Streit der Opec+ um Öl-Förderbremse - Ist Saudi-Arabien ein verlässlicher Partner?

Entgegen der Markterwartungen hat die OPEC+ bei ihrem Treffen entschieden, die Förderbremse weiter zu verlängern. Angesichts der weiterhin fragilen Ölnachfrage will man Vorsicht walten lassen. Doch jüngste Zahlen belegen, dass Saudi-Arabien sich an die Fördermengenbegrenzung nicht hält.

Der globale Öl-Markt ist derzeit unterversorgt / dpa
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Autoreninfo

Oliver Rolofs ist Managing Partner der Münchner Strategie- und Kommunikationsberatung connecting trust und Südosteuropa-Experte. Er war langjähriger Kommunikationschef der Münchner Sicherheitskonferenz.

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Es erscheint paradox: Trotz einer weiter angespannten Corona-Lage sind die Erdölpreise inzwischen wieder so teuer wie zuletzt vor Beginn der Corona-Krise in Europa. Die in den letzten Monaten gedrosselte Förderung und die langsam wieder anziehende Ölnachfrage haben dafür gesorgt, dass der globale Markt unterversorgt ist. Laut den Prognosen der US-Energiebehörde EIA übertrifft der weltweite Ölverbrauch das Angebot aktuell um rund 2 Millionen Barrel pro Tag. Stimmen die Projektionen der US-Energiebehörde, läge bereits das 3. Quartal in Folge ein Defizit vor.

Doch sind Fördermengen und Ölpreis auch oftmals an eine politische Agenda der großen Förderstaaten innerhalb der 1960 gegründeten Erdölallianz, die einen weltweiten Anteil an der Ölversorgung von rund 45 Prozent hat, gebunden. Die im Jahr 2016 auf weitere Partnerstaaten erweiterte Opec+ besteht aus der Organisation erdölexportierender Länder (Opec), die unter dem Einfluss Saudi-Arabiens steht, sowie einer Gruppe von Kooperationspartnern unter russischer Führung. 

Leere Worte

Vor einem Jahr erst haben sich der zweit- und drittgrößte Erdölproduzent der Welt im Streit um Fördermengen eine desaströse Preisschlacht insbesondere um neue Marktanteile in Asien geliefert und damit einen massiven Einbruch des Ölpreises verursacht. Nun wachsen in einem zunehmend verunsicherten Marktumfeld die Zweifel an der Verlässlichkeit des saudischen Branchenprimus.

So versuchte Saudi-Arabien mit einer am Anfang des Jahres überraschend angekündigten einseitigen Kürzung seiner Ölproduktion um 1 Million Barrel pro Tag im Februar und März die meisten der Staaten in der Opec+ zu einem Verzicht auf eine Erhöhung der Förderung zu bewegen. Riad zufolge sollten damit Lagerbestände abgebaut und durch eine Verknappung der Ölpreis hochgehalten werden. Doch handelt es sich hier um leere Worte aus Riad, wie die jüngsten Zahlen französischer Energiemarktanalysten Kayrros und Kpler zeigen.

Riads Trickserei

Demnach sind die saudischen Exporte in den ersten 21 Tagen des Februars nur um 176.000 Barrel und der Lagerabbau um 150.000 Barrel pro Tag gesunken. Daraus ergibt sich lediglich eine Kürzung der saudischen Ölproduktion von nur 326.000 Barrel pro Tag. Dies macht nur rund ein Viertel der im Januar vollmundig angekündigten Produktionskürzung von einer 1 Million Barrel pro Tag aus und konterkariert mit einem Überschuss von 16 Millionen Barrel im Februar die festgelegten Fördermengen der Opec.

Riads Trickserei an den Fördermengen lässt sich auch als Signal an die Adresse Russlands deuten, das im gleichen Zeitraum in Abstimmung mit der Opec seine Ölproduktion um 130.000 Barrel pro Tag erhöht hat und schon seit längerem eine stärkere Rolle in der Öl-Allianz zu spielen versucht.

Diese momentane Förderdiskrepanz kann, wenn sie sich fortsetzt, zu einem neuen Streitthema innerhalb der Opec werden und fördert nicht gerade das ohnehin schon angespannte Vertrauen in die Opec und ihre Mitglieder. Zuletzt ließ die Fördermengendisziplin einzelner Opec-Länder immer wieder zu wünschen übrig.

Haushaltskosten müssen gedeckt sein 

Selbst mit dem derzeitigen Ölpreisniveau von etwa 60 Dollar pro Barrel können viele Länder ihre Staatshaushalte nicht finanzieren. Sie brauchen dringend die Einnahmen aus den Ölgeschäften für ihren Staatshaushalt und um ihre Volkswirtschaften zu modernisieren. Fast 90 Pro­zent ihrer Einkünfte erzielen die Saudis aus dem Erdöl­export und benötigen nach Schätzungen des Weltwährungsfonds ein Preisniveau von 85 US-Dollar pro Barrel, um ihren Haushalt bestreiten zu können.

