Freihandelsabkommen unter Joe Biden - Geht TTIP in die zweite Runde?

Joe Biden will die transatlantische Allianz wieder stärken. Aber mit welchen Mitteln? Nach einer Ära gegenseitiger Strafzölle unter Donald Trump, könnte er die TTIP-Verhandlungen mit der EU wieder aufnehmen. Politiker der Großen Koalition hoffen bereits darauf - denn die Chancen stehen auch hierzulande besser als vor vier Jahren.

Joe Biden könnte als künftiger US-Präsident das Freihandelsabkommen TTIP wieder auf die Agenda bringen / dpa
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Jakob Arnold hospitierte bei Cicero. Er ist freier Journalist und studiert an der Universität Erfurt Internationale Beziehungen und Wirtschaftswissenschaften. 

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Während in Fernost die ASEAN-Mitgliedsstaaten mit dem RCEP-Abkommen nun die größte Freihandelszone der Welt etabliert haben, hat der freie Handel zwischen USA und EU derzeit einen schweren Stand. Seitdem das einst lange geplante TTIP-Abkommen gescheitert war, prägen unter der Trump-Administration immer wieder Handelskonflikte das wirtschaftliche Verhältnis der beiden Wirtschaftsräume.

Auch unabhängig davon, dass die US-Bürger Joe Biden zum künftigen Präsidenten gewählt haben, hält die EU in der Handelspolitik den Druck hoch. Sie erhob zuletzt Strafzölle auf US-Importe in Milliardenhöhe, weil die USA unerlaubterweise Subventionen an den Flugzeugbauer Boeing verteilt haben, was einen Wettbewerbsnachteil für das europäische Prestige-Unternehmen Airbus bedeutet. Die EU wartet hier nicht ab, ob Joe Biden womöglich einen Kurswechsel einläuten wird.

Politiker der Groko fordern neues TTIP

Doch schon mehren sich Stimmen in der Großen Koalition, die sagen, dass sich langfristig die transatlantischen Handelsbeziehungen normalisieren müssten. So sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Bernd Westphal, zu Cicero: „Wir sollten jetzt die Chance ergreifen, das transatlantische Verhältnis wieder zu festigen. Im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik gab es immer schon eine starke Konkurrenzsituation." Diese Wettbewerbssituation in Zukunft wertebasiert auszugestalten, würde eine gute Zielstellung eines Handelsabkommens mit den USA sein.

Auch Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Außenpolitik spricht sich in Cicero für einen neuen Anlauf beim TTIP-Freihandelsabkommen aus: „Allen Kritikern in Europa dürfte in den letzten vier Jahren klar geworden sein, wie gut uns ein derartiges Abkommen gegen Maßnahmen der Trump-Administration geschützt hätte.“

Zurück in die Zukunft

Wäre es nach den Befürwortern gegangen, hätte TTIP noch so etwas wie Barack Obamas Abschiedsgeschenk als US-Präsident werden können. Dieser hatte es sich zum Ziel gesetzt, den Außenhandel der USA zu liberalisieren. Für außenpolitische Verhandlungen sind in den USA vielfach die Vizepräsidenten zuständig. Unter Obama war das Joe Biden.

Für ein Comeback von TTIP könnte das eine entscheidende Rolle spielen. Bidens Devise ist: Zurück in die Zukunft. Joe Biden möchte sein Land wieder vom Trump-Ausflug auf den Obama-Kurs zurückbringen. Ein Teil davon könnte sein, dass er den Verhandlungsfaden mit der EU wieder aufnimmt und das Abkommen seines ehemaligen Chefs zu Ende bringt. Dürfen die Europäer also hoffen, beziehungsweise bangen, dass TTIP in die zweite Runde geht?

Freie Bahn

An der Senatsminderheit der Demokraten dürfte Biden nicht scheitern. Hierfür hat Obama 2015 bereits erfolgreich ein Gesetz verabschiedet, das dem Präsidenten großen Spielraum bei der Verhandlung von Freihandelsabkommen zusichert. Ironischerweise hatten ihn dabei sogar fast alle Republikaner im Senat unterstützt und er musste sich gegen den Widerstand seiner Demokraten durchsetzen. Kein Wunder: Republikaner sind seit jeher eher marktliberal und sprechen sich für den Freihandel aus.

