Streit um Waffenexporte - Deutsche Rüstungsindustrie will EU-Nachhaltigkeitssiegel

Soll Deutschland die Ukraine mit Waffen unterstützen? Hans Christoph Atzpodien, Cheflobbyist der deutschen Rüstungshersteller, hält sich aus dieser Debatte heraus. Stattdessen fordert er, dass die EU nach der Atomkraft auch seine Branche für nachhaltig erklärt.

„Alle Dinge, die mit Sicherheit und Frieden in Europa zu tun haben, sind nachhaltig gut“: Bundeswehr-Panzer auf dem Weg nach Litauen / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Dr. Hans Christoph Atzpodien ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.

Herr Atzpodien, die Ukraine bittet um Waffen aus Deutschland. Die Bundesregierung lehnt dies bislang ab und will nur Schutzhelme liefern. Was sagt die deutschen Rüstungsindustrie dazu? 

Unsere Haltung in solchen Fragen ist immer: Es gibt einen klaren Primat der Politik. Die Bundesregierung entscheidet, die Industrie ist an dieser Entscheidungsfindung nicht beteiligt. Das haben wir seit jeher akzeptiert.

Wenn sich die Bundesregierung doch noch dazu durchringen könnte, die Ukraine mit Waffenlieferungen zu unterstützen, stünden Ihre Mitgliedsunternehmen parat?

Für den Export von Rüstungsgütern, insbesondere Kriegswaffen, in Länder außerhalb der Nato oder der EU gibt es klare Grundlagen. Sie besagen, dass allein die Bundesregierung nach ihren außen- und sicherheitspolitischen Maßgaben darüber entscheidet. Die Industrie ist dann nur der ausführende Teil, aber nicht derjenige, der die Initiative ergreift. 

Wie würde das laufen? Kommt die Regierung mit der Wunschliste eines Partnerlandes auf die Industrie zu?

Dr. Hans Christoph Atzpodien / BDSV

Das ist unterschiedlich. Es kann den Fall geben, dass die Regierung selbst aktiv wird, weil sie ein bestimmtes Ziel verfolgt. Dann kann auch bereits vorhandenes Material verkauft werden, zum Beispiel aus den Beständen der Bundeswehr. So lief es etwa bei den Waffen für die Perschmerga im Irak.

Dann gibt es den anderen Fall, dass wir als Industrie oder einzelne Unternehmen von ausländischen Regierungen angefragt werden, ob wir beispielsweise eine Kriegswaffe liefern können. Wir stellen dann eine sogenannte Voranfrage an die Bundesregierung. Das ist ein informelles Verfahren, das sehr vertraulich abläuft.

Erst wenn wir daraufhin ein positives Signal von der Bundesregierung erhalten, können wir einen formellen Antrag auf eine sogenannte Herstellgenehmigung stellen. Und erst wenn diese vorliegt, kann ein Vertrag geschlossen werden. Der dritte Schritt ist dann die tatsächliche Ausfuhrgenehmigung. 

Jeder Rüstungsexport aus Deutschland ist also immer von der Bundesregierung gewollt, sonst findet er nicht statt?

Das ist beim Export von Kriegswaffen ganz dezidiert so. Denn darüber wird in der Regel im Bundessicherheitsrat entschieden. Bei Exporten, die in Mitgliedsländer der EU oder der Nato gehen, läuft das relativ unbürokratisch. Aber wenn es um Gebiete außerhalb von EU und Nato geht, sind die Hürden hoch. Nur wenn die Bundesregierung außen- oder sicherheitspolitische Gründe für einen solchen Export sieht, wird sie ihr Okay geben.

Über diese Gründe redet sie aber kaum. Die Sitzungen des Bundessicherheitsrats sind geheim. Entsteht dadurch ein schiefes Bild in der deutschen Öffentlichkeit?

Ja, leider. In anderen Ländern reden die Regierungen mehr darüber, weshalb sie bestimmte Exporte genehmigt haben. Es wäre hilfreich für uns, wenn die Bundesregierung über ihre außen- oder sicherheitspolitischen Motive sprechen würde, die den Entscheidungen des Bundessicherheitsrats zugrunde liegen. Zum Beispiel bei Exporten in den Nahen Osten. Dass Deutschland etwa das ägyptische Militär beliefert, hat nach unserer Wahrnehmung damit zu tun, dass man die gesamte Region stabilisieren will, auch im Interesse unseres engen Partners Israel.

Wenn die Regierung darüber etwas mehr reden würde, könnte das helfen, eine breitere Akzeptanz in der Öffentlichkeit für diese Entscheidungen zu erreichen. So entsteht der Eindruck, es gehe nur um die wirtschaftlichen Interessen der Industrie. Die sind nach den „Politischen Grundsätzen“ der Bundesregierung aber explizit als Motiv für die Genehmigung ausgeschlossen.

SPD und Grüne sind beim Thema Waffenexporte grundsätzlich zurückhaltend. Befürchten Sie, dass es unter der Ampel-Regierung schwieriger wird für die deutsche Rüstungsindustrie?

Es ist davon auszugehen, dass gerade Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in sogenannte Drittländer unter der neuen Regierung nochmals restriktiver gehandhabt werden. Aber auch diese Regierung wird sich den realpolitischen Herausforderungen stellen müssen. So hat auch die jetzige  Regierung erklärt, dass sie die Politik von Kanzlerin Merkel gegenüber Israel fortsetzen möchte. Insofern warten wir ab, was passiert.

Vor einem anderen Problem haben Sie kürzlich in Bild gewarnt: Deutsche Hersteller von Rüstungsgüstern bekämen zunehmend Schwierigkeiten mit Banken und Investoren. Weshalb?

