Wann kommt der Corona-Impfstoff? - „Die Pandemie ist erst vorbei, wenn sie überall vorbei ist“

Schneller als von vielen gedacht, schreiten die Erfolge der Corona-Impfstoff-Forschung voran. Doch das Tempo hat seine Tücken. Selbst, wenn der Impfstoff kommt und Risiken beherrschbar sind, bedeutet dies noch lange nicht das Ende der Pandemie, sagt Rolf Hömke vom Verband forschender Arzneimittelhersteller.

Wann kommt der Corona-Impfstofff / dpa
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Autoreninfo

Susanne Donner ist freie Journalistin und schreibt zu Themen aus Medizin, Gesellschaft und Ökonomie.

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Rolf Hömke ist zuständig  für die Pressearbeit zu Medizin, Forschung, Biotechnologie, Arzneimittelsicherheit, Medikamenten für Entwicklungsländer beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA).

Herr Hömke, mittlerweile befinden sich 11 von 224 Impfstoffprojekten in der letzten und entscheidenden Impfstoffstudie mit Menschen (klinische Phase III). Sie sind Forschungspressesprecher des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (VfA). Wie beurteilen Sie die Situation?
Dieses Tempo hätten wir Anfang des Jahres nicht erwartet. Die Unternehmen haben sich alle selbst überboten. Und auch die Arzneimittelbehörden und die Ethikkommissionen haben Großes geleistet. Denn jede Studie muss genehmigt werden, was normalerweise einige Wochen in Anspruch nimmt. Bisher konnte auf eine Studie praktisch nahtlos die nächste folgen.

Nun berichtete das Unternehmen BioNTech, dass sein Impfstoff zu 95 Prozent schütze. Wenige Tage zuvor meldete das US-Unternehmen Moderna eine Wirksamkeit seines Kandidaten von 94,5 Prozent. Was sagen uns diese Zahlen – Grund zur Freude?
Die Zahlen sind Ergebnis von Auswertungen der laufenden Zulassungsstudien. Um es am Beispiel von BioNTech zu erklären: Ein Teil der 43.000 Probanden hat die echte und ein anderer Teil die Scheinimpfung bekommen. In der Auswertung hat man gesehen, dass die allermeisten Infektionen bei Schein-Geimpften und nur wenige bei Geimpften auftraten. Man kann schließen: 95 Prozent der möglichen Infektionen wurden bei den echt Geimpften verhindert.

Rolf Hömke / VfA

Wie gut wäre denn ein Schutz von 95 Prozent verglichen mit bekannten Impfstoffen?
Bei Masern und Mumps erreichen Impfstoffe eine Wirksamkeit zwischen 93 und 99 Prozent. Deutlich schlechter sind die Influenza-Impfstoffe, im schlechtesten Fall mit 25 Prozent, im letzten Jahr aber mit 70 Prozent. Die Schwankungen liegen daran, dass der Grippeimpfstoff zu jeder Saison an neue Virenstämme angepasst und frisch hergestellt wird.

Aktuell kursieren den Genetikern zufolge mindestens 15 unterschiedliche Subtypen von SARS-CoV-2 und jüngst erfuhren wir von einer neuen bedenklichen Variante in Nerzen. Müssen SARS-CoV-2-Impfstoffe auch fortlaufend saisonal angepasst werden?
Die Variabilität bei SARS-CoV-2 ist deutlich geringer als bei Grippeviren. Im Moment können wir davon ausgehen, dass ein Impfstoff alle Subtypen abdeckt. Aber das muss man genau beobachten.

Die Erfolgskandidaten von BioNTech und Moderna beruhen auf einer ganz neuen Technologie, von der es bisher keinen einzigen Impfstoff gibt. Wie funktioniert diese?
Bei traditionellen Impfstoffen war es immer so, dass man etwas aus dem Erreger in den Impfstoff gepackt hat, was dann als Fremdstoff (Antigen) das Immunsystem wachgerüttelt und den Aufbau des Impfschutzes ausgelöst hat. Sechs Impfstoffe in Erprobung, darunter die von Moderna und den deutschen BioNTech/Pfizer und CureVac arbeiten mit messengerRNA, kurz: mRNA. Da verlagert man die Produktion des Fremdstoffs in den Körper hinein. Die mRNA dient als Bauanleitung dafür. Sie kommt geeignet verpackt in die Zellen hinein. Dann stellen die Zellen auf Basis dieser Bauanleitung den Fremdstoff her - konkret das Spike-Protein der Viren.

