Spielzeugbranche - Nächster Halt, Göppingen

Horst Seehofer als Kunde alleine reicht nicht: Der Modelleisenbahnbauer Märklin ersetzt immer mehr Angestellte durch Roboter. Denn seit Jahren stagnieren die Umsätze. Geschäftsführer Florian Sieber hat große Pläne für die Spielzeugbranche. Aber reicht das für einen Neuanfang?

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Trotz komplexer werdender Roboter will Florian Sieber Arbeitsplätze bis Ende 2019 garantieren / Annette Cardinale
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Yves Bellinghausen ist freier Journalist, lebt und arbeitet in Berlin und schreibt für den Cicero.

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Es ist nur ein kleiner Teil jenes Traumes, wie ihn wohl viele kleine Jungen seit mehr als 100 Jahren vor Augen hatten: In einem Glaskasten wirbeln Roboter-Greifarme den Lokomotivkessel einer Modelleisenbahn umher und fräsen sekundenschnell Dutzende Löcher hinein. Der Glaskasten öffnet sich, und der Roboter präsentiert einer Frau, die davorsitzt, was er gebohrt hat. Sie entnimmt den kleinen Dampflockkessel, streicht mit den Daumen über die Löcher. Ein kritischer Blick, dann legt sie das Bauteil zu den anderen Kesseln, die die Maschine heute schon gefräst hat. „Für diese Arbeit hätten wir früher zehn Mitarbeiter gebraucht“, sagt Florian Sieber, geschäftsführender Gesellschafter des Modelleisenbahnbauers Märklin. Heute machen das die Frau und der Roboter alleine.

Gekostet hat die Maschine etwa eine Viertelmillion Euro – eine Investition, die sich schnell amortisiert, weil sie neun Mitarbeiter einspart. Auch der Job der Frau vor dem Glaskasten wurde schon einmal wegrationalisiert: 2006 nämlich war Märklin, der Zulieferer für viele stolze Hobbykellerbesitzer aus dem baden-württembergischen Göppingen, von dem britischen Finanzinvestor Kingsbridge gekauft worden. Man wolle die Personalkosten von 50 auf fünf Millionen Euro reduzieren, prahlte der damalige Eigentümer. Es wurde outgesourct, was ging, die Produktion überwiegend nach China geschafft. „Die Modelle, die wir damals aus China bekommen haben, hatten oft eine mangelhafte Qualität, manche Lieferungen kamen nicht an“, sagt Sieber. 2009, pünktlich zum 150-jährigen Firmenjubiläum, war Märklin dann insolvent. Aus der Traum.

Sieber ist der Neuanfang

Dass es das 1859 gegründete Familienunternehmen, das damals zuerst Puppenküchen herstellte, heute überhaupt noch gibt, ist auch Florian Sieber zu verdanken. Sein Vater Michael Sieber ist CEO der Spielzeugfirma Simba-­Dickie-Group, einem riesigen Spielwarenim­perium aus Franken. 2013 übernahm er Märklin und machte den Sohn zum Chef der kleinen Eisenbahnen. Märklin änderte die Strategie und holte Teile der Produktion zurück an den Stammsitz in Göppingen und in ein Werk in Ungarn.

Sieber ist der Neuanfang. Er ist erst 33 Jahre alt, trägt einen modern geschnittenen, blauen Anzug. Zwar stagnieren die Umsätze seit Jahren, aber man investiert gewaltig. Unter Siebers Ägide schaffte Märklin etwa drei Dutzend Roboter an, um die Herstellung zu automatisieren. Nur so könne Märklin es sich leisten, Produktion zurück nach Deutschland zu holen, sagt er. „Im Jahr investieren wir in Deutschland etwa anderthalb Millionen Euro in neue Maschinen, gut 60 Prozent davon fließen in Automatisierungstechnologie“, sagt Sieber. Er schätzt, dass in China so inzwischen 200 Jobs weggefallen sind.

Arbeit ohne Roboter

Und jedes Jahr werden die Roboter komplexer und können immer mehr Arbeitsschritte übernehmen. Für das Göppinger Werk will Sieber dennoch Arbeitsplätze bis Ende 2019 garantieren. Langfristig aber werde man klassische Fließbandarbeiter deutlich weniger brauchen, sagt er. „Und wenn ich ehrlich bin: Das macht mir Angst.“ Das sei schließlich ein Problem für die ganze Gesellschaft, für das es aber keinen Plan zur Lösung gebe. Ob die Frau vor dem Glaskasten mit dem Fräsroboter wohl bleiben können wird? „Bei Märklin können wir aktuell nicht viel mehr Arbeitsschritte automatisieren“, sagt Sieber. Denn viele Einzelteile werden in kleiner Stückzahl produziert. Automatisierte Anlagen lohnen sich oft erst für die Massenproduktion.

Florian Sieber könnte so vorerst die Jobs der rund 140 Mitarbeiter in der deutschen Märklin-Produktion gesichert haben. Für ihn ist das wohl aber eine Zwischenstation. Sein Vater hat ihn schon als künftigen CEO der Simba-­Dickie-Gruppe benannt. „Als Reifeprüfung war das anfangs sicher nicht gedacht, das hat sich mehr so ergeben“, wiegelt Sieber ab und schmunzelt. „Aber wenn das hier gescheitert wäre, hätte mein Vater meine Nachfolge vor dem Management natürlich kaum rechtfertigen können.“

In einem weitläufigen, hellen Raum im Göppinger Werk wird derweil wohl noch lange ganz ohne Roboter gearbeitet. Für Spielzeugmessen fertigen hier ein paar Männer auf Holzplatten noch das, was viele einst beim Großvater im Keller vorfanden: Sie kleben kleine Bäume an Bergmassive aus Plastik, stellen Straßenlaternen und Autos in Eisenbahnlandschaften aus Tunneln und Gleisen. Ein Traum fährt vorerst weiter.

Dies ist ein Artikel aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie ab am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.










 

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