SPD-Chefin Esken schlägt Fahrverbote vor - Ökonomisches Irrlichtern

Weil die Mineralölkonzerne den Tankrabatt nicht vollständig an die Verbraucher weitergeben, bringt die SPD-Vorsitzende Saskia Esken jetzt Fahrverbote ins Spiel. Oder anders gesagt: Weil das Instrument, das sich die Regierung ausgedacht hat, gegenüber den Konzernen nicht funktioniert, sollen nun ihre Kunden in Geiselhaft genommen werden. An die Stelle des ursprünglichen Problems wird ein anderes gesetzt und das als Lösung verkauft.

Autofreier Sonntag aufgrund eines von der Regierung verhängten Fahrverbots im Jahr 1973 / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Kennen Sie Saskia Esken noch? Das ist jene SPD-Bundestagsabgeordnete, die einer breiteren Öffentlichkeit erst bekannt wurde, als sie an der Seite von Norbert Walter-Borjans zur SPD-Chefin und damit Nachfolgerin von August Bebel aufstieg. Offenbar von diesem Bedeutungszuwachs berauscht, machte sie anschließend vor allem durch schrille Wortbeiträge in den sozialen Medien auf sich aufmerksam.

Dann wurde es, insbesondere im Vorfeld der zurückliegenden Bundestagswahl, äußerst still um Saskia Esken. Nicht unwahrscheinlich, dass Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) sie persönlich gebeten hat, medial etwas kürzer zu treten und den Wahlkampf am besten durch bloßes Nichtstun zu unterstützen. Was sie tat.

Aber nun ist sie zurück. Der Grund: Die hohen Benzinpreise. In einem Interview mit dem Tagesspiegel macht sie Ihrem Unmut so richtig Luft. Es stinke „zum Himmel“, so Esken, dass die Mineralölkonzerne den Tankrabatt „nicht vollständig an die Verbraucher weitergeben“. Sie spielt damit auf die Tatsache an, dass die Bundesregierung ein Entlastungspaket verabschiedet hat, das von Juni bis August auch eine Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe vorsieht. Bei Benzin macht das einen Betrag von 29,55 Cent und bei Diesel von 14,04 Cent pro Liter aus.

Genau diese Entlastung sollen sich die Konzerne in die eigenen Taschen gesteckt haben, so der Vorwurf. Und deshalb will Esken jetzt andere Saiten aufziehen. Das Kartellamt müsse einschreiten, „ganz klar“. Und wenn das nicht reiche, hätte man ja auch noch das Energiesicherungsgesetz. „Es erlaubt der Regierung, befristete Maßnahmen anzuordnen, wie Sonntagsfahrverbote (…) oder ein befristetes Tempolimit“, so Esken.

Nun, das ist eine putzige Idee und wird wohl nicht dazu beitragen, der SPD weitere Anhänger zuzuführen. Weil das Instrument, das sich die Regierung ausgedacht hat, gegenüber den Konzernen nicht funktioniert, sollen nun ihre Kunden in Geiselhaft genommen werden.

Ein Problem durch ein anderes ersetzt

Dabei ist nicht recht verständlich, was das ganze eigentlich soll. Die hohen Spritpreise führen ja nur bei jenen zu Mobilitätseinschränkungen, die sie sich nicht leisten können. Und an Stelle dieser über den Markt organisierten Mobilitätseinschränkung will Esken offenbar im Notfall einfach Fahrverbote für alle verhängen. Dabei heraus kommt allerdings wiederum nichts anderes als eine Mobilitätseinschränkung, nur eben gleicher verteilt. An die Stelle des ursprünglichen Problems wird einfach ein anderes gesetzt und das als Lösung verkauft, obwohl sich das Problem dadurch im Grunde nicht ändert.

Eine andere Möglichkeit wäre ja zu erwägen, dass Steuersenkungen in Zeiten gesellschaftlicher Unsicherheit nicht allzu viel Sinn machen, denn diese Unsicherheiten fließen in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung der Unternehmen ein. Man nennt das übrigens „Marktwirtschaft“. Wenn auf dem Markt bei einem Benzinpreis von 2,25 Euro ausreichend Kunden gefunden werden, gibt es für die Anbieter zunächst gar keinen Grund, den Preis zu senken. Der Preis bestimmt sich eben im Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage – und nicht per staatlichem Wunschkonzert. 

Erst infolge des Wirkens der Wettbewerbsmechanismen können Steuersenkungen bei ausreichend großer Zahl von Wettbewerbern zu einem sinkenden Benzinpreis führen. Jede Steueranpassung nach unten kommt daher im Regelfall immer mit Verspätung beim Endverbraucher an – während die Unternehmen zumindest vorübergehend Extragewinne einstreichen.

