Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst - Dieser Streik bedeutet Spaltung

Mitten in der Corona-Wirtschaftskrise fordern Gewerkschaftsvertreter ausgerechnet im öffentlichen Dienst massive Lohnsteigerungen und drohen mit Streiks. Extreme finanzielle Belastungen wären die Folge, weit über den Staatssektor hinaus. Eine volkswirtschaftliche Unverschämtheit.

Warnstreik von Verdi in Nordrhein-Westfalen / dpa
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Das ewige Dilemma des öffentlichen Dienstes, der früher schlicht Staatsdienst hieß, ist es, mit den Unternehmen der freien Wirtschaft in einem ungleichen Wettbewerb um die besten Arbeitnehmer zu stehen. Weil Bund, Länder und Kommunen aber kaum in der Lage sind, so hohe Gehälter zu zahlen wie etwa große Versicherungen, Autobauer oder gar große Tech-Unternehmen, brauchen sie Lockmittel: Es sind quasi unkündbare, vor Insolvenzen geschützte Arbeitsplätze, regelmäßige, an klar definierten Entwicklungsstufen orientierte Lohnerhöhungen, keine nervenzehrenden individuellen Gehaltsverhandlungen, ausreichend Urlaub, geregelte Arbeitszeiten. Auch Sabbaticals, Elternzeit und Teilzeit sind im öffentlichen Dienst meist weniger problematisch als in anderen Sektoren. Wer in den öffentlichen Dienst geht, akzeptiert vergleichsweise weniger Gehalt für mehr Sicherheit.

Mitten in der schwersten Krise

Nun ist mitten in der schwersten Wirtschaftskrise der neueren Geschichte der öffentliche Dienst insgesamt betrachtet der wohl sicherste Sektor der Arbeitswelt in Deutschland. Und in dieser Zeit, in der von der inzwischen teilstaatlichen Lufthansa bis hin zum selbstständigen Gastronomen sehr viele Jobs nicht mehr sicher sind, fordert die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft verdi mit ihren rund zwei Millionen Mitgliedern eine Erhöhung der Löhne von 4,8 Prozent mit einer Laufzeit von nur 12 Monaten, mindestens aber 150 Euro mehr pro Monat. Bezahlen müssen das die Steuerzahler, die derzeit auch das Kurzarbeitergeld, die Staatsbeteiligungen, die Nothilfen und Kredite und vieles mehr berappen. Vieles von diesen unermesslich hohen Kosten wird erst noch auf uns zukommen. Die Forderungen sind gelinde gesagt eine volkswirtschaftliche Unverschämtheit.

Immer nur die große Gießkanne

Warum sollen ausgerechnet jene Beschäftigten, die ohnehin ziemlich sicher sind, nun auch noch eine massive Lohnerhöhung bekommen, bezahlt von der Allgemeinheit? Schnell nennen die Gewerkschaftler die aufopferungsvolle Krankenpflegerin oder den Erzieher. Ohne Zweifel gehören auch städtische Müllmänner dazu, wenn es darum geht, wer auch im sogenannten Lockdown schwere und ja, systemrelevante Arbeit verrichtet hat. Aber hier wird das Problem mit dem öffentlichen Dienst schnell deutlich. Der Sektor ist riesig und die Gewerkschaften kämpfen traditionell nicht für einzelne Berufsgruppen, sondern gleich für die große Gießkanne.

Jeder Schreibtischtäter, der es sich in Zeiten geschlossener Bürgerämter durchaus auch bequem machen konnte, jeder angestellte Lehrer, der es im Fernunterricht auch mal etwas ruhiger angehen und nebenbei die Hecke im Vorgarten stutzen konnte, würde von der Lohnsteigerung bedacht. Aber auch ganz ohne Polemik: Allein in der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) arbeiten fast 60 Prozent der Beschäftigten in der Verwaltung. Sicher sind das wichtige Jobs, aber sind es allesamt schlecht gestellte? Auch Sparkassen-Angestellte gehören mit rund 175.000 bundesweit zum öffentlichen Dienst. Sie alle sollen eine Gehaltserhöhung von 5 Prozent bekommen?

Und mehr noch: Am sogenannten TVöD, dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, orientieren sich zahlreiche weitere Sektoren und übernehmen diese Tarifabschlüsse, ohne formal dazuzugehören. Ob Parteien, Stiftungen, NGOs oder auch Kirchen - sie alle müssten als Arbeitgeber die Lohnerhöhungen dann mitgehen. Von der gesamten Beamtenschaft, die von den Tariferhöhungen ebenfalls immer mit profitiert, ganz zu schweigen. Es geht eben nicht hauptsächlich um die zahlreichen Kranken- und Altenpfleger in öffentlichen Krankenhäusern und Altenheimen, sondern um viel, um sehr viel mehr.

So wenig gearbeitet wie nie zuvor

Man könnte auch sehr viel gezielter für bessere Löhne all jener kämpfen, die tatsächlich sehr wenig oder zu wenig verdienen. Das Zauberwort namens Zulage aber scheuen die Gewerkschaften, weil sie dann nicht ihre Gesamtklientel - und auch die eigenen Funktionäre - versorgen könnten. Aber was spricht dagegen, bestimmten Berufsgruppen per Zulage zu mehr Einkommen zu verhelfen? Jenen Polizisten etwa, die nun bei jeder Anti-Corona-Demo oder den zahlreichen Gegendemos ran müssen, jenen Krankenpflegern, die insbesondere im kommenden Herbst wohl wieder viel werden leisten müssen.

Es muss bei den Verhandlungen um jene gehen, die sich ohnehin in den niedrigen Gefilden der Tariftabellen wiederfinden. Warum sollen sich nach einem flächendeckenden Gießkannen-Abschluss des öffentlichen Dienstes ausgerechnet jene Arbeitnehmer auf Steuerzahlerkosten die Hände reiben dürfen, die ohnehin immer die Nutznießer bei solchen Ergebnissen sind? Das monatliche Bruttoentgelt für einen Beschäftigen des Bundes oder in den Kommunen in der Entgeltgruppe TVöD 11 beträgt nach zehn Jahren Stufe 5 und damit 5.020,49 Euro. Eine Altenpflegerin hingegen verdient rund 2.000 Euro weniger. Warum sollte für beide Gruppen die gleiche prozentuale Erhöhung gelten?

Arbeitgeber haben Chance verspielt

Diese Art der Lohnerkämpfung wirkt vollkommen aus der Zeit gefallen. Heldenhaft ist die Leistung vieler Arbeitnehmer in der Krise sicher. Man könnte aber auch sagen: Jeder macht eben seinen Job. Nicht heldenhaft aber ist eine Pauschalforderung für die Menschen, die in der Corona-Zeit vielleicht so wenig gearbeitet haben wie nie zuvor. In der Außenwirkung drohen bereits die angedrohten Streiks zu einer Spaltung der arbeitenden Bevölkerung zu führen.

Das Problem verschärft haben aber nicht nur die Arbeitnehmervertreter, sondern auch die Arbeitgeber. Indem sie mit einer pauschalen Nullrunde für alle Beschäftigten die Tür zugeschlagen haben, kommt nun die große Streikmaschinerie erst recht ins Rollen. Ein Szenario, das absehbar war. Pfleger und Erzieher werden nun das mediale Bild bestimmen und den Druck erhöhen, und am Ende wird es deutlich teurer als nötig und möglich. Es wäre eine Chance gewesen, die niedrigen Verdienstgruppen für sich zu gewinnen. Sie wurde leichtfertig verspielt.

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