Die EU-Kommission will im Rahmen des sogenannten Green Deals den privaten Finanzsektor dazu bringen, die Transformation der Realwirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit voranzutreiben. Nur gibt es auf die Frage, was nachhaltig ist und was nicht, noch keine vollständig festgelegten Standards, sondern sehr unterschiedliche Sichtweisen. Und deswegen neigen viele Banken dazu, den gesamten Rüstungsbereich heute schon aus ihrem Portfolio auszusondern.

Wir erleben derzeit, dass Unternehmen, die die Bundeswehr oder andere verbündete Nato-Streitkräfte beliefern, für diese Geschäfte keine Bankgarantien von namhaften deutschen Banken mehr bekommen. Manchen Unternehmen wurde sogar die Kontoverbindung gekündigt, weil sie die Bundeswehr beliefern und dies angeblich nicht nachhaltig sei.

Was ist denn das angebliche Nachhaltigkeitsproblem? Dass Panzer mit Diesel fahren und zu viel CO2 ausstoßen? 

Nein, das ist nicht das primäre Thema. Auch können die Unternehmen selbst so viel für eine klimaschonende Produktion tun, wie sie wollen. In den Augen des Finanzmarktes nützt ihnen dies nichts, denn sie stellen ja Rüstungsgüter her. Und die sind in den Augen vieler Banken per se nicht nachhaltig.

Das Problem ist: Die Banken müssen Berichte darüber schreiben, wie nachhaltig das eigene Kundenportfolio ist. Da es dafür aber noch keine klaren Kriterien gibt, machen sie sich das Leben einfach und sagen: Dann verzichten wir auf alle Kunden, die irgendetwas mit Rüstung oder mit Waffen zu tun haben, egal welchen Zweck sie dienen, auch wenn sie unsere Bundeswehr und unser Polizei mit der nötigen Ausrüstung versorgen. 

Deshalb forden Sie jetzt, dass die EU nach der Atomkraft auch die heimische Waffenindustrie für nachhaltig erklärt. Also ein Nachhaltigkeitssiegel für Schützenpanzer und Sturmgewehre?

Na ja, ganz so einfach ist das nicht. Die EU-Kommission will Nachhaltigkeit auch unter sozialen Gesichtspunkten verstehen. Der Begriff der sozialen Nachhaltigkeit ist aber noch viel unschärfer definiert als der im Umweltbereich. Es werden Themen wie der Zugang zu Wasser, Nahrung und Bildung dazugezählt. Aber leider wird das fundamentale Thema Sicherheit und Frieden bisher ausgeblendet.

Auf der einen Seite will Europa militärisch eigenständiger werden, auf der anderen Seite werden den Firmen, die unsere Streitkräfte und Sicherheitsorgane ausrüsten, die finanziellen Grundlagen entzogen. Das passt nicht zusammen. Die Kommission muss ein klares Zeichen setzen und dem Finanzsektor sagen: Alle Dinge, die mit Sicherheit und Frieden in Europa zu tun haben, sind nachhaltig gut, vor allem auch die Ausrüstung unserer Sicherheitsorgane, die ja Sicherheit und Frieden in Deutschland und Europa gewährleisten

Das müsste dann wohl im Rahmen der EU-Taxonomie geschehen, mit der auch die Atomenergie für nachhaltig erklärt wird. Vor allem Frankreich hatte sich dafür stark gemacht. Bekommen Sie eine ähnliche politische Unterstützung von der deutschen Regierung?

Unser Eindruck ist, dass sich Teile der Bundesregierung mittlerweile dieses Problems bewusst sind, insbesondere die Verteidigungsministerin. Aber wir haben noch nicht den Eindruck, dass wir tatsächlich einen Durchbruch geschafft haben, vor allem in der öffentlichen Debatte.

Dabei sind Sicherheit und Frieden elementare öffentliche Güter, die wir als Basis von Nachhaltigkeit verstehen müssen. Ohne Sicherheit und Frieden wird es auch keinen Zugang von Menschen zu Wasser, Nahrung, Bildung oder Gesundheitsversorgung geben. Und deswegen muss all das, was der Erhaltung von Sicherheit und Frieden in Europa dient, als Beitrag zur Nachhaltigkeit anerkannt werden. 

Wobei man in der deutschen Öffentlichkeit unter Sicherheit und Frieden eher etwas versteht, das sich mit Blümchen im Haar und Lichterketten herstellen lässt statt mit Waffen. 

Damit wären wir wieder beim Thema Ukraine angelangt. Wir werden im Moment auf eine etwas unsanfte Weise dafür sensibilisiert, dass auch in unserer nächsten Umgebung Sicherheit und Frieden nicht selbstverständlich sind. Das sollte uns zu denken geben.

Alle europäischen Politiker reden darüber, dass wir um uns herum eine wesentlich schwierigere und gefährlichere Bedrohungslage haben als noch vor ein paar Jahren. Und alle wissen, dass wir uns dafür wappnen müssen und  unsere Verteidigungsfähigkeit verbessert werden muss. Vielfach ist von mehr Resilienz und von mehr europäischer Autonomie und Souveränität die Rede.

Wie man in einer solchen Zeit der Industrie, die insbesondere für die Ausrüstung unserer Streitkräfte da ist, gleichzeitig die finanzielle Grundlage entziehen kann, das erschließt sich mir nicht. Unser Wunsch ist also, dass die Politik dem privaten Finanzmarkt hier entsprechend den Weg weist.

Das Gespräch führte Daniel Gräber.

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