Wohin mit Ihrem Geld? - Ein Jahr zum Lernen

Das Jahr 2022 werden viele aus finanzieller Sicht vergessen wollen. Unser Finanzkolumnist Daniel Stelter rät trotz roter Zahlen davon ab. Das vergangene Jahr sollten Anleger als Lektion für das kommende Jahrzehnt nutzen. Denn: Es wird nicht besser.

Daniel Stelter rechnet nicht mit einem hohen realen Wachstum der Wirtschaft im kommenden Jahrzehnt
Anzeige

Autoreninfo

Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Diskussionsforums „Beyond the Obvious“. Zuvor war er bei der Boston Consulting Group (BCG). Zuletzt erschien sein Buch „Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040“.

So erreichen Sie Daniel Stelter:

Anzeige

Ursprünglich sollte diese Kolumne den Titel „Ein Jahr zum Vergessen“ tragen. Trotz der Erholung an den Börsen im November werden viele Anleger wehmütig auf ihr Portfolio blicken. Außer bei den wenigen, die frühzeitig auf die Renaissance fossiler Energien gesetzt haben, dürften die roten Zahlen dominieren. Gleiches gilt für jene, die ihr Heil in Immobilien gesucht haben. Nach Jahren des Booms sind auch die Immobilienpreise seit Mitte des Jahres rückläufig. Weitverbreitet ist daher die Haltung, das Jahr zu vergessen und auf Besserung im Jahr 2023 zu hoffen.

Doch das wäre ein Fehler, denke ich. Statt 2022 zu vergessen, sollten wir daraus lernen. Gewissheiten, die noch vor einem Jahr nur von wenigen Investoren bezweifelt wurden, gelten nicht mehr. Die Inflation ist zurück, Zinsen können wieder steigen, Technologieaktien fallen und Gewinne von Unternehmen deutlich zurückgehen. Letzteres ist in diesem Jahr noch nicht auf breiter Front geschehen, dürfte aber das kommende Jahr bestimmen. Dann, wenn die Wirtschaft in die Rezession fällt.

Buy and Hold hat ausgedient

Wer glaubt, dass wir schon bald wieder zum Trend sinkender Zinsen und dauerhaft steigender Vermögenswerte zurückkehren, irrt. Vor uns liegt ein Jahrzehnt der Normalisierung von Vermögenswerten relativ zur Wirtschaftsleistung. Vor 40 Jahren lag der Wert der Vermögen in den westlichen Staaten bei rund dem Dreifachen der Wirtschaftsleistung. Mittlerweile hat sich diese Relation mehr als verdoppelt. Dies steckt hinter der zunehmenden Unzufriedenheit über die Vermögensverteilung, weil naturgemäß jene am meisten von dieser Entwicklung profitiert haben, die Vermögen besitzen. Getrieben wurde diese Entkoppelung durch die Verfügbarkeit immer billigerer Kredite. Nun, mit der Rückkehr der Inflation, ist eine Trendumkehr absehbar.

Die bevorstehende Annäherung der Vermögenswerte an die Wirtschaftsleistung kann auf zwei Wegen erfolgen. Entweder durch einen deutlichen Rückgang der Preise für alle Vermögensgegenstände. Oder aber durch ein stärkeres nominales Wachstum der Wirtschaft. Da ein deutlicher Preisrückgang bei Vermögenswerten sofort eine neue Finanzkrise auslösen würde – die Ausleihungen der Banken wären nicht mehr werthaltig –, spricht vieles dafür, dass Notenbanken und Staaten den zweiten Weg beschreiten: dauerhaft höhere Inflationsraten und unter der Inflation liegende Zinsen, um eine Entschuldung zu erleichtern.
Nominal mögen die Vermögenswerte deshalb am Ende dieses Jahrzehnts auf dem heutigen Niveau oder etwas darüberstehen.

Real deutlich tiefer. Die Strategie des Kaufens und Liegenlassens, die sich in den vergangenen Jahren bewährt hat, bedeutet den garantierten Verlust. Nun bin ich kein Freund des raschen Hin und Her, wie Stammleser der Kolumne wissen. Ich komme aber nicht umhin, eine mehr taktische Ausrichtung ins Auge zu fassen. Die Vermögenspreise werden in den kommenden Jahren deutlich schwanken. 

Inflation und Zinsen im Auf und Ab

Die Aussichten auf eine abnehmende Inflation und langsamere Zins­erhöhungen stehen hinter der jüngsten Erholung. Gehen die Gewinne im Zuge der Rezession zurück, werden die Märkte wieder korrigieren. Dann, wohl zur Jahresmitte 2023, werden die Inflationsraten deutlich tiefer liegen und die Zinsen wieder sinken, was einen neuen Aufschwung an den Märkten befeuert. Bevor die Inflation wieder anzieht und die Chance hat, neue Höchststände zu erreichen. 

Ein Blick auf die Entwicklung in den Jahren 1960 bis 1985 mag als Indikator für das dienen, was vor uns liegt. In mehreren Wellen erreichten Inflation und Zinsen Höchststände, immer wieder unterbrochen durch Zeiträume, in denen es so aussah, als hätte man das Problem im Griff. Starke Erholungen wechselten sich mit schmerzhaften Korrekturen ab. All dies in einem realen Abwärtstrend. 
Zumindest mit einem Teil des Vermögens sollte man diese erhöhte Volatilität nicht als Ärgernis, sondern als Chance sehen. 

 

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

Sie sind Cicero-Plus Leser? Jetzt Ausgabe portofrei kaufen

Sie sind Gast? Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige