Weltklimakonferenz in Madrid - Der große Klimahandel

Bei der Weltklimakonferenz müssen sich die Staaten auch mit dem heiklen Emissionsrechtehandel beschäftigen. Denn wer nicht genug für den Klimaschutz tut, kann sich freikaufen. Das bedeutet ein Milliardengeschäft – aber auch viel Raum für Betrug. Wie Firmen sich bereichern auf Kosten des Klimas

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Emissionen im Schiffverkehr / picture alliance
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Susanne Götze ist freie Journalistin aus Berlin. Seit 2002 schreibt sie über Umwelt- und Klimathemen. Foto: Christian Ender

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Verlässt man eine der wenigen betonierten Bundesstraßen Ugandas gen Süden, schwankt selbst der beste Geländewagen wie ein Schiff auf hoher See. Die Straßen sind unbefestigt und von starken Regenfällen zu Hohlwegen geformt, durchsetzt von unzähligen Rinnen und tiefen Schlammlöchern. Das ostafrikanische Land hat nur wenige asphaltierte Straßen – der Rest ist Abenteuer. Nur die letzten Kilometer führt eine Kiesstraße bis zu einem Dorf. Die hat Jam Atube William für seine Leute gebaut. Er war bis vor kurzem fast zwei Jahrzehnte lang Chairman, eine Art Gemeindevorsteher von Bukaleba und zwei anderen abgelegenen Dörfern, nahe dem riesigen Viktoriasee.

In Gummistiefeln, mit altem Hemd und Anglerhut wirkt William nicht wie ein Politiker. „Die Menschen hier brauchen das Land zum Überleben“, sagt er. Arme Leute seien es, oft Fischer, einige hätten Hühner, eine Kuh und bauten Gemüse an. „Seit über 30 Jahren warten wir auf das Land, das uns die Regierung nach der Vertreibung versprach – vergebens.“

Landgrabbing im Namen des Klimaschutzes

Die rund 3000 Dorfbewohner sind Opfer eines Klimaschutzprojekts geworden. Jedenfalls sehen sie das so. Obwohl sie nicht mal wissen, was Klimaschutz überhaupt sein soll. Viele können weder lesen noch schreiben, Auto fahren oder haben je ein Flugzeug bestiegen. Deshalb verstehen sie nicht, warum das norwegische Unternehmen Green Resource gerade hier seine Kiefernplantagen pflanzen und ihr Land wegnehmen muss. Von Landgrabbing sprechen Fachleute, wenn Konzerne Land in Beschlag nehmen, auf denen entrechtete Bauern leben.

Der Holzkonzern Green Resource pachtet nördlich vom Viktoriasee Zehntausende Hektar von der ugandischen Regierung und lässt dort seit den 1990er Jahren Bäume pflanzen. Mittlerweile sind die meisten Kiefern große und kräftige CO2-Speicher. Dafür bekommt der Konzern Geld. Dank des weltweiten Kohlenstoffmarkts, wo Emissionsrechte gehandelt werden. Green Resource generiert diese aus der Plantage – für jede Tonne CO2, die in den wachsenden Bäumen gespeichert wird, geht ein virtuelles Zertifikat an einen Handelsplatz. Der größte CO2-Kunde ist die schwedische Energieagentur SEA. Die Firma nimmt bis zu einer Million Dollar pro Geschäftsjahr zusätzlich ein, neben dem Export von Holz.

Denn die Bäume werden in der anliegenden Sägerei zu Produkten, die auf dem Weltmarkt verkauft werden. Ein Win-win-Geschäft: Erst mit dem Baum als CO2-Senker, dann als Brett oder Bohle. Die Dorfbewohner nördlich des Viktoriasees haben wenig von diesen Geschäften. Ihnen wurden die Landrechte aberkannt, als der Investor aus dem Norden kam. Wo früher ihre Tiere weideten, ihr Gemüse wuchs, stehen nun Kiefern. Die Bäume reichen bis an ihre Hütten.

Emissionsrechte lassen sich bequem online kaufen

Solche umstrittenen Klimaschutzprojekte finden sich überall auf der Welt. Und es werden mehr. Auch unter dem Dach des Pariser Weltklimaabkommens soll es die Möglichkeiten von CO2-Kompensation geben. Darüber verhandeln die 197 Staaten derzeit in Madrid auf der 25. UN-Klimakonferenz. Darüber, welche Kriterien und Regeln für den globalen Kohlenstoffmarkt gelten sollen, ist man sich aber noch uneins. Das Bundesumweltministerium spricht auf Anfrage von einer „schwierigen Verhandlungslage“. Man ringe um die bestmögliche Lösung bei einem „technisch hochkomplexen Thema“.

Dabei existieren die Handelsplätze seit rund 15 Jahren. Und ihre Bedeutung nimmt zu. Denn viele Regierungen, Unternehmen und Verbraucher in Industrieländern wollen ihre Emissionen runterfahren, aber ungern aufs Fliegen, Autofahren oder bestimmte Produkte verzichten. Mit CO2-Zertifikaten aus Klimaschutzprojekten können sie ihre „Klimaschuld“ wettmachen. Sie können die virtuellen Emissionsrechte bequem online an Marktplätzen und Strombörsen kaufen. Viele stammen aus Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern, weshalb sie auch Offsets (zu Deutsch Ausgleich/Verrechnung) genannt werden.

Deutschland kauft russische Zertifikate

Nicht alle Projekte sind sozial und ökologisch fragwürdig. Aber der Kohlenstoffmarkt ist jung und anfällig für Greenwashing, das Vortäuschen von ökologischem Nutzen. Dabei werden die Projekte umständlich und mit viel Bürokratie begutachtet. Das Bukaleba-Projekt in Uganda etwa hat ein FSC-Gütesiegel und die Nachbarplantage Kaschung – ebenfalls von Green Resource – trägt sogar ein UN-Siegel: Es ist ein CDM-Projekt (Clean Development Mechanism).

Seit 2005 gibt es den von der UN geschaffenen Handel mit Emissionsrechten, das Offsetting. Es stammt noch aus dem Kyoto-Protokoll, dem Vorgänger des Pariser Weltklimaabkommens von 2015. Die CDM-Zertifikate, auch CERs genannt, können sich Firmen anrechnen lassen, die in der EU zum Emissionshandel verpflichtet wurden. Wenn etwa große Kohlekraftwerksbetreiber oder Zementfabriken ihre gesetzlich festgelegte Höhe des CO2-Ausstoßes überschreiten, können sie das kostengünstig ausgleichen. Diesen Handel gibt es auch zwischen Industrieländern, etwa russische Klimaschutzprojekte, deren Zertifikate Deutschland kauft.

Das Kyoto-Protokoll läuft aus

Neben umstrittenen Waldprojekten wie in Uganda gibt es auch sinnvolle Einsparprojekte im Bereich Energieeffizienz und erneuerbare Energien: Beispielsweise Biogasanlagen, Windkraftwerke, Energie aus Wasserkraft oder holzsparende Öfen. Laut Bundesumweltministerium sind die CDM-Projekte sogar die transparentesten Projekte überhaupt. Aber es gibt auch einen privaten Kompensationsmarkt, der nur von NGOs oder privaten Gutachtern kontrolliert wird. Dieser ist noch anfälliger für Betrug. Dort kaufen Firmen, die nicht vom Emissionshandel erfasst sind, aber über freiwillige Kompensation Emissionen senken und CO2-neutrale Produkte verkaufen wollen. Die meisten der Waldprojekte in Uganda sind solche, die nicht von der UN kontrolliert werden. Dieser private Kohlenstoffmarkt ist schon heute viel größer als der UN-Markt. Allein 2017 wurden laut Branchenberichten 63 Millionen Zertifikate gehandelt.

Dennoch sind die von der UN zertifizierten Projekte wichtig für Regierungen und den nationalen CO2-Handel. Da das Kyoto-Protokoll nächstes Jahr vom Pariser Weltklimaabkommen abgelöst wird, muss ein neuer UN-CO2-Handel her. Darüber verhandeln die Staaten auf der im Dezember stattfindenden UN-Klimakonferenz in Madrid. Während die meisten Punkte des Abkommens geklärt sind, ist die Zukunft der Offsets noch völlig unklar.

Der Klimanutzen der Projekte ist fragwürdig

Lambert Schneider sitzt seit sieben Jahren im CDM-Board, das den Kyoto-„Marktmechanismus“ überwacht. Er ist einer der Kontrolleure des UN-Zertifikatehandels und trifft sich mit seinen 20 Kollegen dreimal im Jahr im UN-Hauptquartier in Bonn oder im Vorfeld der UN-Klimakonferenzen. In den vergangenen Jahren hatten die CDM-Wächter aber kaum mehr etwas zu beaufsichtigen, weil die Papiere dramatisch an Wert verloren. Heute geht es mehr um die Abwicklung als die Kontrolle des CDM-Marktes.

Während der Verkauf von CO2-Rechten am privaten Markt in den letzten Jahren geradezu explodiert ist, werden UN-Papiere an der Leipziger Strombörse als Green Certified Emission Reductions, kurz CERs, für nur noch 17 Cent gehandelt – ganz im Gegensatz zu den EU-Emissionsrechten, die nun bei rund 25 Euro liegen. Der Grund: Die am Emissionshandel beteiligten Unternehmen erhielten zu viele Zertifikate und waren nicht mehr auf die CERs angewiesen. Außerdem gab es zu viele Klimaschutzprojekte, räumt CDM-Experte Schneider ein. Er hat kein Problem damit zuzugeben, dass in den letzten 15 Jahren nicht alles rundlief. Nicht nur der niedrige Preis ist ein Desaster, auch der Klimanutzen der Projekte müsse künftig strenger begutachtet werden: „Ein wesentlicher Schwachpunkt war die fragwürdige Zusätzlichkeit vieler Projekte“, sagt er heute. Viele der technischen Nachrüstungen oder der Zubau erneuerbarer Energien seien eh in Planung gewesen – mit oder ohne Emissionsrechtehandel. Einige Betreiber hätten sich so eine zweite Einnahmequelle geschaffen – dem Klima war so aber nicht geholfen, weil die Projekte ja bereits zu viel ausgestoßene Emissionen durch zusätzliche Projekte wieder auffangen sollen.

CO2-Bilanzen schönrechnen

Dieses Schlupfloch nutzen viele Firmen aus, um sich zu bereichern: Erstmals gab es 2010 einen Skandal um sogenannte Fake-Zertifikate aus China, mit denen sich europäische Unternehmen ihre CO2-Bilanz schönrechneten. Damals machten die am Betrug Beteiligten damit Kasse, dass sie ohnehin geplante Einsparungen als zusätzliche Maßnahmen verbuchten oder gar als problematisch einzustufende Gase wie Fluoroform (HFC-23) und Schwefelhexafluorid (SF6) produzierten, um sie dann gewinnbringend einsparen zu können. Das wiederholte sich 2015 – dieses Mal mit Millionen Zertifikaten aus russischen und ukrainischen Klimaschutzprojekten. Dabei ging es auch um die Nutzung von Begleitgasen aus der Erdölförderung in Russland – die wurden schon vor langer Zeit umgesetzt, haben sich aber erst Jahre später als Projekte registrieren lassen.