Das allerdings ist keine finstere Angelegenheit, sondern Standardwissen aus dem zweiten Semester Volkswirtschaftslehre. Und es ist kaum vorstellbar, dass die Bundesregierung und Saskia Esken nicht von Anfang an wussten, dass zumindest anfänglich Mitnahmeeffekte unvermeidlich sein würden. Dann allerdings erinnern die jetzigen öffentlichen Äußerungen an die Parole „Haltet den Dieb!“. Schlimmer wäre nur der Fall, dass Esken die Preisbildung in einer Marktwirtschaft tatsächlich nicht geläufig ist.

Fragwürdige Entlastungsinstrumente

Die Bundesregierung hätte folglich besser daran getan, nicht zahlreiche Entlastungsinstrumente mit zum Teil fragwürdigem Wirkungsgrad nebeneinander zu stellen, sondern es bei jenen zu belassen, die einigermaßen funktionieren, zum Beispiel die zielgenaue Anhebung von Sozialleistungen oder das Energiegeld von 300 Euro. Nach Berechnungen des „Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung“ (IMK) jedenfalls wirken diese Entlastungen recht zielgenau. Das gilt allein für die Rentner nicht, weil sie bei den Maßnahmen offenbar vergessen wurden. Oder es war Absicht, weil ohnehin eine deutliche Rentenerhöhung ins Haus steht.

Höhere Sozialtransfers und ein höheres Energiegeld anstelle der Senkung der Energiesteuer oder der Einführung des 9-Euro-Tickets wäre dabei noch aus zwei weiteren Gründen der bessere Weg gewesen. Höhere Benzinpreise hätten einen Beitrag zum schonenderen Umgang mit wertvollen, aber endlichen natürlichen Ressourcen geleistet – eigentlich ein erklärtes Ziel der Ampelkoalition –, es dabei allerdings dem mündigen Bürger überlassen, seine Konsumentscheidungen selbst zu treffen. So hätte man sich über die Wirkungsweisen der Marktwirtschaft nicht nachträglich beklagen müssen, sondern sie gezielt nutzen können.

Bemerkenswert an der Debatte ist aber etwas ganz anderes: Sie beruht auf falschen Tatsachen. Tatsächlich ist zum 1. Juni der Preis für Diesel um elf Cent und für Benzin um 27 Cent gefallen und damit fast exakt um jene Werte, um die auch die Energiesteuer abgesenkt wurde. Seitdem steigen die Preise allerdings wieder an, auch aufgrund der Entwicklung der Rohölpreise: Während der Preis für Diesel wieder alte Höhen erreicht hat, beträgt die Entlastung beim Benzin immerhin noch 20 Cent je Liter.

Trotzdem will Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) nach Informationen des Spiegel nun das Kartellamt einschalten. Aber nicht, weil die Konzerne die Entlastung bei der Energiesteuer nicht weitergäben, sondern weil sich die Kraftstoffpreise von den Rohölpreisen entkoppelt hätten. „Die ersten Datensätze des Bundeskartellamts zum Tankrabatt zeigen, dass die Abstände zwischen Rohöl- und Tankstellenpreisen seit Monatsbeginn stark gestiegen sind“, sagte Habeck dem Spiegel. 

Preise für Kraftstoffe und Rohöl entkoppelt

Allerdings ist auch das nicht ganz richtig, wie ein Blick in die Daten zeigt. Schon seit Beginn des Ukraine-Krieges entkoppeln sich nach Angaben des Bundeskartellamtes die Preise für Kraftstoffe und Rohöl. Und ausgerechnet „seit Monatsbeginn“ sind die Preise für Kraftstoffe und Rohöl um 4,5 bis 6 Prozent eher im Gleichschritt gestiegen und haben sich keinesfalls relevant weiter voneinander entkoppelt.

 

Der Wirtschaftsminister denkt nun offenbar darüber nach, das Kartellrecht so anzuschärfen, dass der Staat überdurchschnittliche Profite auch ohne Missbrauch der Marktmacht abschöpfen kann. Damit hätte die Bundesregierung immerhin zusätzliche Einnahmen, die sie in die wirklich wirkungsvollen Instrumente investieren könnte wie die Anhebung der Sozialtransfers oder des Energiegeldes. Und dann könnten die Verbraucher ganz allein entscheiden, ob und wie mobil sie sein wollen. Auch ganz ohne Fahrverbote.

Die Idee für diese Extra-Steuer hatte übrigens vor ein paar Tagen ein SPD-Vorsitzender. Aber der heißt nicht Saskia Esken, sondern Lars Klingbeil.

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