sprach von der „Tragik des Judentums“, dass „überall Gastrecht beansprucht“ und sich „als die Geschundenen hinstellt“. Ab und zu ein Schwenk mit der Piratenflagge.

Das Problem der Piraten ist die offene Struktur. Auf lokaler Ebene funktioniert die Partei wie ein Franchiseunternehmen, dessen Werbemittel sich gratis auf jede Bulette kleben lassen. Gleichzeitig kommt dort eine weit verbreitete politische Ahnungslosigkeit und Gleichgültig zum Vorschein.

An der Spitze der Partei wird abgewiegelt und verharmlost. „Wenn jemand aus antifaschistischen Gründen Häuser anzündet, dann verurteile ich den genauso wie jemanden, der das gegen Ausländer macht.“, sagte Bundesvorstandsmitglied Michael Schrade im Gespräch mit der Tageszeitung „Neues Deutschland“. 

Ob nun Berliner Vorsitzender oder schrulliger Basispirat – einerseits wird die Mitteilsamkeit der Piraten, ihr großer Datenschatz, zum Problem. Oder, wie es Semke auf seinem Blog nach dem öffentlichen Shitstorm formuliert: „Ihr hattet wohl doch recht, ich hätte besser die Tastatur gehalten.“

Andererseits sind die Piraten nicht zufällig der Netzwelt entstiegen. Jede noch so unsinnige Meinung, jeder noch so fragwürdige Beitrag findet im Internet seinen Widerhall. Dort gibt es keine politischen Tabus, die Diskussionskultur ist fragwürdig. Die fehlende politische Haltung ist kein Problem der Piratenbasis allein, sondern ein Phänomen der gleichmacherischen Verfasstheit des Netzes, gar ein Indikator für das problematische politische Klima, das dort herrscht. Und das ist besonders alarmierend: Vielleicht ist die Generation Internet nicht bereit für eine freiheitliche Systempartei.

Bisher herrscht bei den Piraten der harte Binärcode. Eine Maschinensprache, die nur zwei Zustände kennt. Meinungen sind entweder da oder nicht da. Über eine bloße Feststellung einer Meinung hinausgehende Prüfung ihres Gehalts – Fehlanzeige. Vielleicht verhält es sich mit den Metadaten bei den Piraten genau so wie bei der Suchmaschine Google. Sie lässt das für Sinnzusammenhänge erforderlich datentechnische Äquivalent der Zusatzinformation bisher links liegen, bleibt oberflächlich.

Wer die Suchanfrage Parteimitglied stellt, bekommt genau das: irgendein Parteimitglied. Aber rechtsradikales Gedankengut ist nicht Teil eines pluralistischen demokratischen Meinungsspektrums. Zu diesem Konsens müssen sich die Piraten uneingeschränkt bekennen, wenn sie dauerhaft politisch arbeiten wollen. Und dieses Bekenntnis erfordert auch die Abkehr von der politischen Beliebigkeit des Internets sowie die Akzeptanz klassischer parteipolitischer Strukturen.

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