Auch mit den 14 Waldprojekten, die derzeit unter dem CDM-Mechanismus zugelassen sind, hadert CDM-Wächter Schneider, weil hier dauerhafte CO2-Einsparung nur schwer nachweisbar sei: „Wenn ich heute Wald schütze und er morgen trotzdem gerodet wird, habe ich die Emissionen zeitlich verschoben, aber nicht dauerhaft vermieden.“ Er sehe es deshalb kritisch, diese Aktivitäten künftig in den internationalen Kohlenstoffmarkt einzubeziehen. Das Auslaufen der Offsets wie CDM sieht er als eine Chance, es besser zu machen. Denn grundsätzlich helfen technische Verbesserungen und erneuerbare Energieprojekte dem Klima – und genau darum solle es beim Weltklimaabkommen gehen.

Bäume pflanzen kommt gut bei Kunden an

Der Nachfolger des CDM wurde unter Artikel 6.4 des Pariser Übereinkommens bereits 2015 vereinbart. Experten wie Schneider gehen davon aus, dass die Offsets zumindest „ähnlich ausgestaltet werden“. Das Umweltministerium verhandelt seit Jahren federführend zu den neuen Marktmechanismen. Für die Verhandler gebe es aber eine entscheidende Neuheit, heißt es aus dem BMU: „Offsetting unter dem Paris-Abkommen dient zuallererst dazu, Emissionen noch weiter abzusenken, als bislang geplant“, so ein Sprecher. Weil die freiwilligen Klimaziele, die sich die 197 Staaten gegeben haben, nicht ausreichen, müssten sie in den nächsten Jahren ohnehin nachlegen. Dabei könnten die Offsets helfen. Neue Betrugsfälle, aber auch so genannte Doppelzählungen müssten verhindert werden. Immerhin müsse geklärt werden, wer sich am Ende die Tonnen gemindertes CO2 anrechnet: Käufer oder Verkäufer. Im Falle von Uganda wäre die Frage, ob sich das Land die Aufforstung in seinen Klimaschutzplan schreibt oder die schwedische Energieagentur sich ihre Klimabilanz schönrechnet.

Langfristig könnte das Offsetting durch einen globalen CO2-Preis abgelöst werden, glauben Experten. Dann würden solche Projekte überflüssig. In den nächsten Jahren könnte es aber noch mal zu einem Offset-Boom kommen, so CDM-Experte Schneider. Grund ist die Nachfrage nach Offsets durch Fluggesellschaften. Die müssen laut einer internationalen Vereinbarung ab 2020 mit einer Übergangsfrist einen Teil ihrer Emissionen ausgleichen. Die setzen auf Waldprojekte wie in Uganda – auch weil das Marketing gut funktioniert. Bäume pflanzen kommt bei Kunden gut an. Und es erklärt sich leichter als etwa ein holzsparender Ofen oder eine Biogasanlage.

Unternehmen bereichern sich auf Kosten des Klimas

Langsam spricht sich aber auch in Europa herum, dass Holzplantagen in Afrika soziale und ökologische Nebenwirkungen haben. Nachdem Wald als CO2-Senker sich in Europa lange Zeit als „gutes Projekt“ verkaufte, fror die schwedische Energieagentur die Zahlungen an Green Resource vor einigen Jahren ein. Begründung: Solange die Firma sich nicht mit den sozialen Konflikten auseinandersetze, werde kein Geld fließen.

Vor einigen Monaten aber nahm sie den Kauf wieder auf, zahlte rund eine Million Euro an den Holzplantagen-Riesen Green Resource. Die Agentur rechtfertigte sich auf ihrer Webseite: Das Unternehmen habe nun ausreichende Verbesserungen für die Menschen unternommen. Lokale und internationale NGOs wie das Oakland Institute zweifeln daran. Der Streit zeigt, wie wichtig es ist, in Madrid strenge Regeln zu beschließen. Ohne strenge Kontrollen könnte der Kohlenstoffmarkt durch weitere Skandale erschüttert werden. Noch mehr Skandale, bei denen sich Unternehmen auf Kosten des Klimas bereichern oder Menschenrechte verletzen, schaden allen Klimaschutzprojekten.

Dieser Text ist in der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

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