Werden wir dann zeitlebens zur Fabrik eines Virusproteins? Ist das nicht riskant?
Man weiß, dass die Produktion nur vorübergehend stattfindet. Alle menschlichen Zellen haben ja zwei Typen von genetischem Material: Die DNA ist sozusagen unsere Bibliothek, die auf Dauer angelegt ist. Die mRNA indes ist flüchtiger Natur, nur die Abschrift eines Stücks DNA. Sie wird als Bauanleitung benutzt und dann geschreddert. Das macht eine Zelle ständig mit ihren mRNAs; und so auch mit der Impf-mRNA. Das Risiko, dass sich unsere Zellen dauerhaft verändern, ist gering.

Warum konnten mehrere Unternehmen mit diesem Ansatz Erfolge vermelden, obwohl er bisher erfolglos war?
Ein Vorteil dieser Technologie ist, dass sie sich rasch an einen neuen Erreger anpassen lässt. Als China die Gensequenz des Virus veröffentlichte, konnte man in den Firmen sofort den Impfstoff designen. Auch braucht man vergleichsweise wenig Material für einen Impfstoff. Bei den anderen Technologien muss man zum Teil viel größere Mengen herstellen. Dadurch konnten die Unternehmen schnell viele Impfdosen produzieren, um in die entscheidenden Zulassungsstudien zu gehen.

Warum haben wir dann bisher keinen einzigen mRNA-Impfstoff?
Eine gute Idee ist noch kein funktionierendes Verfahren. Man hat viele, viele Jahre gebraucht, um es praxistauglich zu machen. Eine besonders große Hürde war: mRNA alleine dringt in keine Zelle. Kleine speziell designte Lipidbläschen (Lipid = Fett) schützen sie und befördern sie nun auch in die Zellen hinein. Für diese Schutz- und Transportsysteme hat jedes Unternehmen seine eigene Rezeptur. Das ist wirklich tricky.

Welcher Impfstoff wird am Ende gewinnen?
Impfstoffe müssen sich in mehrerlei Hinsicht bewähren. Zum einen in der Verträglichkeit. Aber sie müssen auch wirksam sein, also einen Krankheitsausbruch verhindern können. Dann müssen sie hinreichend lange wirken. Das wissen wir momentan noch von keinem Impfstoff. Und dann hofft man, dass der Impfstoff obendrein dafür sorgt, dass der Geimpfte nicht doch die Erreger weitergibt, auch wenn er symptomfrei bleibt. Im Moment können wir nicht sagen, welcher Kandidat besser ist als ein anderer.

Und die Frage der Nebenwirkungen ist ja auch noch offen.
Es sind nun viele zehntausend Menschen mit dem einen oder anderen SARS-CoV-2-Impfstoff geimpft worden. Bis jetzt haben wir aus keiner Studie von problematischen Nebenwirkungen gehört. Aber sämtliche Nebenwirkungen müssen den Zulassungsbehörden mitgeteilt werden und werden später auch veröffentlicht.

Nebenwirkungen würde man doch erst nach längerer Zeit und an einer großen Zahl an Probanden bemerken.
Es gibt die klassischen Impfreaktionen: Rötungen der Einstichstelle, Verhärtungen, Schmerzen im Arm, einen halben Tag Fieber. Das kennt man von anderen Impfstoffen, das ist harmlos. Die Erfahrung hat gezeigt, wenn andere Nebenwirkungen auftreten, dann meist nicht später als in den ersten zwei Monaten nach der Impfung. Deshalb hat die amerikanische Zulassungsbehörde Nachbeobachtungsdaten über zwei Monate verlangt. In Deutschland wird überlegt, ob eine App für Geimpfte entwickelt wird, damit sie verdächtige Effekte melden können.

