Zum Zustand der deutschen Wirtschaft - Die Atemnot wird nicht gelindert

Robert Habeck bittet heute im Bundestag um Zustimmung für sein „Wachstumschancengesetz“. Sein Wunsch nach neuen Staatsschulden ähnelt einer Sauerstofftherapie für Raucher. Nötig wäre es, die Ursachen der Misere anzugehen.

Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz / dpa
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Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

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Vor kurzem jagte mir meine Bobtail-Hündin Bella einen gehörigen Schreck ein. Sie hatte Schluckbeschwerden und litt an starker Atemnot. Die Tierärztin im Nachbardorf überwies uns nach kurzer Untersuchung umgehend an die Tierklinik in der Nachbarstadt – und nahm angesichts der trüben Aussichten für Bella nicht einmal ein Honorar. In der Klinik kam Bella mit der Diagnose „Lungenödem“ und „sehr schwaches Herz“ sofort auf die Intensivstation. Die „Dottoresse“ der „Clinica del Orologio“ in Sasso Marconi leisteten exzellente Arbeit. Nach drei Tagen konnte ich Bella ohne Lungenödem und mit Behandlungsplan zur weiteren Stärkung des Herzens wieder abholen. Inzwischen interessiert sie sich schon wieder für die Mäuse im Garten unseres Hauses in den Bergen.

Jahreswirtschaftsbericht 2024: „Dramatisch schlecht“

Vermutlich ist es diese noch sehr frische Erfahrung, die mich beim Blick auf die deutsche Wirtschaft sofort an von Lungenödem und ausgeprägter Herzschwäche hervorgerufene Schluckbeschwerden und akute Atemnot denken ließ. Im neuen Jahreswirtschaftsbericht erwartet Wirtschaftsminister Habeck für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum vor nur noch 0,2 Prozent, nachdem die Wirtschaft im Vorjahr um 0,3 Prozent geschrumpft ist. „Dramatisch schlecht“ sei die Lage, meinte der Minister schon vorab und gab dem von der Politik gezüchteten Bürokratiegestrüpp eine Mitschuld an der Misere. Doch wirklich zu wurmen scheint ihn, dass ihm das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zu den von der Ampelkoalition heiß geliebten „Sondervermögen“ einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, die Wirtschaft mit neuen Staatsschulden aufpäppeln zu können. 

Doch die Wirtschaftstherapie mit staatlicher Neuverschuldung ähnelt der Sauerstofftherapie für Raucher. Sie mag die Symptome lindern, aber den Niedergang kann sie nicht aufhalten. Nötig ist, an die Ursachen der deutschen Krankheit heranzugehen. Und ja, ein Teil der Probleme wurden unmittelbar durch äußere Einflüsse (Ukrainekrieg und chinesische Wirtschaftsschwäche) versursacht, worauf Bundeskanzler Olaf Scholz so gerne verweist. Doch wären diese Probleme viel leichter zu bewältigen, wenn die deutsche Wirtschaft innen gesund wäre. Das ist sie nicht. Sie steckt in tief in der Krise, weil das Geschäftsmodell der „Deutschland AG“ kaputt ist.

Deutschland AG am Ende

In diesem Geschäftsmodell ergab sich – auf den Punkt gebracht – der wirtschaftliche Erfolg als Produkt aus dem Fleiß der in der Wirtschaft Tätigen, ihrem Know-how und billiger Energie. Reiche Kohlevorkommen ermöglichten den Beginn der Industrialisierung im Ruhrgebiet. Später war es billiges Erdöl und russisches Erdgas, das die deutsche Industrie vorantrieb. Schwäbische Tüftler und andere Erfinder verhalfen der Automobil-, Elektro- und Chemieindustrie zur Weltgeltung. Und fleißige Arbeiter haben dafür gesorgt, dass die Produkte dieser und anderer deutscher Industrien weltweit zu kaufen waren.

Heute bröckeln alle drei Säulen dieses Geschäftsmodell. Statt Fleiß beseelt viele Beschäftigte der Wunsch nach weniger Arbeit. Know-how wird durch staatliche Vorschriften gegängelt und in Bürokratie erstickt. Und aus billiger Energie wurde durch eine aberwitzige Energiepolitik die teuerste Energie der Welt. Kein Wunder, dass der deutschen Wirtschaft die Puste ausgeht und die Industrie an akuter Atemnot leidet.

Die Misere unterm Brennglas

Die Misere zeigt sich wie unter einem Brennglas an der Entwicklung der Arbeitsproduktivität. Seit Ende 2017 ist die Produktivität pro geleisteter Arbeitsstunde zwar noch minimal um ein Prozent gestiegen, die Produktivität pro Beschäftigten ist jedoch aufgrund von Arbeitszeitverkürzung um zwei Prozent gefallen. Der Wohlstand aller hängt jedoch nicht davon ab, wieviel die Beschäftigten pro Stunde, sondern wieviel sie pro Kopf leisten. 