Und auch die EU-Kommission schreckt vor großen Freihandelsabkommen nicht zurück. 2017 wurde das Freihandelsabkommen Ceta zwischen EU und Kanada zumindest vorläufig in Kraft gesetzt; die relevantesten Bestimmungen gelten bereits, auch wenn es auch im Bundestag noch immer nicht ratifiziert wurde. Es galt lange Zeit als der kleine Bruder von TTIP. Doch dann wurde ausgerechnet das Vorbild vorerst zu den Akten gelegt.

Die EU ist bisher leer ausgegangen

Die Verhandlungen zu TTIP waren bereits vor der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten de facto gescheitert. Mit Trumps Wahl waren sie dann aber ganz offensichtlich beendet. Er hatte sich im Wahlkampf immer wieder kritisch gegenüber beinahe allen bestehenden und geplanten Freihandelsabkommen der USA geäußert. Als Präsident machte er sich dann an die Neuverhandlung mehrerer Freihandelsabkommen, wie etwa dem mit Kanada und Mexico (NAFTA, heute USMCA) oder dem mit Südkorea (KORUS). Das zeigt, dass Donald Trump nicht per se ein Gegner von Freihandelsabkommen ist. Die EU ist jedoch unter Trump leer ausgegangen. Schlimmer noch: Trump hat die EU seinerseits sogar mit Strafzöllen überzogen.

Aber warum ist TTIP gescheitert?

1.    Zweifel an der Sinnhaftigkeit

Eine Studie, die die EU-Kommission selbst in Auftrag gegeben hat, prognostizierte, dass TTIP im besten Fall für die EU jährliche BIP-Steigerungen von mageren 0,5 Prozent bedeuten würde. Kritiker bezweifeln diese Zahlen entweder oder es ist ihnen als Rechtfertigung zu wenig.

2.    Private Schiedsgerichte

TTIP sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, es gefährde die Demokratie. Dies geschehe durch Schiedsgerichte, die außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit einen Klageweg für Unternehmen gegen Staaten ermöglichen. Das Horrorszenario ist schnell ausgedacht: Deutschland erhöht Verbraucherstandards und weil das den amerikanischen Nahrungsmittelkonzernen geplante Umsätze vermiest, steht schon am nächsten Morgen die Armada amerikanischer Juristen vor der Tür, die vom deutschen Staat Schadensersatz verlangen.

3.    Sinkende Verbraucherstandards

Es erscheint heute unvorstellbar, doch es gab Zeiten, da waren die größten Sorgen nicht die neuen Zahlen des RKI zur Infektionslage, sondern Spekulationen über Chlorhühnchen. Die Chlorhühnchen standen sinnbildlich für die Angst sinkender Verbraucherstandards. Die Befürchtung war und ist, dass die europäische und amerikanische Regulierung auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden und dadurch im Ergebnis lascher werden, als wir es gewohnt sind. Und es ist wahr: Die EU reguliert vorsichtiger als die USA. In der EU gilt das Vorsorgeprinzip, in den USA das Nachsorgeprinzip. 

4.    Mangelnde Transparenz

TTIP kam intransparent zustande. Das ist Fakt. Nicht einmal die EU-Parlamentarier oder die der nationalen Parlamente konnten die Verhandlungen verfolgen oder die Verhandlungstexte einsehen. Der öffentliche Widerstand gegen dieses Vorgehen war enorm.

Sind die Gründe für das Scheitern heute aus der Welt?

1.    Zweifel an der Sinnhaftigkeit

Man könnte zynisch behaupten, dass die Sinnlosigkeit eines Vorhabens in der Politik bisher auch nicht die Umsetzung desselben behindert hat. Außerdem hatte Karel de Gucht, der EU-Handelskommissar, der maßgeblich TTIP ausgehandelt hat, in einem wichtigen Punkt Recht. Er meinte, man solle sich nicht so sehr auf Prozente fokussieren. Was er meint: 0,5 Prozent mögen wenig klingen, aber bei riesigen Volkswirtschaften wie der EU mit einem jährlichen BIP von ca. 14 Billionen Euro sind das auch schnell zweistellige Milliardenbeträge. TTIP ist also nicht obsolet. Der wirtschaftliche Nutzen des Abkommens dürfte einem Wiederaufnehmen der Verhandlungen nicht im Wege stehen.

