VW-Dieselskandal - „Gewinne privatisieren und Schäden solidarisieren?“

Die Verbraucheranwälte von Myright vertreten 45.000 VW-Kunden im Dieselskandal und wollen den vollen Kaufpreis erstreiten. Heute haben sie vorerst verloren. Jetzt ziehen sie vor den Bundesgerichtshof, notfalls vor den Europäischen Gerichtshof. Ein Gespräch über die Erfolgschancen

Vorerst verloren: Im VW-Dieselskandal hat das OLG Braunschweig eine Klage abgewiesen / picture alliance
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Jan-Eike Andresen ist Rechtsanwalt und Mitgründer des Rechtsdienstleisters Myright. Zuvor hatte er das Europageschäft des Fluggastrechte-Dienstleisters Flightright aufgebaut.

Herr Andresen, nach Ihrer heutigen Niederlage im Dieselprozess gegen Volkswagen vor dem OLG Braunschweig kündigen Sie an, in Revision zu gehen und ziehen vor den Bundesgerichtshof (BGH). Worum geht es Ihnen?
Es geht um die Frage, ob Volkswagen verpflichtet ist, den Menschen in Deutschland, die vom Dieselskandal betroffen sind, den Kaufpreis gegen Rücknahme des Autos zu erstatten. Sollte das Auto schon verkauft sein, natürlich unter Anrechnung eines solchen Verkaufserlöses.

Sie verlangen, dass Kunden für bereits gefahrene Autos der komplette Kaufpreis erstattet wird?
Natürlich geht es auch um die Frage, ob für die Nutzung des Autos ein Abzug zu machen ist. Das haben die Gerichte in Deutschland aus nachvollziehbaren Gründen immer gemacht. Angenommen ein Auto lässt sich bis zu 300.000 Kilometer lange fahren und Sie haben bereits 100.000 davon gemacht, dann kann man argumentieren, dass man auch nur noch zwei Drittel des Kaufpreises zurück bekommt. Wir finden das trotzdem falsch.

Warum?
Weil solche Entscheidungen im Dieselskandal eines zeigen: Sie bedeuten keinerlei Anreize, diese Fälle wirklich zu lösen. Ganz im Gegenteil, VW bekommt hierdurch den Anreiz, die Verfahren so lange zu verzögern, bis die Laufleistung der Autos erreicht ist. Um dann zu sagen: Wir hätten ja gerne Schadenersatz gezahlt, indem wir den Kaufpreis erstatten. Aber leider Gottes sind die Autos jetzt alle schon so alt, dass wir nichts mehr zurückgeben können.

Wenn Sie vom Dieselskandal sprechen, meinen Sie all jene Autos, für die sich VW mittels illegaler Abschalteinrichtung die Zulassungen erschlichen hat?
Genau, es geht nicht um die ebenfalls in der Kritik stehenden Motoren mit sogenannten Thermofenstern, sondern ausschließlich um den Motor EA189, der in allen VW-Konzern-Marken (VW, Audi, Seat und Skoda) verbaut ist, mit Ausnahme von Porsche. VW hat damit allein in Deutschland 2,5 Millionen Fahrzeuge in den Verkehr gebracht, die in all den Jahren über keinerlei Abgasreinigung verfügten.

Wie viele Kunden vertreten Sie?
Bei unserer Sammelklage beteiligen sich inzwischen 45.000 Menschen aus drei Nationen, etwa 40.000 aus Deutschland, der Rest aus der Schweiz und aus Slowenien. Die große Menge an Leuten, die sich beteiligen und die politische Bedeutung des Verfahrens sind enorm. Wir machen diese Art von Verfahren zum ersten Mal zugänglich für Verbraucher.

Jan-Eike Andresen vertritt mit
Myright 45.000 VW-Kunden

Klingt ein wenig nach Klageindustrie.
Ich halte diesen immer wieder getätigten Vorwurf für vollkommen absurd. Die Klageindustrie gab es lange vor uns, sie hat nur anders funktioniert: Wenn ein Verbraucher seine Rechnung nicht bezahlt, hat er die in Form von Inkassounternehmen sofort am Hacken. Wenn sich aber der Verbraucher wehrt, heißt es auf einmal: Wir müssen die Industrie vor dem Verbraucher schützen. Es darf also nicht sein, dass ein Verbraucher plötzlich wirksam seine Rechte durchsetzt?