Doch das Ende der Hochpreisphase, als der Preis zunächst auf um die 50 Dollar ab­stürzte und sich von da an nicht mehr wesentlich erholte, führte zu finanziellen Engpässen. Davon ist Russland ebenso konfrontiert, wenn auch nicht so drastisch wie andere Produzenten und Exporteure fossiler Brennstoffe. Das Land bestreitet immerhin noch knapp die Hälfte seines Staatshaushalts mit dem Verkauf von Öl und Gas und braucht mindestens einen Ölpreis von 45 Dollar, um seine Haushaltskosten zu decken.

Beide Ölmächte befinden sich zudem in einem zusätzlichen Dilemma. Sie konkurrieren beide darum, ihre energiepolitische Dominanz im ölhungrigen Asien durch die Sicherung neuer Marktanteile auszubauen. Um zu überleben, nehmen sie auch einen weiteren Vertrauensverlust der Opec in Kauf. Gleichzeitig müssen Russland und Saudi-Arabien schwierige innen- und außenpolitische Herausforderungen bewältigen.

Neues Ziel: Asien

Der rasante Verfall der Erdölpreise des letzten Jahres reduzierte die Staatseinnahmen so drastisch, dass beide Länder zu Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen greifen mussten, um die zusätzlich durch die Corona-Pandemie befeuerte Wirtschaftskrise einzudämmen. Dennoch bauen Riad und Moskau auf Kontinuität, trotz immenser finanzieller Bürden, die durch den Modernisierungsdruck ihrer Volkswirtschaften noch weiter anwachsen. So setzt der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman sein teures wirtschaftliches Reformprogramm fort, verfolgt einen aggressiven Kurs gegenüber dem Iran einschließlich des Krieges im Jemen und rüstet die saudischen Streitkräfte weiter auf.

Der Kurswechsel im Weißen Haus und seine nach Einschätzung der US-Geheimdienste mutmaßliche Verstrickung in den Mord des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi setzt die Führung in Riad weiter unter Druck, sodass eine Suche nach neuen Märkten in Asien als logische Folge erscheint. China etwa, als zweitgrößter Ölkonsument der Welt, hinterfragt den saudischen Kurs nicht. Beste Voraussetzungen also für engere Handelsbeziehungen mit Peking und weiteren Partnern in Fernost.

Auch Russland zeigt Schwäche

Auch Russland, durch Sanktionen und einen stark abgewerteten Rubel zusätzlich wirtschaftlich geschwächt, setzt weiter auf seine teuren hybriden Kriege in Libyen, Syrien und der Ukraine. Neues Ungemach droht bei der Ostseepipeline Nord Stream 2, die zwischen Weiterbau und Erdgasboykott steht. Sie entwickelt sich immer mehr zu einem kapitalen Konfliktfaktor zwischen den USA, Russland und Europa und bei einem Stopp von Nord Stream 2 auch zwischen Kiew und Moskau eine neue Eskalation auslösen können.

Die Vergiftung und Festnahme des Regimekritikers Alexej Nawalny lösten massive Proteste in ganz Russland aus und haben sich für Putin gleichzeitig zu einem internationalen Problem entwickelt, während bereits über seine Nachfolge spekuliert wird. Ginge es nach der konservativen Machtelite im Kreml, würde sie auf den derzeitigen Verteidigungsminister Sergei Schoigu übergehen – ein Hardliner, der Russlands wirtschaftliche und politische Abwendung von Europa und stärkere Orientierung nach Asien weiter befördern dürfte.

Europas Abhängigkeit 

Für Europa sind das keine guten Zeichen: Als weltweit nach China zweitgrößter Importeur fossiler Brennstoffe steht Europa beim energiepolitischen „Great game“ im Abseits, muss eine immer teurer werdende Energiewende bewältigen und einen drohenden Blackout seiner Stromnetze abwenden. Europas Abhängigkeit von importierter Energie hat ihren Preis – auch politisch, wie der Fall Russland zeigt. Es verliert bei Moskaus und Riads „pivot to Asia“ weiter an Attraktivität und wird von beiden als nicht mehr zuverlässiger Partner, sondern allenfalls als hochpreisiger Absatzmarkt betrachtet. 

Jedes Opec-Treffen, jedes erratische Drehen an der Nachfrage – und Preisschraube sollte daher für das energie- und sicherheitspolitisch schwache Europa auch ein „reminder“ sein, welche künftige globale Rolle es angesichts dieser geopolitischen Vorzeichen spielen will. Ein kluger Zug wäre sowohl ein europäischer „pivot to Africa“, der gerade sein wirtschaftliches Potential in einer Energie- und Klimapartnerschaft auf dem afrikanischen Wachstumsmarkt entfachen kann, als auch frühzeitig Antworten auf die geopolitischen Kollateralschäden der Dekarbonisierung zu finden, die die Ölförderstaaten langfristig einzuholen droht.  

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