2.    Private Schiedsgerichte

Von den Schiedsgerichten kann man halten, was man will. Für die Frage, ob TTIP eine Chance hat, spielen sie nicht die Hauptrolle. Zur Not kann man sich das Vorgehen beim kleinen Bruder Ceta abschauen. Auch hier sollte es ähnliche Bestimmungen geben. Auf Druck einiger EU-Mitgliedsstaaten wurden die Bestimmungen zu den Schiedsgerichten kurzerhand auf Eis gelegt und das Abkommen vorläufig ohne Schiedsgerichte in Kraft gesetzt. Den Unternehmen bleibt hier lediglich der reguläre Rechtsweg über die ordentlichen Gerichte. Die Schiedsgerichte sind also auch eine Hürde, die leicht umgangen werden kann.

3.    Sinkende Verbraucherstandards

Deutsche halten deutsche Standards für den weltweiten Goldstandard; Franzosen die französischen und Amerikaner die amerikanischen. Im Einzelfall mag es große Unterschiede zwischen der europäischen und der us-amerikanischen Praxis geben; am Ende des Tages sind jedoch beide Seiten Demokratien mit stabilen Institutionen, die sich gegenseitig vertrauen können. Außerdem wäre TTIP nicht das erste Freihandelsabkommen, das trotz der Sorge vor sinkenden Verbraucherstandards in Kraft treten würde. Auch hier sei auf Ceta verwiesen. Es wurde trotz ähnlicher Bedenken verabschiedet. (Negative Folgen sind hiervon bisher nicht zu spüren.)

4.    Mangelnde Transparenz

Sicherlich, nicht nur TTIP, sondern auch andere politische Verhandlungen werden in Hinterzimmern geführt. Trotzdem hat die Art und Weise, wie TTIP zustande gekommen ist für Proteste mit mehr als 100.000 Teilnehmern geführt. Wenn sich an diesem Vorgehen bei einem etwaigen zweiten Versuch nichts ändert, ist TTIP bereits zum Scheitern verurteilt.

Wäre es denn erstrebenswert, dass TTIP zurückkommt?

Die Debatte zu TTIP wurde stellenweise unehrlich geführt. Viele behaupten, dass sie natürlich freien Handel begrüßen; wie sonst würden sie etwa an Kaffee oder Smartphones herankommen? Wenn Freihandel dann aber heißt, dass sich eigene Produktionen ins Ausland verlagern, beschweren sich die selben Leute darüber. Aber: Man kann nur beides haben.

Freihandel hat systemisch immanente Vor- und Nachteile und entweder man akzeptiert sie oder man muss ehrlich sagen, dass man gegen freien Handel ist. Beides sollte möglich sein.

Besser als nichts

Freihandelsabkommen können jedoch auch aus einem anderen Grund abgelehnt werden: Sie unterminieren die Ziele der Welthandelsorganisation (WTO). Ziel der WTO ist ein Welthandel, der kein Land weder bevor– noch benachteiligt. Dafür wurde in den Klauseln der WTO das so genannte Meistbegünstigungsprinzip entwickelt.

Es soll dafür sorgen, dass jedes Land Handelsvorteile, die es einem Land gewährt, auch allen anderen Ländern gewähren muss. Nur so kann ein global freier und fairer Handel etabliert werden. Mit Freihandelszonen wird dieses Prinzip jedoch ausgehebelt, indem sich bestimmte Länder gegenseitig bevorteilen und alle anderen – die nicht in der Freihandelszone sind – diskriminieren.

Zur ganzen Wahrheit gehört jedoch auch, dass das Meistbegünstigungsprinzip bisher erfolglos ist und eher eine Utopie bleibt, die an nationalen Befindlichkeiten scheitert. Aus diesem Grund sind Freihandelsabkommen als zweitbeste Lösung allemal besser als gar kein Abkommen zu haben.

Wird TTIP nun mit Biden wiederkommen?

Wenn TTIP sein Transparenzproblem in den Griff bekommt, ist die Wahrscheinlichkeit nicht klein, dass es unter Joe Biden wieder auf den Verhandlungstisch kommt. Vielleicht nur unter einem anderem Namen. Und wenn man sich beim kleinen Bruder Ceta etwas abschaut, könnte es sogar zum Erfolg werden. 

Wann die Verhandlungen losgehen könnten, hängt davon ab, wie schnell Biden seine Administration aufbauen kann. Bernd Westphal prognostiziert: „Allgemein wird erwartet, dass die ersten Handlungen erst im Februar/März 2021 erfolgen. Das bedeutet, wir sind am Anfang eines eventuell lang andauernden Prozesses.“

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