Whatsapp und der Datenschutz - „Eine Serie von kleineren Dammbrüchen“

Sind die geänderten Nutzungsbedingungen beim Messengerdienst Whatsapp ein Dammbruch in Sachen Datenschutz? Im Interview erklärt Linus Neumann vom Chaos Computer Club, worin das Problem besteht und warum es so schwierig ist, Daten-Monopolisten wie Facebook zu zähmen.

Messengerdienst mit Methode: Whatsapp sammelt unsere Daten / dpa
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Linus Neumann ist einer der Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC). Sein Podcast Logbuch: „Netzpolitik“ widmet sich den gesellschaftlichen Spannungsfeldern der Digitalisierung.

Herr Neumann, nutzen Sie Whatsapp?

Nein.

Warum nicht?

Ich vermeide Dienste von Firmen, deren Geschäftsmodell darauf basiert, Daten, die ich ihnen liefere, zu monetarisieren. Da bezahle ich lieber Geld.

Nun hat der Nachrichtendienst für viel Wirbel gesorgt, weil der Mutterkonzern Facebook angekündigt hat, die Nutzungsbedingungen und seine Datenschutzrichtlinie zu ändern, um die beiden Dienste enger zu verknüpfen. Ist das ein Dammbruch in Sachen Datenschutz?

Ich würde eher sagen, das ist die Fortführung einer Serie von kleineren Dammbrüchen, mit denen der Damm langsam, aber sicher abgebaut wird. Überraschend ist das nicht. Facebook hat ja Whatsapp und Instagram gekauft, und das Geschäftsmodell von Facebook ist, zielgruppengenaue Werbung an Dritte zu verkaufen. Das funktioniert umso besser, umso mehr Facebook über die Nutzerinnen weiß. Zunächst hat Facebook zwar immer versprochen, dass diese Dienste unabhängig voneinander bleiben sollten. Aber schon vor zwei Jahren gab es dann die erste Ankündigung, dass Teile der verschiedenen Dienste vereinheitlicht werden. Jetzt soll das passieren, aber wie genau, das bleibt vage. Da heißt es dann: „Unter Umständen teilen wir Informationen über dich innerhalb unserer Unternehmensgruppe, um verschiedene Aktivitäten zu erleichtern, zu unterstützen und zu integrieren.“ Woanders steht dann aber, dass Whatsapp keine Daten weitergebe, in den FAQs aber wieder, dass das durchaus möglich ist.

Das heißt, die Änderungen geschehen bewusst durch die Hintertür.

Durch die Hintertür und in kleinen Schritten. Es ist auch Teil der Strategie, dass es nach der Ankündigung der Änderung immer zunächst einen Aufschrei gibt, auf den dann vom Konzern die Beruhigung erfolgt. Nach dem Motto: „Nein, nein, so schlimm ist es gar nicht.“

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Nun hat auch Tesla-Gründer Elon Musk empfohlen, wegen der Datenschutzänderungen zum Nachrichtendienst Signal zu wechseln. Der Empfehlung sind so viele gefolgt, dass Signal kurzzeitig keine Neuanmeldungen aufnehmen konnte. Sind Sie auch dabei?

Ja, ich bin auch bei Signal. Genauso wie Threema beruht deren Geschäftsmodell nur auf der Erbringung der Dienstleistung. Wobei Signal sogar eine gemeinnützige Stiftung ist, bei Threema muss man eine geringe Gebühr bezahlen. Das zeigt aber auch, wie wenig so eine Dienstleistung eigentlich kostet. So ein Messenger-Programm ist verhältnismäßig schnell gebaut, das ist keine Raketentechnologie. Tatsächlich benötigen diese Firmen nur Einnahmen in geringer Millionenhöhe, um stabil oder sogar profitabel zu sein. Facebook hat aber 2014 für Whatsapp 17,4 Milliarden Euro bezahlt, ein Unternehmen mit damals nur 60 Mitarbeitern. Der Grund für den hohen Preis waren vor allem die vielen Millionen von Nutzerinnen. Zwar wurden die Nachrichteninhalte bei Whatsapp kurz darauf verschlüsselt. Aber allein wer welche Kontakte hat und wie häufig mit wem kommuniziert, das war Facebook offenbar Milliarden wert – natürlich geht es hier auch um Marktführung, also zu verhindern, dass andere diese Daten haben.

Linus Neumann vom CCC / Luca Melette

Das schreckt aber offenbar kaum jemanden ab, Whatsapp zu nutzen. Wenn ich mal in mein Handy schaue, sind bestimmt 90 Prozent meiner Kontakte bei Whatsapp. Bei Signal oder Threema ist kaum jemand.