Minister Habecks Experten rechnen mit einem Wachstum der Produktivität um jährlich 0,3 Prozent in den kommenden Jahren. Zusammen mit einer durch Zuwanderung von Fachkräften und Mobilisierung von bisher arbeitslosen Asylimmigranten leicht steigenden Zahl an Beschäftigten soll das Wirtschaftspotenzial mit 0,5 Prozent pro Jahr steigen. Doch scheint hier die Hoffnung statt der nüchternen Analyse Vater des Gedankens.

 

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Denn die Produktivitätsmisere soll durch kleinteilige Förderprogramme und Bürokratieabbau überwunden werden. Wie das bei einem weiterhin üppig dimensionierten Staat (mit einer Staatsquote von 50 Prozent) gehen soll, bleibt schleierhaft. Zur Verwaltung seiner umfangreichen Sozialprogramme und zum Management seiner zahllosen Eingriffe in die Wirtschaft braucht er immer mehr Personal, das er der Wirtschaft entzieht. Aus produktiven Beschäftigten, die Güter und Dienstleistungen herstellen, werden unproduktive Staatsbürokraten, die Gesetze und Regulierungen erzeugen, über deren Einhaltung sie wachen. 

Sie sind nicht nur selbst unproduktiv, sondern mindern darüber hinaus die gesamtwirtschaftliche Produktivität, wenn sie die Arbeit der in der Wirtschaft Tätigen mit der von ihnen erzeugten Bürokratie behindern. Da sie gut besoldet werden, bürdet der Staat den in der Wirtschaft Tätigen eine hohe Steuerlast auf, so dass diese Freizeit der entlohnten Arbeit vorziehen. So wird „Fleiß“ vom Staat zermürbt. 

Und wie soll Deutschland ausländische Fachkräfte gewinnen und Asylmigranten zur Arbeitsaufnahme bewegen, wenn die Belastung durch Steuern und Abgaben für Fachkräfte im internationalen Vergleich sehr hoch und die Sozialleistungen für Arbeitslose überaus üppig sind?

„Hört auf die Wissenschaft“?

Zur Förderung des technischen Fortschritts will Minister Habeck die Wissenschaft unterstützen. Das hört sich zunächst mal gut an. Doch zeigen neuere Untersuchungen, die kürzlich im britischen Magazin The Economist referiert wurden, dass akademische Forschung für die Wirtschaft nichts bringt, wenn sie für viel Geld auf abseitigen Forschungsgebieten („Genderstudies“ und andere Orchideenfächer) unterwegs ist oder im Elfenbeinturm (durch Zitierkartelle) einen Jahrmarkt der Eitelkeiten veranstaltet. Im Gegenteil: Wenn die Wirtschaft unter Verweis auf die staatsuniversitäre Forschung ihre eigenen Forschungsaktivitäten einschränkt, verlangsamt sich der technische Fortschritt.

Lichtblick fallende  Inflation?

Immerhin, so der Wirtschaftsminister, geben es einen kleinen Lichtblick: Die Inflation würde auf moderatere Werte fallen. Da die Löhne kräftig steigen, verbessere sich auch das reale Einkommen der Arbeitnehmer. Doch leider zeigt sich auch hier ein Pferdefuß: Weil die Produktivität sinkt, steigen die Lohnstückkosten kräftig. Da die Unternehmen den Lohnstückkostenanstieg früher oder später in die Preise überwälzen müssen, könnte die Freude über den Rückgang der Inflation verfrüht sein. Zuletzt stiegen die Lohnstückkosten um über sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Starve the Beast!

Der wohlgemeinte, kleinteilige Ansatz zur Wirtschaftsbelebung in staatlicher Regie, den Minister Habeck – abgestimmt mit der ganzen Bundesregierung – in seinem Jahreswirtschaftsbericht auf 175 Seiten ausbreitet, wird die Atemnot von Wirtschaft und Industrie nicht lindern. So geht Deutschlands Abstieg ungebremst weiter. Habeck sollte sich an den Schlachtruf amerikanischer Liberal-Konservativer zur Zeit Ronald Reagans erinnern: „Starve the Beast!“ Nur indem Leviathan durch Entzug von Steuergeld auf Diät gesetzt wird, bekommt die Wirtschaft wieder Luft zum Atmen. Doch dazu fehlt den rot-grünen Ampelparteien Einsicht und Mut. Und das flackernde Gelb hält es mit Karl Valentin: „Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.“ 
 

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