Was berechnen Sie dafür, dass Sie für 45.000 Menschen klagen?
35 Prozent des Gewinns. Das heißt: Angenommen ein Kunde zahlte einen Kaufpreis von 20.000 Euro für ein Auto, das Gericht gibt ihm recht und er bekommt nach 15.000 Euro Abzug für das Nutzen des Autos noch 5.000 Euro. Dann bekommen wir davon 35 Prozent, was in diesem Beispiel 1.750 Euro entspräche.

Wie begründen Sie denn Ihre Forderungen für die Kunden vor Gericht?
Das Versagen der Abgasreinigung geschah, wie der Jurist sagt, vorsätzlich sittenwidrig. VW hat es offensichtlich unterlassen, mithilfe von Forschung und Entwicklung einen gesetzeskonformen Motor auf den Markt zu bringen, zum Schaden seiner Kunden. Stattdessen hat man sich dazu entschieden, zu schummeln, um sich damit einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Kein Kunde hätte so ein Auto gekauft und vor allem hätten die Zulassungsbehörden so ein Auto niemals zugelassen.

Hat VW dann nicht zuallererst die Zulassungsbehörden betrogen und nicht die Kunden? Warum klagen die eigentlich nicht?
Weil die politisch gesteuert sind und es in der Bundesregierung offensichtlich eine klare Tendenz dafür gibt, die Industrie zu protegieren. Das kann man politisch auch durchaus nachvollziehen. In dem von uns angestrebten Vorlageverfahren an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) geht es auch darum, inwiefern die Bundesregierung verpflichtet ist, den Abgasskandal juristisch aufzuarbeiten. Das dem Verkehrsministerium unterstellte Kraftfahrtbundesamt hat ja das heikle Manöver gemacht, dass die Zulassungen für die Betrugsautos nach wie vor gültig sind. Ein Softwareupdate soll hierfür ausreichen. Wir würden natürlich gerne vom EuGH wissen, ob das alles rechtens war nach europäischem Recht und auch, ob die Bundesregierung nicht sogar verpflichtet ist, die Ansprüche der Kunden selbst durchzusetzen.

Sie wollen nicht nur vor den BGH, sondern auch vor den EuGH ziehen?
Der Fall geht jetzt zum Bundesgerichtshof und damit sitzt VW in der Zwickmühle. VW trägt das Risiko des Unterliegens beim BGH. Dann betrifft das in Deutschland 2,5 Millionen Autos, bei denen der Kaufpreis rückzahlbar wäre. Oder das Verfahren geht weiter zum EuGH, wo ein Urteil dann die Wirkung für alle in der EU verkauften Fahrzeuge entfaltet. Da geht es dann um acht Millionen Fahrzeuge. Auch wenn der BGH das Verfahren ablehnen sollte, müsste er vorher den EuGH befragen, eben weil in unserem Verfahren europarechtliche Fragen berührt werden. Am Ende könnte so auch der Praxis, dass die Betrugsautos massenhaft nach Osteuropa exportiert werden, ein Riegel vorgeschoben werden.

Was macht Sie eigentlich so sicher vor dem BGH oder EuGH zu gewinnen, wenn Sie jetzt schon vor dem OLG Braunschweig verloren haben?
Nun, es geht doch am Ende um folgende Frage: Muss eine Zivilgesellschaft tolerieren, dass Gewinne privatisiert werden und Schäden solidarisiert und jeder Verbraucher das selbst zu tragen hat? Soll der Industrie tatsächlich ein Persilschein ausgestellt werden für Abgasbetrügereien? Soll es tatsächlich keine Konsequenzen haben, ein Auto zu verkaufen ohne Abgasreinigung? Aus meiner Sicht kann die Antwort nur ganz klar lauten: Ja, natürlich muss das Konsequenzen haben. Wir leben nicht in einem Bananenstaat. Der BGH und der EuGH sind also der absolut richtige Ort, um solche Fragen zu klären.

Das OLG Braunschweig sagt, die Kunden könnten aus all diesen Vorgängen keine Schadensersatzansprüche ableiten.
Ja, aber es hat die Revision zugelassen und es geht wie gesagt um Fragen des Europarechts. Welche Wirkung entfaltet die Genehmigung eines Autos, die in EU-Richtlinien festgelegt ist, wenn dagegen verstoßen wird? Der Verbraucher vertraut auf die Genehmigungsfähigkeit eines Produktes, in das er mehrere Zehntausend Euro investiert.

Eine Einschätzung dazu, inwiefern sich das Angebot von Myright für Geschädigte lohnt, gibt es bei der Stiftung Warentest.

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