Trotzdem gibt es immer wieder Wellen, dass sich Leute dort abmelden, wie jetzt nach dem Aufruf von Elon Musk oder auch früher nach dem von Edward Snowden. Momentan denken viele noch, dass man es sich nicht erlauben kann, auf Whatsapp zu verzichten, weil praktisch alle dort sind. Aber wenn es weitere solcher Wellen gibt, kann irgendwann der Punkt kommen, dass eben das zum Beispiel auf Signal zutrifft.

Aber es gibt doch eine große Diskrepanz zwischen dem öffentlichen Klagen über den Verlust des Datenschutzes und den Konsequenzen daraus. Viele, die Facebook oder Whatsapp nutzen, haben ein diffuses Gefühl des Unbehagens, aber um sich abzumelden, reicht es offenbar nicht.
 
Erst einmal hat ein Konzern wie Facebook durch sein unglaubliches Kapital einfach eine große Macht hat, darauf zu reagieren, wenn Menschen sich von ihm wegbewegen. Whatsapp und Instagram sind ja die Paradebeispiele dafür. Als die Facebook ernsthafte Konkurrenz zu machen drohten – vor allem, weil sie bei jüngeren Generationen beliebter waren – hat Facebook sie einfach für enorm viel Geld gekauft. Und generell gibt es auch beim Datenschutz einen Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Was meinen Sie damit?

Schauen Sie sich andere Konflikte an, etwa beim Klimawandel oder bei der Ernährung. Wir fliegen durch die Welt und essen Fleisch aus Massentierhaltung, sagen aber, dass wir für Umwelt- und Tierschutz eintreten. Ähnlich ist es beim Datenschutz. Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn die Menschen erkennen, dass auch das ein gesellschaftliches Problem ist und nicht nur ein individuelles.

Inwiefern?

Wenn ich mich bei Facebook anmelde, gehe ich einen Deal ein. Ich erkläre praktisch entweder, dass ich dem Unternehmen vertraue, dass es mit meinen Daten schon nichts Schlechtes anstellt. Oder, dass ich meine Daten für so wertlos halte, dass ich sie hergebe, um einen praktischen Dienst zu erhalten, ohne Geld dafür bezahlen zu müssen.

Diese individuelle Perspektive greift aber viel zu kurz. Es geht nicht darum, was man persönlich zu verbergen hat oder nicht.

Entscheidend ist die gesellschaftliche Perspektive: Umso mehr Menschen bereit für diesen Deal sind, umso größer wächst der Datenschatz des Unternehmens, und dadurch bekommt es eine unheimliche Macht. Das ist vielen erst bewusst geworden im Zuge des Skandals um die Firma Cambridge Analytica und deren Rolle bei der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten 2016. Da haben viele gemerkt, dass zielgruppenorientierte Werbung eben genauso gut für politische Ziele eingesetzt werden kann wie für einen Schuhhändler. Was dabei auch klar wird: Selbst wenn ich als Einzelner mich gegen die Nutzung von Facebook oder Whatsapp entscheide, kann ich mich dadurch nicht deren Einfluss entziehen.

Können Sie das erklären?

Erst einmal laden andere Whatsapp-Nutzer, zu deren Kontakten ich gehöre, meine Telefonnummer trotzdem bei Facebook hoch. Und zweitens lebe ich in einer Welt, in welcher der größere Teil der Bevölkerung sich von Facebook beeinflussen lässt. Denn Werbung ist nichts anderes als Beeinflussung, und durch sein Wissen über die Nutzer bietet Facebook die effektivste Form davon.

Was kann man den dagegen tun? Es gibt ja politische Bestrebungen, die Monopole von Facebook und Google zu zerschlagen, andere schlagen vor, die Unternehmen zu verpflichten, alle Daten freizugeben.

Natürlich ist es erstrebenswert, Monopole zu zerschlagen, insbesondere, wenn sie das Potenzial haben, an den Grundfesten der Demokratie zu rütteln. Doch das effizient zu machen, ist sehr schwierig. Die Geschichte hat das gezeigt, etwa im Telekommunikationsbereich. Zumal Facebook und Google internationale Konzerne sind, die dadurch kaum zu fassen sind. Nicht umsonst hat Facebook seinen EU-Firmensitz in Irland, die dortige Datenschutzbehörde gilt nicht als besonders streng. Letztendlich können nur die Menschen selbst den Einfluss von Facebook etc. verringern, indem sie sich davon abwenden. Ich halte es für einen schlechten Deal, sich erstens der Beeinflussungsmöglichkeiten auszusetzen und zweitens zur Machtfülle dieser Konzerne beizutragen.

Das heißt, am besten folgen wir alle Elon Musk, verlassen Whatsapp und kommen zu Signal?

Tatsächlich wäre das eine vergleichsweise einfache Lösung für ein kollektives Problem. Beim Thema Klimawandel ist das viel schwieriger. Schon klar, dass die Welt nicht von heute auf Morgen aufhören könnte, Auto zu fahren oder zu fliegen. Aber eine App löschen und eine andere herunterladen, das kann man vielleicht schon schaffen.

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