Was für Effekte könnten das denn sein?
Außer den üblichen? Man weiß es letztlich nicht. Wenn, dann wären es völlig unerwartete Effekte in einem Organsystem. Ein Intensivmediziner, übrigens Cicero-Leser, sagte mir: „Ich hoffe, dass uns dieses unglaubliche Tempo nicht auf die Füße fällt.“

Was antworten Sie ihm?
Das Tempo basiert zum Teil auf dem guten Vorwissen von verwandten Erregern. Es war von Anfang an klar, dass ein bestimmtes Eiweiß in dem Coronaerreger, das Spike-Protein, eine Immunantwort gegen das Virus auslöst. Daher zielen jetzt fast alle Impfstoffprojekte auf dieses Eiweiß. Und dann war die Beschleunigung vor allem organisatorischer Art. Während die Tierversuche noch liefen, wurden schon die Anträge auf eine erste klinische Studie mit Menschen geprüft. Während dieser schon der nächste Antrag, und so weiter. Aber man hat keine halben Sachen gemacht: Bisher sind Impfstoffstudien selten mit mehreren 10.000 Probanden gemacht worden. Man hat die Studien sehr groß dimensioniert, um sich schnell Klarheit über seltene Nebenwirkungen zu verschaffen. Natürlich auch, um schnell eine Schutzwirkung zu erkennen.

In den USA soll es noch in diesem Jahr eine Schnellzulassung für einen Impfstoff geben. In China kann medizinisches Personal schon im Rahmen eines Notfallprogramms nicht zugelassene Impfstoffkandidaten bekommen. Kommt die EU zuletzt und zu langsam an einen Impfstoff?
Was die EU macht, ist die maximal mögliche sinnvolle Beschleunigung. Drei Unternehmen sind in einem sogenannten Rolling-Review-Verfahren der Europäischen Arzneimittelagentur. Dabei haben sie einige Kapitel ihres Zulassungsantrags schon vorab eingereicht, und diese werden prioritär bearbeitet. Treffen dann die abschließenden Studiendaten ein, braucht deren Prüfung nicht mehr lange. Die Bevölkerung erwartet von einem Impfstoff zuallererst, dass er sicher ist und dann, dass er schützt. Wenn ein Staat aber schon impft, wenn man beides noch nicht sicherstellen kann, dann sät er Misstrauen. Und wenn sich so eine Impfung nicht bewähren sollte, dann hat man wirklich jedes Vertrauen verspielt – in Impfungen gegen Covid-19 und gegen andere Krankheiten auch gleich noch mit.

Nach der Zulassung bricht im kommenden Jahr der Verteilungskampf aus, so suggeriert es ein Worst-Case-Szenario. Denn das Nadelöhr sind die erforderlichen Produktionsmengen von Milliarden Impfdosen. Wie real ist dieses Szenario?
Die Firmen haben erkannt, dass sie sehr schnell sehr große Mengen werden produzieren müssen. Sie haben erstens ihre eigenen Kapazitäten angepasst. Sie haben zweitens nach Zulieferern geschaut, die bestimmte Herstellungsschritte übernehmen können. Drittens haben sie mit Herstellern Kontakt aufgenommen, die die Produktion des Impfstoffs in Lizenz beispielsweise in Indien und China übernehmen können. Man versucht, das Nadelöhr so weit es geht aufzuweiten.

Und wird es 2021 schon einen Impfstoff geben, nicht nur für Risikogruppen und Ärzte, sondern auch für alle anderen Menschen?
Es sieht doch so aus, dass wir 2021 mehrere Impfstoffe bekommen könnten. Wir sind optimistisch, dass eine Reihe von Herstellern große Mengen an Impfstoffen bereitstellen und wir im nächsten Jahr die Pandemie wirklich bevölkerungsweit zurückdrängen können. Aber die Pandemie ist erst vorbei, wenn sie überall vorbei ist. Das wird dauern. Zuerst werden medizinisches Personal, chronisch Kranke und Senioren, dann Menschen in systemrelevanten Berufen, etwa die Feuerwehr usw., geimpft. Also, bis die Pressesprecher dran sind, dauert es noch ein bisschen.

Das Interview führte Susanne Donner

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